Nach vielen Jahren, in denen sie vor allem für ihre Arbeit und ihre Tochter gelebt hat, gönnt sich die 50-jährige Teresa (Margarethe Tiesel) einen Urlaub alleine im sonnigen Kenia. In dem luxuriösen Hotel gibt es nicht nur schöne Zimmer, sondern auch einen Blick auf das Meer und den Strand, sodass sich Teresa vor allem Entspannung erhofft. Am Strand und an der Hotelbar trifft sie auf eine Reihe Urlauberinnen in ihrem Alter, die sie auf die „Beach Boys“ aufmerksam machen, die sowohl am Strand als auch am Hoteleingang auf Frauen wie sie warten. Diese bieten nicht nur billigen Schmuck oder Gewänder an, sondern auch anderweitige Dienste, schnellen Sex oder eine Beziehung. Viele der anderen Urlauberinnen haben bereits eine Affäre mit einem jungen afrikanischen Mann und erleben eine Art zweiten Frühling. Teresa reagiert zunächst skeptisch auf die Schilderungen der anderen Urlauberinnen und wehrt alle Annäherungsversuche der afrikanischen Männer ab, die sie, sobald sie die Begrenzung am Strand übertritt oder das Hotel verlässt umgarnen. Bei einem dieser Spaziergänge hilft ihr Munga (Peter Kazungu) dabei, sich etwas Luft zu verschaffen und begleitet Teresa aus der Ferne.
Trotz ihrer Vorbehalte lässt sich Teresa auf eine Beziehung zu dem jungen Mann ein, der ihr das Dorf zeigt, in dem er wohnt, mit ihr in Bars geht, einen Joint und schließlich auch das Bett teilt. Mit der Zeit blüht auch Teresa aufgrund der Beziehung immer mehr auf, entdeckt ihre Lust auf Sex, doch auch auf andere Zärtlichkeiten, tiefe Blicke und intime Momente, die sie schon lange nicht mehr erlebt hatte. Als Munga sie bittet, seiner Verwandtschaft etwas Geld zu geben, weil diese dringen Operationen oder Materialien für die Schule benötigen, willigt Teresa zunächst ein, wird dann aber skeptisch, als die Forderungen nicht abnehmen und sich schließlich Munga ihr entzieht. Verwirrt macht sie sich eines Tages auf die Suche nach ihrem Liebhaber, der sich bei ihr nicht mehr meldet, und muss eine traurige Entdeckung machen.
Gesehen werden
Ursprünglich hatte der österreichische Regisseur Ulrich Seidl vorgehabt, einen einzigen langen Spielfilm unter dem Titel Paradies zu drehen, der sich auf sechs Geschichten von Menschen konzentriert, die in Entwicklungsländer reisen, jedoch wurde der Film in der Postproduktion einfach zu lang, sodass sich Seidl dazu entschloss drei Filme aus dem vorhandenen Material zu machen. Mit Paradies: Liebe legte er den ersten Teil der Trilogie vor, der sich mit Themen wie Einsamkeit und Beziehungen, aber auch Sextourismus befasst, was zu einem Kernthema der drei Filme werden sollte.
Immer wieder meint man, wie bei vielen Werken Ulrich Seidls, Zuschauer einer besonders intimen Dokumentation zu sein, fängt die Kamera doch Szenen und Dialoge ein, die von ihrer Art und Weise her ungezwungen und authentisch klingen. So ist es auch bei den Gesprächen Teresas mit ihren Urlaubsbekanntschaften am Pool oder an der Hotelbar, wenn man vom Leben in der Heimat spricht, vor allem aber über die Lieblosigkeit und die Langeweile in den Ehen, zu der sie schon bald wieder zurückkehren werden oder die sie bereits hinter sich gelassen haben. Während man als Zuschauer noch vielleicht laut aufatmet, wenn von „Negern“ die Rede ist oder man sich über den Geschmack der schwarzen Körper äußert, so finden sich dann wieder Momente großer emotionaler Offenheit, wenn eine Frau davon spricht, sie sehne sich danach, einmal, vielleicht auch nur für einen kurzen Moment, wirklich angesehen und wahrgenommen zu werden. Die große Kunst Seidls ist die Konfrontation mit diesen Momenten der Hässlichkeit, welche sich abwechseln mit diesen wahrhaftigen, klaren Augenblicken, die den Menschen einfangen, wie er ist, schwach, fehlbar und etwas hässlich, aber immer noch ein Mensch.
Die Gefühle eines Beach Boys
Am Beispiel seiner Protagonistin zeigt Seidl, wie dieser Moment des Wahrgenommen-Werdens eine Verwandlung in Teresa verursacht, die auf einmal wieder Gefühle hat, die sie schon lange aus ihrem Alltag verbannt hatte. Die Kamera bleibt dabei, auch in Momenten des Schmerzes, des emotionalen wie auch der körperlichen, zeigt die ersten Zweifel an der Romanze mit Munga und macht uns skeptisch für seine wahren Motive. Doch er, wie auch die anderen Beach Boys, sind ebenfalls Opfer oder Außenseiter, einerseits Teil des Erlebnisses, doch andererseits ausgeschlossen, wie beispielsweise die Abtrennung am Strand, die sie nicht übertreten dürfen, beweist. Für eine Weiße wie Teresa ist das Überschreiten ein leichter Schritt, doch für jemanden wie Munga eine Unmöglichkeit.
Seidl macht es seinem Zuschauer in Paradies: Liebe nicht einfach, erlaubt er doch keine einfachen oder vorschnellen Urteile. Seine Kamera zeigen beide Seiten, beide gleichermaßen hässlich wie auch traurig, wenn auch in verschiedenen Kulturen angesiedelt. Gleich bleibt ihnen die Einsamkeit, ist die Beziehung doch eine gekaufte, ein Mittel zum Zweck, die beiden Seiten höchstens temporär etwas gibt.
OT: „Paradies: Liebe“
Land: Österreich, Deutschland, Frankreich
Jahr: 2012
Regie: Ulrich Seidl
Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz
Kamera: Wolgang Thaler, Ed Lachman
Besetzung: Margarethe Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux, Dunja Sowinetz, Helen Brugat, Gabriel Mwarua, Carlos Mkutano, Josphat Hamisi, Maria Hofstätter, Melanie Lenz
Cannes 2012
Toronto International Film Festival 2012
Fünf Seen Filmfestival 2023
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)