Rüdi (Daniel Michel) ist 22 und führt ein Doppelleben: tagsüber Banker, abends Rocker. Deshalb wird er überall schief angeguckt – von den Rockern, weil er im Anzug rumläuft, von den Bankern, weil er nach Schnaps stinkt. Rüdi macht das nichts aus. Vom Saufgelage am Elbufer geht der Lebenskünstler kurz nach Hause, duscht, bindet sich den Schlips um und schlendert mit Aktenköfferchen durch die Reihen des Großraumbüros. Selbst die Freundin (Paula Kalenberg) hat nichts gegen den unkonventionellen Lebensstil. Alles wäre perfekt, wenn Rockerkumpel Tobi (Tomasz Robak) den jungen Bankangestellten nicht eines Tages gefragt hätte, ob der noch Bock hätte zu arbeiten. Mit den den Lücken des Systems vertraut, dreht Rüdi das ganz große Ding. Ohne Pistole, aber mit Nummernkonto. Erneut läuft alles super. Wenn nur die Liebe nicht wäre…
Bildwitz à la Kaurismäki
Luxemburg: ein piekfeines, holzgetäfeltes Büro. Die Kamera steht direkt hinter der perfekt gestylten Finanzberaterin Madame de Junker (Fabienne Elaine Hollwege). Der Blick geht zur Tür. Herein spazieren drei junge Typen. Der eine noch ganz passabel mit kurzem Lockenkopf. Die anderen: wilde Kerle mit schulterlangen Haaren, schlecht sitzenden Anzügen und Totenkopfringen. Kurz gefriert die Miene der vornehmen Dame, aber sofort wahrt sie wieder die Façon. Süßliches Lächeln, eloquenter Smalltalk, die bösen Gedanken hübsch hinter die glatte Stirn gesperrt. Von welcher Summe man denn spreche? Aha, zweieinhalb Millionen. Ob die Herren angesichts dieses Betrags den Geldtransfer nicht etwas verschachtelter gestalten möchten? Nö, kontert Rüdi cool. Alles ganz legal.
Die amüsante Einlage ist ein gutes Beispiel für den trockenen Bildwitz, den Regisseur Sven O. Hill pflegt. Aki Kaurismäki zählt nicht umsonst zu den Vorbildern, die Pate standen für den Look der in den 1980ern angesiedelten Gaunerkomödie. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, etwa wenn ein Dutzend Rocker nach durchzechter Nacht wie tot in der Kneipe liegt, einer schräg über den Billardtisch drapiert, der andere mühsam irgendwo aus einer Ecke sich aufrappelnd. Auch die Dialoge und der lakonische Off-Kommentar sind eine Nummer für sich: Hamburger Slang, als stünde irgendwo neben dem Bildrand Udo Lindenberg und ließe seine genuschelten Sprüche vom Stapel.
Eine wahre Geschichte
Hätte Regisseur und Drehbuchautor Sven O. Hill die Geschichte erfunden, würde man wohl auf eine etwas plumpe Fantasie tippen, nach dem dritten Bier in fröhlicher Kneipenrunde lässig auf einen Bierdeckel skizziert. Aber die Story ist wahr. Sie beruht auf dem Bankenbetrug eines Hamburgers, der sogar im Bild erscheint, nur sein Name wurde geändert. Der bislang auf Dokumentationen spezialisierte Filmemacher hatte über ein paar Ecken von der damals tunlichst unter der Decke gehaltenen Kriminalgeschichte gehört und sich mit dem ehemaligen Bankräuber in Nadelstreifen getroffen. Der zeigte sich äußerst redefreudig in seiner immer noch schnoddrigen Art, gab mehrere Interviews und ließ sich sogar filmen. Sein Kommentar läuft auf der Tonspur quasi durch, auch während der Spielszenen, in denen Schauspieler Daniel Michel als 30 Jahre jüngeres Alter Ego des milde bestraften Mannes fungiert.
„Spielfilm mit Doku und Animation“ nennt der Filmemacher seinen Genremix. Allzu viele Bilder hatte der Gauner damals natürlich nicht von seinem Coup gemacht. Also stellte man die Szenen mit Schauspielern nach, was außerdem Spielräume für fiktive Freiheiten und einen ganz eigenen Humor erlaubte. Und wenn mal eine Szene höchstens mit budgetsprengendem Aufwand zu rekonstruieren gewesen wäre, sprang Animator Xaver Böhm ein. Seine Zeichnungen sind leicht karikierend zugespitzt, nehmen aber insgesamt die ausgewaschenen Farben des filmischen Looks auf. Der erinnert immer ein wenig an die Ästhetik damaliger VHS-Kameras, nur dass das vom Regisseur selbst geführte Aufnahmegerät vergleichsweise wenig wackelt.
Wie aus dem Ärmel geschüttelt
Es braucht ein paar Minuten, die ungewöhnliche Kombination aus echten Gesprächen und nachgestellten Szenen zu durchschauen, besonders wenn sie den Zuschauer unvorbereitet trifft. Die im Vorspann eingeblendete Schrifttafel „Nach einer wahren Geschichte, basierend auf Original-Interviews“ ist daher sehr ernst und wörtlich zu nehmen. Sie sollte keineswegs leichthin überlesen werden. Denn sie dient nicht nur wie sonst der Beglaubigung, sondern enthält den Schlüssel zur Machart. Ist die anfängliche Hürde einmal genommen, bietet die lässige, wie aus dem Ärmel geschüttelte Story um einen Gentleman-Ganoven locker-flockige Unterhaltung mit viel Zeitesprit. Bei den Hofer Filmtagen 2019 gab’s dafür den Förderpreis neues deutsches Kino“.
OT: „Coup“
Land: Deutschland
Jahr: 2019
Regie: Sven O. Hill
Drehbuch: Sven O. Hill
Kamera: Sven O. Hill
Besetzung: Daniel Michel, Paula Kalenberg, Tomasz Robak, Rocko Schamoni, Laurens Walter, Fabienne Hollwege, Michael Ransberg
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)