In den engen Gassen der Hutongs in Peking geht es zwar immer sehr lebendig zu und es wird einem nie langweilig, doch die hohe Einwohnerdichte und die eng beieinander liegenden, engen Wohnungen sorgen auch dafür, dass wirklich nichts geheim bleibt. Wu (Yang Mingming) hat es in ihren Augen am schlimmsten getroffen, denn sie lebt in der viel zu kleinen Wohnung mit ihrer Mutter (Nai An) und beide wollen es mit ihren Geschichte zu etwas bringen. Während ihre Mutter noch an ihren ersten literarischen Gehversuchen arbeitet, schreibt Wu Drehbücher, von denen aber bislang noch keines angenommen wurde. Die Knappheit der Finanzen ist aber nur eines der viele Streitthemen zwischen Mutter und Tochter, denn wenn Wu vorgeworfen wird, sie würde die Männer abschrecken, allen voran ihren Ex-Freund Zhang (Zhang Xianmin), stellt diese ihre Mutter als Ausbeuterin dar, die nur, weil sie in dessen Testament aufgenommen werden will, die Wohnung ihres Großvaters putzt und sich um diesen kümmert. Trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten können die beiden Frauen nicht ohne einander, treffen sich immer zu Mahlzeiten in der Wohnung und berichten sich gegenseitig über ihren Tag sowie ihre Fortschritte beim Schreiben.
Trotz ihres eigenwilligen Verhaltens und ihrer Tiraden war sich Wu bislang der Unterstützung Zhangs sicher, vor allem, da dieser dank seiner Tätigkeit an der Universität über beste Beziehungen zu den für sie so wichtigen kulturellen Kreisen der Stadt verfügt. Als ihre Mutter zudem ein Verhältnis mit Baogang (Li Wenbo), einer zufälligen Bekanntschaft, beginnt, scheint auch für sie die Möglichkeit gekommen, endlich aus der engen Wohnung auszuziehen und ein anderes Leben zu führen. Jedoch bringt eine Tragödie die beiden Frauen wieder zusammen.
Sarkasmus uns Speiseöl
In der hart umkämpften Kulturszene Chinas Fuß zu fassen, ist keine leichte Aufgabe, was Regisseurin und Drehbuchautorin Yang Mingming bestätigen würde, deren Biografie die Vorlage bot für ihren ersten Film Girls Always Happy, welcher auf der Berlinale 2018 seine Weltpremiere feierte. Über viele Jahre hat sie in eben jenen traditionellen Bezirken Pekings gewohnt, die auch „hutong“ genannt werden und in vielen Städten Nordchinas zu finden sind, aber wegen städtebaulicher Veränderungen und Prozessen wie Gentrifizierung immer weniger werden. So ist Girls Always Happy zum einen eine warmherzig-humorige Geschichte über eine nicht immer unproblematische Mutter-Tochter-Beziehung, sondern zum anderen ein Abbild einer Lebensform Chinas, die wohl bald schon der Vergangenheit angehören dürfte.
Mag die Gewissheit in einem so geschichtsträchtigen Bezirk Pekings zu leben den beiden Frauen auch bewusst sein, sind die Enge und die damit verbundenen finanziellen Nöte Indikatoren für einen Misserfolg in der Kunst wie auch Leben. Zumindest halten sich das die beiden Frauen immer wieder lautstark vor, was wiederum die ganze Nachbarschaft mitbekommt, wobei nicht nur eine gewisse Bitterkeit aus ihren Dialogen spricht, sondern zugleich ein Wiedererkennen der eigenen Lage im Gegenüber, was wohl die ein oder andere sarkastische Note in den Äußerungen erklären dürfte. Yang Mingming inszeniert dies, trotz der ernsten Thematik und des verzweifelten Tons, mit einer gewissen Leichtigkeit und einem Gespür für Timing, was auch für ihre Chemie als Darstellerin mit der von Nai An gespielten Mutter spricht.
In diesem Mikrokosmos, dessen Enge es einem erlaubt, zu riechen, wenn jemand ein anderes Parfüm oder Speiseöl beim Koch verwendet, spitzen sich die Konflikte, die der Frauen untereinander wie auch der persönlichen, immer weiter zu, was durch die Kameraarbeit Xiaomen Shens, dem man seine Erfahrung im Bereich des Dokumentarfilms anmerkt, noch betont wird.
Wahrheit oder Stil
Persönlicher wie auch professioneller Erfolg stehen für die beiden Frauen für das Gelingen oder eben das Scheitern eines Lebenskonzeptes. Beides unter einen Hut zu bringen ist schwierig, sodass es ihnen nicht an Einfallsreichtum mangelt, um über Umwege an ihre Ziele zu kommen. Okkupiert Wu noch das Badezimmer ihres Ex-Freundes und versucht sich über ihr demonstrativ gezeigtes Desinteresse bei seinen Freunden interessant zu machen, will es ihre Mutter über ihre Arbeiten für den Großvater erledigen, der aufgrund seiner voranschreitenden Senilität diese gar nicht mehr so richtig wahrnimmt. In ihrem Drehbuch und ihrer Inszenierung verhandelt Yang Mingming nicht nur Lebens- und Generationenkonflikte, sondern zugleich auch Geschlechterbilder, was die Handlung bisweilen etwas überfrachtet und auch repetitiv werden lässt, da sie sich immer um die gleichen Themen zu drehen scheint.
Als wäre dies nicht schon genug, verweist Mingmings Drehbuch immer wieder auf die Diskussion zwischen Wahrheit und Stil, beispielsweise, wenn sich Mutter und Tochter über ihr Schreiben gegenseitig Rückmeldung geben. Wahrhaftig zu leben und zu arbeiten wird zu einer zentralen Herausforderung für die beiden Frauen, und in dem Scheitern liegt vielleicht eine Chance für etwas Neues, etwas Eigenes.
OT: „Rou qing shi“
Land: China
Jahr: 2018
Regie: Yang Mingming
Drehbuch: Yang Mingming
Kamera: Xiaomen Shen
Besetzung: Nai An, Yang Mingming, Xanmin Zhang, Qinqin Li, Huang Wei, Yuan Li, Li Wenbo
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