Im heutigen Japan mögen die Geschichten um die berüchtigten Yakuza und ihre Verbrechen immer noch als Inspiration für viele Autoren und die Filmemacher dienen, doch die Realität ist eine ganz andere. So stößt dann auch die Aussage seines gerade aus Gefängnis entlassenen Freundes Tatsu (Yoshiyuki Yamaguchi) bei seinem alten Kameraden Ryu (Yasukaze Motomiya), dass dieser wieder ins Geschäft einsteigen will, auf großen Widerwillen. Die Welt der Yakuza, wie Ryu berichtet, ist eine ganz andere, besonders nachdem der mysteriöse Gizumo (Yutaro) in Tokio in den ehemaligen Revieren der Gangster aufgeräumt hat und die Straßen von ihnen gesäubert hat. Die Bosse flohen entweder oder fielen der Rachsucht Gizumos zum Opfer, der sich die Zerstörung der Yakuza nach einem Trauma in der Jugend als Lebensaufgabe gestellt hat. Stattdessen bietet Ryu seinem alten Freund an, mit ihm als Koch ein Ramen-Restaurant zu betreiben, vor allem da Tatsu nicht nur ein gefürchteter Gangster war, sondern auch für seine formidablen Kochkünste bekannt war. Auch wenn ihm der Abschied von seinem alten Leben wehtut, ermuntert ihn die Aussicht auf einen Neuanfang, sodass er das Geld, welches er versteckt hatte vor seinem Haftantritt, Ryu zu Verfügung stellt, der schon bald das richtige Geschäft gefunden hat, in dem die beiden ihr Restaurant eröffnen können.
Doch in der Gegend gibt es sehr viel Konkurrenz, sodass die erste Zeit eher ernüchternd für die beiden Alt-Gangster ist. Als aber dann ein YouTuber eine überschwängliche Kritik von Tatsus Spezial-Ramen im Internet postet, wird ihr Restaurant zu einem wahren Hotspot in der japanischen Hauptstadt und die beiden können sich vor Kunden kaum retten. Nun, da ihr Traum vom Neustart gelungen scheint, ergibt sich jedoch eine neue Hürde, denn auch ihre einstigen Rivalen, die ehemaligen Yakuza Kazu (Kazuyoshi Ozawa) und Jin (Hitoshi Ozawa), wollen sich mit einem Foodtruck, den sie genau gegenüber ihrem Restaurant parken, ein neues Leben aufbauen. Als wäre diese Konkurrenz nicht schon schlimm genug, wird auch Gizumo auf ihre Fehde aufmerksam und weiß nun, dass er noch längst nicht alle Gangster in die Flucht geschlagen hat.
Ramen statt Blutfontänen
Eigentlich ist der japanische Regisseur Yoshihiro Nishimura vor allem für Genrebeiträge wie Tokyo Gore Police (2008) oder Kodoku: Meatball Machine (2017) bekannt, die besonders wegen ihrer Blutfontänen und ihrer augenzwinkernden Komik sich eines gewissen Kultstatus erfreuen. In Tokyo Dragon Chef, der im Rahmen des diesjährigen Japan-Filmfests Hamburg zu sehen ist, kann man nun eine etwas andere Seite des Regisseurs kennenlernen, die zwar nicht minder verrückt ist, aber auch eine hintersinnige Geschichte über den Konflikt von Moderne und Tradition zu erzählen weiß.
Wie viele Filmindustrien Asiens hat auch die japanische eine lange Tradition, wenn es um das Thema Essen geht. Schon in Filmen wie beispielsweise Nagisa Oshimas Im Reich der Sinne oder Juzo Itamis Tampopo steht das traditionelle japanische Essen nicht nur für die Kultur des Landes, sondern vielmehr für die Lösung eines Konflikts oder eben die wahre Bestimmung eines Menschen. In Tokyo Dragon Chef sind Ramen, wie auch viele andere Aspekte der Geschichte, tief verwurzelt mit dem „alten“ Japan, steht doch dieses Gericht wie kein anderes für eine Vielfalt wie auch eine lange Kultur, die fast schon in einer Wissenschaft mündet, wenn man sich alleine die Fingerfertigkeit der einzelnen Gerichte betrachtet, die Tatsu für seine Kunden zubereitet.
Die alten Yakuza sowie die Tradition der Ramen stehen für das alte Japan, welches in einem Clinch ist mit dem neuen Japan, in diesem Falle repräsentiert durch den von Yutaro gespielten Gizumo. Mit seiner Vorliebe für Steak Dinners sowie das enervierende „Merry Christmas“, welches er immerzu singt und eine Art Obsession zu sein scheint, ist er in Nishimuras Film eine Wiedergänger von Prozessen wie Gentrifizierung, die letztlich vor allem die Vernichtung des Alten anstrebt.
Gemeinsam gegen die neue Ära
Wie für den Inszenierungsstil Nishimuras üblich, fehlt es nicht an abgedrehten Figuren oder auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftigen Sequenzen. Neben einem Wechsel zwischen einer an den Neo-Noir angelehnten Optik stechen die knallig bunten Musical-Szenen oder die ersten Auftritte Gzumos besonders hervor. Immer wieder ist es der scharfe Kontrast, der in Tokyo Dragon Chef wie auch schon in anderen Werken Nishimuras zum Tragen kommt und an den man sich gewöhnen muss, aber der in jedem Fall zu unterhalten vermag. Besonders Filmliebhaber werden ihres Spaß an den zahlreichen Verweisen auf John Landis’ Blues Brothers haben, der in mehr als nur einer Hinsicht die Hauptinspiration für Tokyo Dragon Chef gewesen war.
Die zu den neuen Blues Brothers stilisierten Gangster stellen nämlich die letzte Bastion gegen diese Welle der Moderne und werden mit großer Spielfreude und Selbstironie von den Schauspielern verkörpert, wobei besonders das Zusammenspiel von Yoshiyuki Yamaguchi und Yasukaze Motomiya, beides im Yakuza-Genre erfahrene Darsteller, zu loben ist.
OT: „Tokyo doragon hanten“
Land: Japan
Jahr: 2020
Regie: Yoshihiro Nishimura
Drehbuch: Yoshihiro Nishimura
Musik: Akiko Kawano, Kou Nakagawa
Kamera: Keizo Suzuki
Besetzung: Yoshiyuki Yamaguchi, Yasukaze Motomiya, Yuatro, Kazuyoshi Ozawa, Hitoshi Ozawa, Subaru Ando, Yuki Ashida, Yuta Chatani
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