Irgendwie fühlt es sich wie kultureller Stereotyp an, wenn man eine Insel wie Sizilien unter anderem mit Aspekten wie der Mafia verbindet. Man muss nicht erst ein Fan von Filmen wie Der Pate und dessen Fortsetzungen sein, um diese Verbindung zu ziehen, denn die Verbrecherorganisation gilt für viele als eine Realität, was den Alltag vieler Sizilianer angeht. In seiner facettenreichen und sehr lesenswerten Studie über die Geschichte Siziliens kommt der englische Historiker und Reiseschriftsteller John Julius Norwich auch auf die Cosa Nostra zu sprechen. Diese sei naturgemäß für die Touristen unsichtbar und halte sich im Hintergrund auf, doch spätestens, wenn es darum geht, Besitz auf der italienischen Insel zu erwerben oder wenn man ein Geschäft gründen will, wird man nicht umhinkommen, Besuch von einem Vertreter der Organisation zu erhalten, der seinen Schutz für eine geringe Aufwandsentschädigung anbietet. Zwar ist die Zeit der großen Mafia-Kriege längst vorbei, doch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Cosa Nostra nach wie vor agiert und lebendig ist.
Über die Jahre haben viele sich versucht, gegen den Einfluss der Mafia aufzulehnen, so auch die beiden Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, welche ihr Engagement mit ihrem Leben bezahlen mussten. Eine Inschrift in Palermo erinnert an das Attentat auf die beiden Männer, die über viele Jahre hinweg Mafia-Bosse angeklagt hatten oder zu deren Überführung beigetragen hatten. Anlässlich ihres 25. Todestages kam es 2017 zu diversen Feierlichkeiten in Palermo sowie zu Gedenkveranstaltungen, wobei sich der italienische Filmemacher Franco Maresco zunehmend frage, welches Erbe die beiden Richter hinterlassen haben und wie dies von den Sizilianern gewürdigt wird. In seiner Dokumentation Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war begleitet der Regisseur die Vorbereitungen auf die Feierlichkeiten, immer vor dem Hintergrund, wie das Verhältnis der Menschen zu den beiden Symbolfiguren ist, ihrem Kampf und warum auch heute noch die Angst vor der Mafia grassiert.
Ein Fest der Angst und der Ausreden
Zusammen mit der Fotografin Letizia Battaglia (Shooting the Mafia) kämpft sich Maresco durch die Menge, vorbei an Tanzgruppen und laut krakeelenden Menschen, die wahrscheinlich etwas zu tief ins Glas geschaut haben, nur um immer wieder auf die Konterfeis der beiden Richter zu stoßen, die, durch ein Lächeln vereint, auf die Menge herabsehen und dem Anschein nach gutheißen, was dort an buntem Treiben vor sich geht. Während Battaglia, selbst langjährige Kämpferin gegen die Mafia und deren Verbrechen, ihre Frustration über diese unangebrachte Freude und Heuchelei kaum verbergen kann, beschleicht den Zuschauer mit zunehmender Dauer eine Mischung aus Irritation und Entsetzen über diese Mischung an Kitsch, Dummheit und Unaufrichtigkeit, welche Marescos Kamera einfängt. Immer wieder stößt man auf diese Diskrepanz von Feierlaune und Selbstdarstellung sowie jener Mauer des Schweigens, sobald Maresco seinen Gesprächspartnern ein Lippenbekenntnis gegen die Mafia abverlangen will.
Im Zentrum der bizarren Dokumentation steht eine Veranstaltung in der Zona Espansione Nord, kurz ZEN genannt, einem bekannten Problemviertel Palermos, dessen Organisator Francesco Mira eine bunte Truppe von Sängern und Artisten zusammengetrommelt hat, die durch ihre Darbietungen an die beiden Richter erinnern wollen. Nicht nur die offensichtliche Blauäugigkeit was den Veranstaltungsort angeht, dokumentiert Mareso, sondern auch die Ausreden, um die keiner der Akteure verlegen ist. Immer grotesker muten die Proben, die Gespräche und letztlich auch die Veranstaltung an, deren Mangel an Courage nur durch ihre Peinlichkeit übertroffen wird.
OT: „La mafia non è più di una volta“
Land: Italien
Jahr: 2019
Regie: Franco Maresco
Drehbuch: Uliano Greca, Francesco Guttoso, Giuliano La Franca, Franco Maresco, Claudia Uzzo
Musik: Salvatore Bonafede
Kamera: Tommaso Lusena
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