In Tides(Kinostart: 26. August 2021) zeichnet Tim Fehlbaum ein düsteres Bild unserer Zukunft: Die Erde ist zu großen Teilen unbewohnbar geworden, weshalb die Menschen in Weltraumkolonien ihr Glück suchten. Als sie dort jedoch die Fähigkeit zur Fortpflanzung verlieren, macht sich eine Crew auf den Weg zurück zur Erde und findet dort einen zum Großteil unter Wasser stehenden Planeten vor, auf dem sich die übrig gebliebenen Clans harte Kämpfe liefern. Auf dem Filmfest München 2021 haben wir uns mit dem Regisseur und Co-Autor über seinen düsteren Science-Fiction-Thriller unterhalten, was ihn auf die Idee brachte und worin die Herausforderungen bei der Umsetzung lagen.
Dein erster Film Hell feierte vor zehn Jahren Premiere. Jetzt kommt mit Tides dein zweiter Film. Das ist schon eine ziemlich lange Zeit.
Ja, das stimmt. Ich bin auch nicht stolz darauf, dass es so lange gedauert hat. Ich muss gestehen, dass ich damals von der Resonanz auf „Hell“ etwas überwältigt war, auch weil es eben mein erster Film war. Ich habe damals auch alles mitgenommen, war auf Festivals und alles. Eine Zeit lang habe ich im Anschluss noch das Spielchen in Los Angeles gemacht, habe dort viele Drehbücher bekommen und gelesen. Ich bin aber einfach nicht so gemacht für dieses Amerikanische, wo du dich ständig gut verkaufen musst. Die Drehbücher, die ich wollte, habe ich leider nicht bekommen. Dafür hätte ich andere haben können, die mich nicht wirklich überzeugt haben. Und so geht dann doch schnell viel Zeit ins Land, wenn du nicht sofort zugreifst. Da bin ich vielleicht einfach zu zögerlich. Irgendwann habe ich entschieden, lieber doch wieder in Deutschland zu drehen und an eigenen Stoffen zu arbeiten.
Und wie bist du dann auf Tides gekommen?
Die Geschichte ist eigentlich ganz banal. Ich stand vor einigen Jahren das erste Mal vor dem Wattenmeer in der Nordsee und war ganz fasziniert von der Landschaft. Ich bin ja Schweizer und bei uns gibt es nichts Vergleichbares. Das Wasser war in dem Moment gerade weg und es wurde gerade dunkel. Es war ein total surreales Gefühl, dort zu stehen und zu wissen, dass bald alles unter Wasser sein wird. Bei dem Anblick habe ich mich gefragt, warum bislang niemand einen Low-Budget-Science-Fiction-Film dort gedreht hat. Du bräuchtest da gar nicht viel. Es würde reichen, jemanden im Astronautenanzug ins Wasser zu stellen und du hättest das Gefühl, auf einem Wasserplaneten zu sein. Das war das erste Bild, das wir hatten. Bei unseren Recherchen zum Beispiel bei der deutschen Luft- und Raumfahrt ist uns aber bewusst geworden, wie einzigartig die Erde ist und wie unwahrscheinlich es wäre, einen zweiten solchen Planeten zu finden. Und so sind wir auf die eigentliche Idee gekommen. Es hat in den letzten Jahren viele Science-Fiction-Filme gegeben, die das Verlassen der Erde thematisieren. Da fanden Co-Autorin Mariko Minoguchi und ich es spannend zu erzählen, wie jemand zur Erde zurückkehrt und damit verdeutlichen, wie wichtig es wäre, besser auf sie aufzupassen.
Die zweite große Inspiration war Working Man’s Death von Michael Glawogger. Das ist ein Dokumentarfilm über die fünf härtesten Jobs der Welt. Eine Episode handelt von den Shipbreakers in Bangladesch. Die nehmen mühselig per Hand und ohne Maschinen Schiffe auseinander, die von den Werften nicht mehr gebraucht werden. Das hat total apokalyptisch ausgesehen und wurde das zweite Element, das früh fest stand. Und um diese beiden Elemente herum haben wir dann angefangen, unsere Geschichte drumherum zu spinnen.
Und habt ihr dort dann auch gedreht?
Das ging leider nicht. Geplant hatten wir das, aber es wurde recht schnell klar, dass das aus sicherheitstechnischen Gründen nicht geht. Die Leute dort sind auch nicht scharf drauf, dass der Rest der Welt das sieht. Beim Wattenmeer war das ebenfalls nicht wirklich möglich. Ebbe und Flut kommt da eben zweimal am Tag. Das wäre ein logistischer Irrsinn gewesen. Die Kosten wären in dem Fall auch explodiert, das konnten wir so nicht rechtfertigen. Mir war es aber wichtig, dass wir die ersten drei Tage dort drehen, damit das Team und vor allem die Hauptdarstellerin diese Natur einmal so spürt. Das haben wir dann gemacht und es waren echt magische Drehtage. Sehr speziell auch, weil du da mit Kutschen und Traktoren hingefahren wirst.
Und wo habt ihr dann gedreht, wenn es nicht am Original-Schauplatz ging?
Das hat mich anfangs ziemlich beschäftigt. Die Produktion kam dann auf die Idee, in der Bavaria zu drehen und einen Raum zu nehmen, in dem wir diesen Wattboden simuliert haben. Drei der Wände waren in diesem Raum geschlossen, nur nach vorne hin war offen. Das war alles ganz oldschool, weil ich Green Screens nicht mag. Bei uns gab es große ausgedruckte Fotografien als Hintergrund, die dann von hinten belichtet wurden. Dann ist uns natürlich zugutegekommen, dass der Nebel eine so wichtige Rolle spielt. Dadurch fiel das mit den Hintergründen nicht so auf, weil du etwas hast, das sich bewegt und dadurch die Illusion entsteht, dass das alles echt ist. Wir hatten auch den Luxus, ein Becken zu haben, das wir über Nacht fluten konnten. Dadurch hatten wir unser eigenes kleines Gezeitenstudio.
Der Aufwand, den ihr da betrieben habt, musste aber natürlich erst mal bezahlt werden. Wie schwierig war es, das Geld für Tides aufzutreiben? Science-Fiction ist in Deutschland schließlich kein besonders oft vertretenes Genre.
Absolut. Wir hatten aber das Glück, dass wir mit der Constantin von Anfang an einen starken Partner hatten, der uns volles Vertrauen geschenkt hat. Und auch bei den Filmförderungen sind wir offene Türen eingerannt. Da hat sicherlich auch „Hell“ eine Rolle gespielt. Hinzu kommt, dass der Film eine gewisse Relevanz hat. Das Tolle am Science-Fiction-Genre ist, dass du auf aktuelle Themen und Probleme hinweisen kannst, ohne gleich zu sehr mit erhobenem Zeigefinger arbeiten zu müssen. Aber natürlich ist eine Finanzierung immer ein Kampf. Wir haben zwischenzeitlich auch überlegen, ob wir uns auch nach Geldern in den USA umschauen, aber das stellte sich als sehr schwierig heraus.
Dafür seid ihr sprachlich sehr international. Man hätte bei einer deutsch-schweizerischen Produktion erwarten können, dass alles auf Deutsch ist, alternativ auf Englisch für den internationalen Markt. Ihr seid einen anderen Weg gegangen.
Das stimmt. Die Sprache war für uns ein Riesenthema. Da wir davon erzählen, wie die Figuren auf die Erde zurückkehren, war die Frage: Welche Sprache wird da gesprochen? Die erste Idee ist da klar immer Englisch, das sprechen die meisten. Wir haben an der Stelle dann aber doch ein bisschen mehr recherchiert und überlegt, wie könnte sich die Sprache in der Zwischenzeit auf der Erde weiterentwickelt haben. Und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass sich bei den Überlebenden ein Mischmasch durchsetzen würde aus den unterschiedlichsten Sprachen. Diese Idee haben wir dann weiterentwickelt, zuerst mit Google Translate und später mit einer professionellen Linguistin. Ihr Job ist es Filmsprachen zu entwickeln, sie hat auch für Harry Potter eine Sprache kreiert. Durch sie bekam die Sprache eine eigene Grammatik. Sie hat auch viel mit den Schauspielern geübt, damit das die notwendige Konsistenz hat und zum Beispiel das „r“ immer gleich gerollt wird. An der Stelle bin ich auch den Produzenten und Produzentinnen dankbar für ihren Mut, das mit den Sprachen so durchzuziehen und auch nicht zu untertiteln.
Du hast eben schon gemeint, dass dein Film auch aktuelle Themen aufgreift. Eines ist natürlich der Klimawandel und die drohende Katastrophe. Gesprochen wurde über das Thema sehr viel in den letzten Jahren. Hast du denn auch das Gefühl, dass sich etwas konkret getan hat?
Ja, das habe ich schon, da tut sich schon einiges. Irgendwie scheint der Film auch immer aktueller zu werden. Wir haben ja recht lange an der Geschichte gearbeitet und es ist schon interessant zu sehen, wie viel aktueller die Themen in der Zwischenzeit geworden sind. Da ist der Klimawandel, klar. Wir haben in Tides aber auch Beispiele für Kolonialismus und die Unterdrückung anderer. Und das wird immer mehr Thema, was ich sehr erschreckend finde. Bei uns im Film geht es auch viel um die Frage der nächsten Generation und wie es für sie weitergehen kann und soll. Das ist eine Frage, der wir uns unbedingt stellen müssen. Als ich mit meiner Nichte darüber geredet habe, was sie sich von einer Fee wünschen würde, wenn sie drei Wünsche hätte, war ich davon ausgegangen, dass sie gerne eine Prinzessin oder so wäre. Stattdessen sagt sie als erstes, dass der Klimawandel aufhören soll. Da siehst du, wie sehr sich das alles verändert.
Ein anderes Thema ist nicht nur, wie der Mensch mit der Natur umgeht, sondern auch miteinander. Es wird zwar immer behauptet, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. In Endzeitfilmen wird aber gezeigt, dass er wenn es hart auf hart kommt, sich dann doch selbst am Nächsten ist. Bei Tides ist das nicht anders. Ist der Mensch deiner Meinung nach überhaupt ein soziales Wesen?
Das ist natürlich eine sehr philosophische Frage. Aber solche apokalyptischen Filme laden schon dazu ein, sich darüber Gedanken zu machen und was-wäre-wenn-Spiele zu spielen. Deswegen ist es schon spannend zu überlegen, wie man sich selbst wohl in einer solchen Situation verhalten würde. In Ansätzen hat man das jetzt schon während Corona gemerkt. Da hast du gesehen, wie schnell das kippen kann, wenn es dich selbst betrifft. Wie fragil unser System letztendlich ist. Und wie groß die Sehnsucht nach einer Normalität werden kann, wenn sie erst einmal weg ist.
Warum hast du nach Hell überhaupt noch mal einen Endzeitfilm gedreht? Ist das so dein Ding?
Das hat sich einfach so ergeben. Am Anfang standen die beiden Bilder, die ich vorhin erwähnt habe und die wir weiterentwickelt haben. Es war nicht so, dass Co-Autorin Mariko Minoguchi und ich uns zusammengesetzt und entschieden haben: Wir machen jetzt noch einen Endzeitfilm. Das ist im Prozess entstanden. Was ich an Endzeitfilmen dabei mag, ist dieses World Building. Diese Möglichkeit des Kinos, zwei Stunden in eine völlig andere Welt einzutauchen. Das kannst du aber auch bei historischen Stoffen haben. Tatsächlich ist der Stoff, an dem ich gerade arbeite, nicht mehr futuristisch, sondern historisch.
Vielen Dank für das Gespräch!
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