Seitdem der Mensch über die Erde wandelt, hat er versucht, sich diese untertan zu machen. Er jagte Tiere, hielt sie irgendwann auch zu Hause, um sie auf die eine oder andere Weise zu nutzen. Und natürlich entdeckte er auch die Landwirtschaft. Warum lange nach Nahrungsmitteln suchen, wenn man diese direkt vor sich anbauen kann? Bis heute ist der Anbau von Gemüse und Obst sowie die Haltung von Tieren ein wichtiger Stützpfeiler jeder Gesellschaft. Von irgendetwas muss der Mensch ja leben. Und doch hat sich seit den Anfängen sehr viel getan. Das Saatgut hat sich verändert, die Tiere ebenfalls – da wurde durch Züchtungen viel optimiert. Und auch beim Drumherum ist kaum mehr etwas so, wie es am Anfang mal gewesen ist.
Weg von der Natur
Das ist keine besonders neue Erkenntnis. In den letzten Jahren gab es zahlreiche Dokumentarfilme, die aufzeigten, wie sehr sich der Mensch bei der Landwirtschaft von der Natur entkoppelt hat. Code of Survival – Die Geschichte vom Ende der Gentechnik und Unser Saatgut – Wir ernten, was wir säen etwa ließen keinen Zweifel daran, dass wir bei unserem Streben nach einer immer effizienteren Nahrungsmittelerzeugung Wesentliches aus den Augen verloren haben. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist am Ende auch gut. Land geht thematisch nun in eine ähnliche Richtung und ist doch kaum mit den obigen Beispielen vergleichbar. Hier gibt es keine moralinsauren Worte darüber, dass der Mensch sich gefälligst wieder an dem orientieren soll, wie es früher einmal war. Genauer gibt es überhaupt keine Worte.
Stattdessen vertraut Regisseur und Kameramann Timo Großpietsch (Könige der Welt) allein der Kraft der Bilder. Ohne jegliche Voice-overs oder auch Interviews stattet er landwirtschaftlichen Betrieben einen Besuch ab und filmt den Alltag dort. Das erinnert vom Prinzip her an das kürzlich gestartete Gunda. Dort war es eine Muttersau in einem Stall, der wir folgen durften. Während es dort aber zu einer auch emotionalen Annäherung zum Tier kam, sie trotz fehlender Worte sehr lebendig wurde, da ist Land das genaue Gegenteil. Je mehr Zeit wir in den Ställen und Anlagen verbringen, umso fremder wird einem alles. Das liegt nicht zuletzt an den fehlenden Kontexten: An vielen Stellen ist auf den ersten Blick gar nicht so klar, was wir da überhaupt sehen. Und selbst die gelegentlichen Aufnahmen, in denen wir ganz klassisch mal Menschen oder Tiere beobachten, sind immer irgendwie unwirklich.
Gespenstisch fremd und faszinierend
Manchmal ist der Beitrag vom DOK.fest München 2021 sogar regelrecht gespenstisch, wenn nicht genau zu erkennende Maschinen sich von selbst bewegen. Aber dieses Gefühl der Unwirklichkeit liegt auch in der Art und Weise, wie Großpietsch diese Bilder inszeniert. Anstatt einfach nur die Kamera direkt draufzuhalten und uns zu einem Anwesenden zu machen, sind die Szenen sorgfältig durchkomponiert: Vieles hier ist auf surreale Weise symmetrisch. Zusammen mit der Hintergrundmusik von Vladyslav Sendecki entsteht ein audiovisuelles Kunstwerk, das einerseits sehr faszinierend ist, aber auch irgendwie seltsam. Land ist weniger dafür geeignet, einem die Landwirtschaft oder die Natur näherzubringen. Derart romantische Vorstellungen gehen in dem Labyrinth aus Eindrücken schnell verloren.
An ihre Stelle steht eine ganz eigene Verdeutlichung davon, wie entfremdet wir von der Natur sind und auch von dem, was am Ende auf unseren Tellern landet. Ob der Film mit dieser Vorführung etwas bewegen wird, das ist sicherlich fraglich. Es ist nahezu unmöglich, emotional von dem ergriffen zu sein, was hier geschieht. Durch die fehlende sprachliche Komponente und damit fehlende Erklärungen und Argumente ist auch eine inhaltliche Auseinandersetzung kaum vorhanden. Aber Land ermöglicht einen ungewöhnlichen Einblick, bei dem schnell klar wird, dass das irgendwie alles falsch ist, selbst wenn man dafür nicht die passenden Worte findet.
OT: „Land“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Timo Großpietsch
Drehbuch: Timo Großpietsch
Musik: Vladyslav Sendecki
Kamera: Timo Großpietsch
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