Was als ein Hobby begann, wird für Leah (Lily Newmark) bald mehr denn die YouTuberin will als Video-Künstlerin Karriere machen. Um aber eine überzeugende Arbeit abzuliefern, die ihr eine erste Ausstellung garantieren könnte und damit einen Zugang zu den nötigen Beziehungen in der Kunstszene Englands, sucht sie schon seit Wochen nach einem geeigneten Thema, wobei sie hofft, wie auch bei ihren Videos auf YouTube, die nötige Inspiration in den Straßen der Stadt zu finden. Auch wenn sie dies von den besseren, wohlhabenden Gegenden, in denen sie aufgewachsen ist, wegbringt, ist sie bereit, sich aus ihrer Komfortzone zu entfernen und wird schließlich belohnt, als sie eines Tages auf Benji (Ola Orebiyi) und seinen Freund Archie (Craige Middleburg) trifft. Als Sohn afrikanischer Einwanderer erscheint Benji ein mehr als geeignetes Thema, versucht er doch Anschluss an die britische Gesellschaft zu finden und sich gleichzeitig von der Drogenkriminalität um ihn herum fernzuhalten, was ihm aber nicht immer gelingt. Was zunächst als vorsichtige Annäherung beginnt, wird für Leah und Benji zu weitaus mehr, denn aus den vielen weiteren Treffen entwickelt sich eine Beziehung, wobei die YouTuberin nie vergisst, warum sie eigentlich die Nähe zu dem jungen Mann suchte.
Zwar ahnt Benji, dass Leah nicht aus selbstlosen Motiven die Nähe zu ihm suchte, doch als er bei einer Ausstellung mit den Früchten der Arbeit seiner Freundin konfrontiert wird, ist dies nicht nur ein Schock für ihn, sondern auch ein Vertrauensbruch. Parallel kämpft er darum, dass Archie nicht noch weiter in die Drogensucht abdriftet, wird dieser doch immer unzurechnungsfähiger und aggressiver, sodass die Verbindung zu Benji das einzige ist, was ihm noch etwas Halt gibt. Als Leah dann in Schwierigkeiten ist und Benji ihr, trotz der Kränkung, die er erfahren hat, hilft, wird ihnen beiden deutlich, nicht nur wie sehr ihre beiden Welten voneinander entfernt sind, sondern auch, wie weit sie gehen würden für ihre Beziehung.
„Wir sind alle irgendwie Schauspieler.“
Mit A Brixton Tale legen die Regisseure Darragh Carey und Betrand Desrochers nicht nur ihre erste gemeinsame Arbeit vor, sondern auch ihr Spielfilmdebüt, was bereits aus vielen internationalen Filmfestivals wie dem Glasgow Film Festival und dem Shanghai International Film Festival lief und dort von der Presse gefeiert wurde. Im Rahmen des diesjährigen Oldenburg Filmfestival erfuhr der Film seine Deutschlandpremiere, sodass auch das hiesige Publikum die Mischung aus Romanze und Drama, kombiniert mit vielen medienkritischen Aspekten, erleben durfte. Dabei werden nicht nur Aspekte wie Rassismus, Gentrifizierung und soziale Ungleichheit aufgegriffen, sondern die Filmemacher stellen auch die Frage, inwiefern wir selbst uns an das Zusehen gewöhnt haben, ohne aber an haltlosen Zuständen aktiv etwas zu verändern.
Symbolisch für dieses Oberthema von A Brixton Tale steht die Kamera, die Leahs ständige Begleiterin auf ihren vielen Streifzügen durch London ist. Wie festgewachsen scheint diese, wenn sie sich Benji und Archie das erste Mal nähert, was die beiden Männern zunächst zu einigen anzüglichen Scherzen hinreißt, aber später vor allem Benji immer mehr stört. Jedoch ist es nicht nur das Filmen an sich, sondern vielmehr auch das Schneiden und die Effekte, mit denen das Video für die Ausstellung oder den YouTube-Kanal versehen wird, die durch ihre Ästhetisierung eine gewisse Distanz mit sich bringen. Anstatt einer Annäherung wird eine Grenze gezogen, wird ein Leben und eine Person sich angeeignet über den Umweg der Kamera, was einem gewissen Besitzdenken entspricht, das Leah, wie auch viele andere Figuren im Film, nicht ablegen können.
Dieses Thema, seine narrative wie ästhetische Behandlung, ist sinnbildlich für den Umgang der Filmemacher mit den Figuren, ihrer Welt und den anderen thematischen Aspekten, von denen es nicht wenige in A Brixton Tale gibt. Carey und Desrochers bewegen sich angenehm über dem Anspruch eines weiteren „Problemfilmes“, der diese abbildet, aber sich diesen nicht nähern kann oder diesen etwas abgewinnt. Lediglich die Herangehensweise changiert dabei zwischen Subtilität und dem Plakativen, was vielleicht auch der recht kompakten Laufzeit des Filmes geschuldet ist.
„Wo bleibt die Härte?“
Was A Brixton Tale besonders macht und ihm eine gewisse Authentizität gibt, sind die unverbrauchten, teils noch sehr jungen Darsteller, allen voran Ola Orebiyi als Benji. In der Beziehung zu Leah zeichnet sich ein Konflikt ab von der Unumgänglichkeit sozialer Grenzen, wobei eine Annäherung wichtig ist, aber immer in gewissen Bahnen verläuft, aber letztlich unmöglich ist. Orebiyi spielt Benji mit einer großen Empathie und Intelligenz, fällt dieser doch keinesfalls in das Muster, was Leah durch ihre Videos auf diesen projiziert, denn Benji ist nicht nur wortgewandt und leidenschaftlich, sondern bisweilen auch entwaffnend scharfsinnig, was die Szenen mit Orebiyi zu den Highlights in A Brixton Tale macht.
OT: „A Brixton Tale“
Land: UK
Jahr: 2021
Regie: Darragh Carey, Bertrand Desrochers
Drehbuch: Darragh Carey, Rupert Baynham, Chi Mai
Musik: Peter Venne
Kamera: Kristof Brandl
Besetzung: Lily Newmark, Ola Orebiyi, Craige Middleburg, Jime Winstone, Barney Harris, Lee Nicholas Harris
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