In seinem Regiedebüt Falling erzählt Hollywood-Star Viggo Mortensen die Geschichte von John, der sich um seinen demenzkranken Vater Willis (Lance Henriksen) kümmern möchte, zu dem er sein ganzes Leben lang ein schwieriges Verhältnis hatte. Das führt regelmäßig zu Konflikten, auch weil der noch immer auf einer Farm lebende alte Mann wenig mit seinem Sohn und dessen Leben in der Stadt anfangen kann. Anlässlich des Kinostarts am 12. August 2021 haben wir uns mit dem Schauspieler und Filmemacher über sein Werk, tiefe Konflikte, Kunst als Kommunikation sowie prägende Erinnerungen unterhalten.
Du erzählst in Falling von einem Vater und einem Sohn, die nicht wirklich zusammenfinden, weil sie zu unterschiedlich sind. Inwiefern ist der Film dabei ein Kommentar über die Spaltung in den USA, die sich quer durch das ganze Land zieht?
Der Film handelt von einer erfundenen Familie, basierend zum Teil aber auf realen Gefühlen und Kindheitserinnerungen von mir. Aber selbst bei einer so persönlichen Geschichte gibt es immer die Möglichkeit, die Familie als Spiegel der Gesellschaft zu sehen. Und damit meine ich nicht nur die amerikanische Gesellschaft, sondern die Menschheit im allgemeinen. Als ich 2015/2016 angefangen habe, die Geschichte zu schreiben, ging es gerade los mit der Kampagne von Trump. Schon bevor er Präsident wurde, war klar, dass er ein ungewöhnlicher Mensch ist, der süchtig ist nach Aufmerksamkeit. Sein Hauptziel ist, dass die Leute den ganzen Tag nur über ihn reden. Da spielt es schon fast keine Rolle mehr, ob sie etwas Positives oder Negatives über ihn zu sagen haben. Hauptsache, es geht um ihn. Ich denke, dass er als Präsident ein kolossaler, destruktiver Fehler war. Aber es ist ihm gelungen, ständig im Gespräch zu bleiben, indem er die Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben hat.
Als wir dann 2019 endlich mit dem Drehen beginnen konnten, war Trump ein so dominantes Thema, dass der Film automatisch auch zu diesem Spiegel der Gesellschaft wurde. Das ließ sich gar nicht vermeiden. Der Film selbst sollte aber nicht primär als Kommentar über die Gesellschaft gesehen werden. Deswegen habe ich die Gegenwart der Geschichte auch 2009 angesetzt, kurz nachdem Obama zum Präsidenten gewählt wurde. Die Spaltung gab es da aber natürlich auch schon. Die hat es immer gegeben, seit den Anfängen der Menschheit. Aber sie ist in den letzten Jahren sehr viel stärker und ansteckender geworden, wie ein Virus. Ich würde sogar sagen, dass die Spaltung, wie sie in den USA, aber auch in anderen Ländern vorliegt, die zweite große Pandemie unserer Zeit ist.
Wenn die Spaltung nicht das Hauptthema des Films ist, was ist es dann? Was wolltest du mit Falling erzählen?
Mir ging es darum zu zeigen, wie Menschen versuchen miteinander zu kommunizieren und dabei scheitern. Wie sie versuchen, ihre unterschiedlichen Erinnerungen in Einklang zu bringen. Denn jeder erinnert sich auf seine Weise. Selbst gemeinsame Erlebnisse können je nach Perspektive völlig unterschiedlich aussehen. Und das lässt sich nicht ohne Weiteres beheben. Es kann nicht jeder immer alles vergeben. Es können auch nicht alle einen Weg finden, um miteinander zu kommunizieren, selbst wenn in Filmen oft so getan wird. Ich mag Filme, bei denen nicht alles am Ende aufgelöst wird und der Regisseur nicht alles vorgibt, was ich denken und fühlen soll. Wenn er Puzzleteile anbietet, die ich dann selbst zusammensetzen kann und bei denen ich meine eigenen Schlüsse ziehen kann. Im Grunde habe ich mit Falling also einen Film machen wollen, den ich selbst gerne sehen würde und bei dem ich hoffe, dass es dem Publikum auch so geht.
Du hast eben schon gemeint, dass Erinnerungen sehr unterschiedlich ausfallen können, wir sie also verändern. Gleichzeitig werden wir aber auch durch diese Erinnerungen geprägt. Wie sehr bestimmen wir unsere Erinnerungen, wie sehr werden wir durch diese bestimmt?
Die meisten Menschen sind der Ansicht, dass die Gegenwart sehr verwirrend und in einem ständigen Fluss ist. Die Zukunft ist ohnehin noch unbekannt. Wir haben vielleicht Ideen und Hoffnung, was da geschehen wird. Letztendlich haben wir aber keine Ahnung. Die Vergangenheit steht hingegen fest. Was geschehen ist, ist eine Tatsache. Und doch neigen wir dazu, diese Tatsachen unbewusst immer ein bisschen abzuwandeln. Deswegen sind auch Erinnerungen nicht konstant. Sie können sich im Laufe der Zeit ändern, selbst von einem Jahr zum nächsten. Wir versuchen im Grunde unsere Vergangenheit zu kontrollieren, damit wir uns in der Gegenwart wohlfühlen. Dabei bestimmt die Vergangenheit maßgeblich, wer wir sind, wie wir uns verhalten, wie wir mit anderen Menschen umgehen. Die Vergangenheit kontrolliert uns also sehr viel stärker, als wir sie kontrollieren. Denn auch wenn wir daran glauben und glauben wollen, haben sich die Dinge oft nicht so abgespielt, wie uns das unsere Erinnerung sagt. Und das finde ich sehr interessant.
Kunst wiederum stellt den bewussten Versuch dar, die Gegenwart zu kontrollieren. Du versuchst damit im besten Fall zu interpretieren, was um dich herum geschieht und welche Gefühle das in dir auslöst. Manchmal tust du das nur für dich selbst. Manchmal gibst du das mithilfe der Kunst an andere weiter. Bei kleinen Kindern gibt es noch keine Unterscheidung zwischen Künstler und Nicht-Künstler. Sie verarbeiten zum Beispiel in Bildern das Gesehene. Das ist eine Form der Kommunikation, die wir alle als Kind noch nutzen. Die Unterscheidung, was davon dann wirkliche Kunst ist und was nicht, kommt erst später und ist dann oft sehr willkürlich.
Wenn wir alle diesen Drang nach Kommunikation haben, warum scheitert die dann so oft?
In meinem Film wollte ich untersuchen, welche Grenzen Kommunikation hat und ob das mit Grenzen des Mitgefühls einhergeht. Ich glaube nicht, dass es wirklich Grenzen gibt. Aber jeder entscheidet letztendlich für sich selbst, wie er mit einer solchen Situation umgeht. Wenn du zum Beispiel in einer Beziehung missbrauchst wirst, musst du entscheiden: Will ich das fortsetzen? Kann ich etwas ändern? Oder sollte ich einfach gehen? Aber wenn du gehst, dann war es das und du kannst dieses Verhältnis nicht mehr weiterentwickeln. Bleibst du hingegen, hast du vielleicht die Chance, noch einmal an dieser Kommunikation etwas besser zu machen. Eine Chance ist immer da, solange du den Kontakt hälts. Eine Garantie gibt es aber nicht, dass es auch wirklich besser wird, vor allem wenn jemand so schwierig ist wie Willis.
Wie schwierig war es für dich, gleichzeitig Regie zu führen und zu schauspielern? Zumal es auch noch deine erste Regiearbeit war.
Nicht so schwierig, wie ich im Vorfeld dachte. Klar war ich nicht sicher, ob das alles so klappen würde. Zum einen weil es eben mein Debüt war. Außerdem wollte ich meine volle Aufmerksamkeit geben und wusste, dass ich nur diese eine Chance haben würde, um meine Geschichte zu erzählen. Deswegen wollte ich das so gut machen, wie ich konnte. Es war auch kein einfacher Dreh, da wir im Winter gedreht haben, wenn du nur wenige Stunden drehen kannst. Wir haben wir viel mit Kindern gearbeitet. Es gab ambitionierte lange Szenen mit sehr viel Text. All das war eine Herausforderung. Aber ich hatte von den besten Regisseuren gelernt, mich sehr genau vorzubereiten, früh die Locations zu suchen und an den Bildern zu arbeiten, die für die subjektiven Erinnerungen gebraucht würden. Dadurch war es kein Problem, beim Drehen gleichzeitig auch selbst zu spielen, weil wir die Vorarbeit bereits getan hatten. Für Lance, der meinen Vater spielt, war es auf diese Weise außerdem einfacher, da wir sehr eng zusammenarbeiten konnten, ich eben nicht nur Regisseur, sondern auch Schauspieler war. Dadurch konnten wir leichter gemeinsam nach Lösungen für schwierige Szenen suchen, weil wir uns als Schauspieler auf Augenhöhe begegneten. Ich war selbst als Schauspieler auch weniger nervös als normal, weil ich auf viel mehr Details achten musste.
Wenn du selbst in der Situation wärst, nach und nach dein Gedächtnis zu verlieren und du könntest nur eine Erinnerung behalten, welche wäre das?
Was für eine großartige Frage! Wahrscheinlich würde ich dir da jeden Tag eine andere Antwort geben. Aber das erste Bild, das mir hier in den Sinn kommt, war, als ich noch in Idaho lebte, in einem Wald nahe der kanadischen Grenze. Es war eine dieser besonders kalten Nächte, wenn der Schnee glitzert und ganz trocken ist. Der Mond leuchtete hell, es war fast ein Vollmond, kein Wind wehte, und ich saß am Eingang und betrachte den frischen Schnee, in dem noch keine Spuren zu sehen waren. Es war ganz still, nur der Schnee machte etwas, das fast ein Geräusch war. Und ich dachte für mich: Das ist der perfekte Moment. Ich war nicht in Eile, machte mir keine Sorgen, über nichts. Ich war vollständig da, mit all meinen Sinnen. Das wäre eine Erinnerung, die ich gern behalten würde. Doch während ich das erzähle, fällt mir noch eine zweite ein, die noch etwas sentimentaler ist. Eine meiner frühesten Erinnerungen, da war ich vielleicht anderthalb oder zwei Jahre alt, ist, wie ich in dem Schoß meiner Mutter liege und zu ihr heraufblicke. Ich erinnere mich noch an ihr Gesicht, wie ich es von unten sehe. Ich glaube, ich bin an der Stelle dann einfach mal gierig und behalte beide Erinnerungen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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