Eigentlich wollte Josh Corman (Joseph Gordon-Levitt) ja Musiker werden. Doch daraus wurde nichts, stattdessen unterrichtet er jetzt Kinder an der Schule. Grundsätzlich ist er mit dem Job auch glücklich, ihm macht die Arbeit mit den Schülern und Schülerinnen Spaß. Dennoch: Irgendwie nagt das alles an ihm. Und dann wäre da noch die Trennung von Megan (Juno Temple), die ihm zu schaffen macht, statt mit ihr teilt er sich jetzt die Wohnung mit seinem Kumpel Victor (Arturo Castro). Während er noch überlegt, wie sein Leben in Zukunft aussehen soll, suchen ihn immer wieder Zweifel und Ängste heim, dazu das Gefühl, bei allem versagt zu haben. Selbst mit der Familie läuft es nicht so wirklich, ständig kommt es zu Streitigkeiten mit seiner Mutter Ruth (Debra Winger) und seiner Schwester Elizabeth (Shannon Woodward) …
Die ewige Suche nach sich selbst
Das Coming-of-Age-Genre gehört sowohl im Kino wie auch im Fernsehen zu den absoluten Dauerbrennern. Kein Wunder: Nahezu jeder hat etwas darüber zu sagen, wie schwierig der Übergang vom Kind zum Erwachsenen ist. Schließlich hat das jeder selbst erlebt, weshalb das immer wieder Stoff für universelle Geschichten liefert. Dabei enden die meisten damit, dass die Hauptfigur einen wichtigen Schritt geschafft hat und zumindest eine Ahnung davon hat, wer sie sein möchte und sein kann. Doch dieser Prozess ist sehr viel länger, als wir es wahrhaben wollen. Für manche endet er sogar nie, weil die nagenden Fragen, die Selbstzweifel, die Suche nach sich selbst, keinen wirklichen Abschluss finden. Denn woher will man auch wissen, dass das jetzt alles so richtig passt?
Joseph Gordon-Levitt (Inception, 7500) erzählt in Mr. Corman von einem solchen ewig Suchenden. Sein Josh ist dabei mit über dreißig eigentlich zu alt für klassisches Coming of Age. Gleichzeitig ist er zu jung für eine Midlife-Crisis. Eigentlich ist er gar nichts wirklich. Ein Musterbeispiel für ein erfolgreiches Leben ist er damit kaum. Und doch ist er auch kein kompletter Verlierer. Schließlich hat er einen sicheren Job, hat ein Dach über dem Kopf, keine gesundheitlichen Probleme, sieht man einmal von seinen gelegentlichen Angstzuständen ab. Eigentlich weiß er das auch. Es ist nicht einmal so, dass er komplett unglücklich wäre. Nur ist er eben auch nicht glücklich. Er hätte gern mehr erreicht, wäre gern jemand anderes, selbst wenn er nicht so genau sagen kann, wer dieser andere ist. Oder wer er überhaupt ist.
Musik als Symbol der Identität
Symbolisiert wird diese Leere durch die Musik, welche für ihn früher eine so große Rolle spielte, die ihm aber zuletzt abhandengekommen war. Die Entwicklung, die Josh im Laufe der zehn Folgen durchmacht, wird deshalb immer von seinen musikalischen Projekten begleitet. Was ihm anfangs noch fremd ist, ein unbeholfenes Klimpern auf dem Keyboard, wird mit der Zeit selbstbewusster und größer. Es kommen mehr Instrumente hinzu, der Rahmen wird ambitionierter. Mr. Corman ähnelt daher schon den klassischen Coming-of-Age-Geschichten. Die Antworten, welche die Titelfigur sucht, sind dabei aber nicht allein in der Zukunft zu finden. Vielmehr erzählt Gordon-Levitt, der nicht nur die Hauptrolle übernahm, sondern auch als Regisseur, Autor und Produzent an der von ihm kreierten Apple TV+ Serie beteiligt ist, wie sein Alter Ego sich vielem stellen muss, was in seiner Vergangenheit vorgefallen ist.
Dass das nicht unbedingt alles souverän abläuft, versteht sich von selbst. Eigentlich ist Mr. Corman sogar ziemlich ziellos, wenn von Thema zu Thema gesprungen wird, mal hier ein Problem auftaucht, dann mal dort. Immer wenn man das Gefühl hat, Josh würde einen wirklichen Fortschritt machen und vielleicht vor einem Durchbruch stehen, passiert wieder etwas anderes. Das wird sicher Teile des Publikums irritieren. Gleiches gilt für die regelmäßigen Einschübe, wenn auf einmal das Geschehen in Musical-Nummern übergeht oder Josh sich irgendwelchen Fantasien hingibt, die von lustig bis furchterregend reichen können. Überhaupt ist die Serie von starken Stimmungsschwankungen geprägt, kann mal auf skurrile und zurückhaltende Weise lustig sein, nur um dann aus heiterem Himmel richtig hart und herzerweichend zu werden.
Zwischen Abgrund und Glück
Wie viel man mit der Serie anfangen kann, hängt daher maßgeblich davon ab, ob man ihrem Protagonisten folgen kann. Josh ist nicht unsympathisch, manchmal aber schon recht anstrengend, kann belehrend sein, neigt zum Jammern und teilt in seinen hässlichen Momenten auch mal aus, ohne wirklich nachzudenken. Doch eben das zeichnet Mr. Corman aus. Die Geschichte um einen Mann, der irgendwie in seinem Leben gefangen ist, ist auf eine Weise menschlich, wie man es nur selten sieht. Gleiches gilt für seine Unbeholfenheit, wenn er immer wieder nach den passenden Worten sucht und dann irgendwie doch das Falsche sagt. Wenn er sich bei Dates schwer tut und während der Corona-Episoden ganz die Kontrolle verliert. Das ist zudem sehr gut gespielt, von dem gesamten Ensemble. Gerade die intimeren Momente, in denen die Figuren auf einmal mit dem Schmerz konfrontiert werden, der unbehandelt in allen wuchert, gehen zu Herzen. Und eben auch die Momente des leisen Glücks, wenn sich jemand öffnet, den richtigen Ton trifft – sei es im Gespräch oder auf dem Keyboard.
OT: „Mr. Corman“
Land: USA
Jahr: 2021
Regie: Joseph Gordon-Levitt, Aurora Guerrero
Drehbuch: Joseph Gordon-Levitt, Bruce Eric Kaplan, Rosa Handelman, Roja Gashtili, Julia Lerman
Idee: Joseph Gordon-Levitt
Musik: Nathan Johnson
Kamera: Jaron Presant
Besetzung: Joseph Gordon-Levitt, Arturo Castro, Debra Winger, Shannon Woodward, Juno Temple
Wie ist Joseph Gordon-Levitt auf die Idee zu Mr. Corman gekommen? Und was für ihn einen erfolgreichen Menschen aus? Antworten auf diese und weitere Fragen findet ihr in unserem Interview mit dem Regisseur, Autor und Hauptdarsteller der Serie.
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