Als sich der deutsche Kunstsammler Wilhelm Uhde (Ulrich Tukur) im Sommer 1912 zusammen mit seiner Schwester Anne Marie (Anne Bennent) im beschaulichen nordfranzösischen Senlis niederlässt, war der Plan eigentlich, die Ruhe zum Schreiben benutzen zu können. Doch dann wird er per Zufall auf die Bilder von Séraphine Louis (Yolande Moreau) aufmerksam, eine Einheimische, die ihm im Haushalt zur Hand geht. Séraphine ist streng religiös, stammt aus einfachsten Verhältnissen, hat nie eine künstlerische Ausbildung genossen. Umso beeindruckter ist Uhde von den Stillleben, welche die Mittvierzigerin in ihrer Freizeit malt. Mehr noch: Er ist fest entschlossen, sie zu fördern und ihre Bilder groß auszustellen. Doch dann beginnt der Erste Weltkrieg …
Kunst, die keine sein sollte
Kunst liegt im Auge des Betrachters, wie es so schön heißt. Da kommt es durchaus vor, dass in Galerien und Museen immer wieder Werke hängen, bei denen man sich als Laie fragt, ob Kunst hier nicht doch einfach nur ein großes Geldwäschegeschäft ist. Aber es gibt auch Fälle, dass Menschen sich dagegen sträuben, wenn ihre Werke als Kunst bezeichnet werden, weil sie diese gar nicht als solche wahrgenommen haben. Ein solcher Fall war Séraphine Louis, eine schlichte Laienschwester, die als Schafhirtin und Putzfrau ihren Lebensunterhalt verdiente, bis sie auf einmal mehr sein sollte. Dabei hatte sie das nicht geplant. Séraphine zeigt auch, dass sie das so zuerst nicht wollte. Für sie war das Malen eine rein private Angelegenheit, von der andere nicht erfahren sollten.
Wenn aus einer solchen Frau eine der bedeutendsten Vertreterinnen der naiven Kunst wird, dann schreit das geradezu nach einer von diesen Rags-to-Riches-Geschichten, wie sie gerade Hollywood so liebt. Menschen, die sich aus einfachsten Verhältnissen nach oben kämpfen und dabei zahlreiche Hindernisse überwinden, das ist ideal für Crowdpleaserfilme. Schließlich dürfen dann auch die Zuschauer und Zuschauerinnen das Gefühl haben, sie könnten alles in ihrem Leben erreichen. Doch Séraphine ist keiner dieser Filme. Vielmehr das Drama von einer Frau, für die es nie wirklich einen Platz auf dieser Welt zu geben scheint. Sie ist eine Außenseiterin, deren Leben immer wieder von außen bestimmt wird. Das ist auch deshalb tragisch, weil die Französin diese Außenwelt nie versteht, was gerade zur Zeit der Weltwirtschaftskrise deutlich wird.
Ein innerer Schaffensprozess
Stattdessen betont Regisseur und Co-Autor Martin Provost (Die perfekte Ehefrau) das Introvertierte der Malerin. Das bedeutet nicht nur, dass sie sich immer ein wenig schwer mit anderen Menschen tat. Hinzu kommt, dass die Malerei für sie ein innerlicher Prozess war, eine Mischung aus Naturverbundenheit und göttlicher Eingebung. Letzteres führt dann auch zu Konflikten mit Uhde, der zum einen wenig religiös ist. Der zum anderen aber auch einen rationalen Bezug zur Kunst hat. So tut er sich schwer mit Séraphines Aussage, dass sie keine Ausbildung in der Hinsicht genoss. Während sie sich nur als Medium für etwas anderes versteht, braucht er eine „richtige“ Erklärung. So sehr er auch die verschlossene Mittvierzigerin fordern möchte, er findet keinen Bezug zu ihr als Mensch.
Dem Publikum dürfte es da ähnlich gehen: Séraphine betont das Mystische im Kunstschaffungsprozess, will gar nicht erklären, woher Kunst denn nun genau kommt. Auch Definitionsversuche, was Kunst eigentlich ist und warum ein Naturbild besser als ein anderes ist, bleiben größtenteils aus. Stattdessen verfällt die Protagonistin in eine Art Trance, wenn sie einen Pinsel in der Hand hat, und malt sich zunehmend in einen Rausch. Was in dieser Zeit in ihr vor sich geht, erfährt man hingegen nicht. So einfach Séraphine Louis auch ist, so undurchdringlich ist sie. Es wird auch nicht unbedingt besser mit der Zeit. Zwar öffnet sie sich nach und nach der äußeren Welt. Viel mehr zu sehen bekommt man aber nicht.
Präsent und abwesend zugleich
Das ist einerseits frustrierend. Das distanzierte Drama wirft in den zwei Stunden mehr Fragen auf, als es letztendlich beantwortet. Doch trotz der spröden Neutralität, welche den Film durchzieht, ist er doch auch faszinierend. Gerade Yolande Moreau (Rebellinnen – Leg’ dich nicht mit ihnen an!) trägt dazu bei, dass Séraphine am Ende sehenswert ist. Die belgische Schauspielerin, die hierfür ihren zweiten César als beste Hauptdarstellerin erhielt, überzeugt durch eine interessante Mischung aus Präsenz und Abwesenheit. Bei ihr wird die Malerin zu einer Figur, die nie wirklich da ist, selbst wenn sie spricht und im Mittelpunkt steht. Die gleichzeitig aber jemand ist, um den sich alles dreht. Das Ergebnis ist ein Film, der sicherlich nicht so sehr zu Herzen geht, wie es das oft tragische Leben von Séraphine eigentlich erwarten ließe. Auch an diesen Stellen bleibt Provost eher distanziert. Aber sie bleibt in Erinnerung, die Frau, die eine Erfüllung durch das Malen fand und doch nie das erhielt, was ihr zustand.
OT: „Séraphine“
Land: Belgien, Frankreich
Jahr: 2008
Regie: Martin Provost
Drehbuch: Marc Abdelnour, Martin Provost
Musik: Michael Galasso
Kamera: Laurent Brunet
Besetzung: Yolande Moreau, Ulrich Tukur, Geneviève Mnich, Anne Bennent, Nico Rogner, Adélaïde Leroux
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
César | 2009 | Bester Film | Sieg | |
Beste Regie | Martin Provost | Nominierung | ||
Bestes Original-Drehbuch | Marc Abdelnour, Martin Provost | Sieg | ||
Beste Hauptdarstellerin | Yolande Moreau | Sieg | ||
Beste Musik | Michael Galasso | Sieg | ||
Beste Kamera | Laurent Brunet | Sieg | ||
Bestes Szenenbild | Thierry François | Sieg | ||
Beste Kostüme | Madeline Fontaine | Sieg | ||
Bester Ton | Philippe Vandendriessche, Emmanuel Croset, Ingrid Ralet | Nominierung | ||
Europäischer Filmpreis | 2009 | Beste Darstellerin | Yolande Moreau | Nominierung |
Prix Lumières | 2009 | Beste Hauptdarstellerin | Yolande Moreau | Sieg |
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