In Helden der Wahrscheinlichkeit – Riders of Justice erzählt Anders Thomas Jensen von vier Männern, die sich nach einem verheerenden Zugunglück mit mehreren Toten zusammentun, um den Schuldigen ausfindig zu machen. Doch dabei müssen sie sich auch mit eigenen Abgründen auseinandersetzen, welche ihr Leben bislang begleitet haben. Zum Kinostart am 23. September 2021 haben wir uns mit dem dänischen Regisseur und Drehbuchautor über die Arbeit am Film, das Konzept von Gerechtigkeit und den Sinn des Lebens unterhalten.
Könntest du uns ein wenig über die Entstehungsgeschichte von Helden der Wahrscheinlichkeit erzählen? Wie bist du auf die Idee für den Film gekommen?
Das waren zwei Faktoren. Zum einen wollte ich einen Film machen, bei dem ich die Möglichkeiten teste, Genres miteinander zu vermischen. Ich habe vorher eine Reihe sehr schwarzer Komödien wie Adams Äpfel gedreht, die in ihrer eigenen Welt spielen. Genauso habe ich aber auch als Autor zusammen mit Susanne Bier Melodramen in einer hyperrealistischen geschrieben. Und ich habe immer davon geträumt, diese beiden Arten von Filmen zusammenzubringen und zu schauen: Geht das? Kann ich ein ernstes Familiendrama mit einer schwarzen, überdrehten Komödie verbinden? Der zweite Faktor ist die Figur Markus, die von Mads Mikkelsen gespielt wird: ein Mann, der an einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder auch einer Depression leidet und alles aufgegeben hat, was dem Leben Bedeutung geben kann. Er glaubt nicht an Religion oder Schicksal. Er glaubt an nichts mehr, hat auch keinen Bezug mehr zu seinen eigenen Gefühlen. Sein einziger Weg Probleme zu lösen besteht in Gewalt. Meine Idee war, einen solchen Mann eine Tochter haben zu lassen und zu beschreiben, wie deren Verhältnis aussieht. Das wäre ein typischer Susanne Bier Film geworden. Aber dann ist Otto hinzugekommen und hat alles durcheinandergebracht. Ein Weg, wie Menschen aus einem solchen Tief wieder herausfinden, ist neben den üblichen Dingen wie Liebe, Familie oder Medikamenten die Möglichkeit, Verbindungen zu erkennen. Das kann zum Beispiel bedeuten, mit der eigenen Arbeit Geld zu verdienen und auf diese Weise für die Familie zu sorgen. Eine solche Verbindung kann deinem Leben einen Sinn geben. Diese Verbindung ist ganz klar und einfach. Das Tückische an einer Depression ist jedoch, dass du selbst etwas derart Einfaches nicht erkennst. Du siehst in einem solchen Zustand nichts mehr. Wenn Otto ankommt mit seiner Theorie, dass die Ereignisse zu unwahrscheinlich für einen Zufall waren, dann sieht Markus plötzlich wieder einen Sinn in allem.
Wenn du schon sagst, dass dein Film verschiedene Genres in sich vereint, wie würdest du das Ergebnis beschreiben? Was ist Helden der Wahrscheinlichkeit für dich?
Das ist der Punkt. Du brauchst bei Filmen immer eine Genreangabe, um ihn verkaufen zu können. So wie die Leute beim Essengehen eine klare Kategorie brauchen: Sushi, Italienisch usw. Helden der Wahrscheinlichkeit würde ich hingegen als Buffet beschreiben. Auch wenn ich den Film am ehesten noch als Komödie bezeichnen würde, ist er eigentlich ein Komödien-Drama-Actionfilm.
Der auch noch Elemente des Rachethrillers verwendet.
Stimmt. Dann machen wir einen existenziellen Komödien-Drama-Action-Rachethriller daraus. Du siehst, dass ich selbst Schwierigkeiten damit habe, den Film zu beschreiben. Aber ich mag das. Ich liebe Filme, die ich nicht beschreiben kann und bei denen ich keine Ahnung habe, was ich da genau bekomme. Natürlich ist nichts verkehrt daran, wenn man genau das bekommt, was man erwartet. Wenn zum Beispiel Liam Neeson mal wieder einen Rachethriller dreht. Für mich brauche ich aber mehr, um mich dafür noch interessieren zu können. Zu oft habe ich das Gefühl: Ja, kenne ich, hier war ich schon mal. Ich mag es, wenn mich ein Film überraschen kann.
So wie die Szene, in der sie das Auto anhalten und Lennart aussteigt. Das was folgt, ist mir sehr nahe gegangen und habe ich so nicht kommen sehen.
Ganz genau. Das ist schon eine sehr heftige Szene. Im Produktionsteam gab es auch Stimmen, dass wir sie rausschneiden sollten. Was auch interessant ist: Wir hatten Testvorführungen des Films und haben das Publikum gefragt, welche Szenen sie am besten und welche am schlechtesten fanden. Diese tauchte bei beidem oben auf. Ich mag sie selbst sehr gerne und steht für diese Mischung aus den Genres, über die wir gesprochen haben. Die Szene fängt komisch an, als etwas, über das man lachen kann, und verwandelt sich dann in etwas ganz anderes, bei dem du nicht mehr verstehst, was passiert.
In Helden der Wahrscheinlichkeit arbeitest du wieder mit einigen deiner Stammschauspieler zusammen. Wie war es für dich, die Gang wieder zusammenzubekommen?
Ich hatte noch nie so viel Spaß dabei, bei einem Film Regie zu führen, wie bei diesem hier. Normalerweise bin ich gar nicht so scharf drauf, selbst Regie zu führen, weil ich dann immer so angespannt bin. Hier war ich deutlich relaxter. Vielleicht werde ich auch einfach nur alt. (lacht) Dabei waren die Bedingungen gar nicht so toll. Wir haben oft bei minus zwanzig Grad drehen müssen. Aber wir hatten jede Menge Spaß dabei. Lars Brygmann, der den Lennart spielt, hat viel dazu beigetragen. Wenn ich mit Mads und den anderen drehe, dann ist das so routiniert, dass uns kaum noch etwas überrascht. Lennart hat das geschafft und uns auch zum Lachen gebracht. Er hat noch einmal etwas völlig Neues mit in den Film gebracht.
Wusstest du beim Schreiben auch schon, wer welche Rolle erhält?
Ja. Ich versuche zwar zwischendurch auch schon mal ein bisschen zu wechseln. Aber am Ende lande ich meistens doch da, wo ich angefangen habe. Ich wusste, dass Mads Markus wird und Nikolaj wird Otto.
Und wie viel Einfluss hatten sie dann auf die Figuren, wenn sie vorher schon geschrieben und fest zugeteilt waren?
Eine Menge! Den haben sie immer. Ich habe zwar immer einen ersten Entwurf und probe dann mit den Jungs, lasse sie die Texte vorlesen. Aber sie bringen sich danach fast immer noch selbst ein und machen eigene Vorschläge, etwa um die Psychologie der Figuren zu stärken. Ich weiß immer, wo die Figuren am Ende landen sollen. Und Mads und die anderen sind sehr gut darin, den Weg dorthin auszufüllen. Wir sitzen dann zusammen, diskutieren, trinken das eine oder andere Bier. Wenn wir aber erst einmal mit dem Dreh angefangen haben, ändern wir nicht mehr viel. Die Budgets und damit der Zeitrahmen sind so knapp, dass wir nicht groß rumprobieren können.
Könntest du uns noch ein wenig über den internationalen Titel Riders of Justice verraten? Normalerweise würde man da erwarten, dass die Protagonisten damit gemeint sind. Stattdessen ist das der Name der Gegenspieler.
Ja, aber die Protagonisten denken, dass sie Riders of Justice sind. Das ist der Witz an der Sache. Sie kommen gar nicht auf die Idee, dass ihr Rachefeldzug etwas Schlechtes sein könnte. Sie glauben wirklich, dass sie für die Gerechtigkeit kämpfen, und merken irgendwann gar nicht mehr, was sie da genau tun.
Wie würdest du denn Gerechtigkeit definieren?
Es ist natürlich schwierig, dafür eine Definition zu finden, die für alle gilt. Ich denke, dass viel von dem, was wir unter Gerechtigkeit verstehen, auf christliche Moralvorstellungen zurückzuführen sind. Aber im Grunde kannst du alles Gerechtigkeit nennen. Es gibt auch Gesellschaften, die unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit andere unterdrücken. Dabei bedeutet für mich Gerechtigkeit auch Freiheit des Einzelnen. Wenn ich Gerechtigkeit definieren müsste, würde ich sagen, besteht sie darin, anderen nicht zu schaden. Und wenn du es doch tust, wirst du dafür bestraft.
Nun sind sich die Leute aber nicht immer einig darüber, ob etwas gerecht ist oder nicht. Gibt es überhaupt eine objektive Gerechtigkeit?
Ich denke, dass eine Gerechtigkeit, die sich innerhalb der Gesetze eines Landes bewegt, objektiv ist. Es braucht eine Form von Objektivität und Regeln, die klar festgelegt sind, damit das Ganze funktioniert. Du wirst natürlich immer jemanden finden, der aus seiner Sicht sagt, dass etwas gerecht ist, obwohl ihm alle anderen widersprechen. Deswegen brauchst du diese Gesetze und Regeln, die für alle gelten.
Sie gelten dann aber nur innerhalb dieses Landes. Was im einen Land erlaubt ist, ist in anderen verboten und umgekehrt.
Stimmt. Aber das ist völlig in Ordnung, solange die Mehrheit innerhalb dieses Landes hinter dem jeweiligen System steht und es einen Konsens gibt, was erlaubt ist und was nicht. Die Mehrheit ist es, die eine Objektivität erschafft. Schwierig wird es, wenn eine kleine Gruppe für alle anderen festlegen will, was erlaubt ist. Ich kann auch nicht einfach sagen, es ist okay, Hotels abzufackeln, gegen den Willen der Mehrheit. So funktioniert das nicht. Natürlich kannst du an der Stelle einwenden, dass ein solches System einer Minderheit gegenüber ungerecht sein kann, wenn diese zum Beispiel unterdrückt wird. Aber das wäre dann eine andere und viel größere Diskussion.
Bei Rachefilmen geht es oft darum, dass eine Gerechtigkeit auf regulärem Weg nicht möglich ist, weshalb die Leute die Sache in die eigenen Hände nehmen. Wäre das dann noch gerecht?
Natürlich nicht. Da hast du eben den Fall, dass mehrere Systeme und Vorstellungen von Gerechtigkeit parallel existieren können. Bei solchen Selbstjustiz-Geschichten hast du eine emotionale Überzeugung, was gerecht ist. Ich kann das durchaus nachvollziehen. Vielleicht würde ich in solchen Situationen genauso fühlen, wenn das System versagt hat. Aber das musst du in solchen Fällen eben existieren. Wenn Einzelne anfangen, auf eigene Faust das System zu unterwandern, dann sind wir verloren. Dann kannst du das System auch aufgeben.
Wir hatten es vorhin schon kurz von dem Thema, wie man im Leben einen Sinn finden kann. Denkst du, dass das Leben überhaupt einen Sinn hat?
Nein, objektiv gesehen nicht. Das ist einfach zu beantworten: Wir könnte das Leben an sich einen Sinn haben? Jeder muss für sich selbst einen Sinn finden. Wenn es den einen Sinn geben würde, bräuchten wir zum Beispiel nur eine Religion. Dass wir aber so viele haben, ist der Beweis, dass es nicht die eine Antwort geben kann.
Und was wäre dein eigener Sinn des Lebens?
Der wäre tatsächlich dem im Film sehr ähnlich. Sich mit Leuten umgeben, die man liebt, und mit diesen Zeit zu verbringen, kommt einem allgemeinen Sinn noch am nächsten. Wenn du mehr als das suchst, ist die Gefahr groß, am Ende enttäuscht zu werden. Natürlich kannst du deinem Leben auch punktuell einen Sinn geben, indem du einen Film drehst oder Kinder bekommst. Aber dadurch bekommt das Leben an sich noch keinen Sinn. Was lustig ist: Ich habe vor Kurzem eine Radiosendung gehört, in der zwei Biologen zu Gast waren. Und als sie nach dem Sinn des Lebens gefragt wurden, haben sie nur laut gelacht. Gerade weil sie das Leben studieren, ist für sie klar, dass es keine Bedeutung hat. Der Sinn des Lebens ist nur das Leben. Mehr ist da nicht.
Und wie viel von dem Sinn in deinem eigenen Leben hängt mit deiner Arbeit als Filmemacher zusammen?
Im Moment sehr viel. Das war aber auch schon mal anders. Zehn Jahre lang habe ich praktisch gar nichts gemacht, weil ich mich um meine Kinder gekümmert habe. Der Sinn meines Lebens bestand darin, vier Kinder zu haben. Okay, ich weiß nicht, ob ich das wirklich als Sinn bezeichnen würde. Aber ich war zu beschäftigt, um darüber nachzudenken. Später werden sie älter, fangen an zu trinken und zu rauchen und wollen nicht mehr in deiner Gegenwart gesehen werden. Du musst sie immer ein Stück weiter vorne absetzen, weil du ihnen peinlich bist. Dadurch ist Film jetzt wieder wichtiger für mich geworden. Wobei Filme immer wichtig waren für mich, auch das Anschauen von Filmen. Auch da weiß ich nicht, ob ich von einem Sinn des Lebens sprechen würde. Aber es ist ein guter Zeitvertreib. Tatsächlich gibt es wohl kaum etwas, mit dem du besser die Zeit vertreiben kannst, als mit einem Film. Wenn ich einen Film drehe, denke ich über vieles nicht nach, was auch eine Form des Glücks ist.
Für viele dürfte Glück auch tatsächlich den Sinn des Lebens ausmachen. Dein Leben ist sinnvoll, wenn du glücklich damit bist.
Aber reicht das aus? Ich glaube, wenn ich einfach nur glücklich wäre, wäre ich nach zwei bis drei Wochen schon so abgestumpft, dass ich mich umbringen wollen würde. Die Idee des Glücks ist wirklich schön, solange du es nicht hast. Wenn aber alles passt, fehlt wieder etwas. Mir zumindest. Ich brauche irgendetwas, wofür ich kämpfen kann oder wogegen ich kämpfen kann. Ich will etwas tun. Ich will etwas erreichen. Ich will diesen Berg bezwingen. Bist du dann erst einmal oben, wird es langweilig.
Also ist der Sinn des Leben die Suche nach dem Glück?
Das gefällt mir, das nehme ich. Dann lass uns nur hoffen, dass wir dieses Glück nie finden werden.
Es gibt in dem Film die schöne Szene, laut der dein Beruf die Art und Weise beeinflusst, wie du Probleme und Krisen angehst. Als Beispiele werden da ein Soldat und ein Yogalehrer genannt. Wie sieht es bei Filmemachern aus? Wie hat dich dein Beruf in der Hinsicht geprägt?
Das ist eine gute Frage. Wenn du dabei bist ein Drehbuch zu schreiben, musst du aufpassen, dass du die Leute, denen du begegnest, nicht unter einem beruflichen Blickwinkel betrachtest. Du hast all die Figuren und all die psychologischen Beweggründe, warum sie etwas tun. Auf diese Weise lernst du, Menschen sehr schnell als das einzuschätzen, was sie sind. Du erkennst ihren Charakter, nur indem du sie zwei Minuten lang beobachtest und ihnen zuhörst. Manchmal bist du dabei sogar so arrogant zu meinen, dass du weißt, wer von ihnen gut und wer böse ist. Aber das ist ein Irrtum, dafür sind die Menschen einfach zu komplex. Dennoch bin ich jemand, der in Krisensituationen tief in andere Leute eintaucht, auch weil ich mich sehr für Menschen interessiere und wissen will, wie sie ticken. Das klappt mal besser, mal schlechter. Da passiert so vieles im menschlichen Gehirn, bei dem ich nicht verstehe, was da genau vor sich geht. Auch bei mir selbst verstehe ich nicht immer alles. Wir sind eine so seltsame Spezies. Ich verbringe so viel Zeit damit, andere zu beobachten und verstehen zu wollen. Das hilft mir glaube ich schon in Krisen.
Ein weiteres Thema im Film ist das des Mitgefühls. Otto ist sehr empathisch anderen Leuten gegenüber, Markus überhaupt nicht. Und die Frage ist, wieso manche Leute Mitgefühl haben und andere nicht. Ist das angeboren, wie Mathilde es befürchtet, aus Angst, sie könnte wie Markus werden? Oder ist es das Ergebnis von etwas, das uns geschehen ist?
Ich bin sicher, dass viele Studien zu dem Thema gemacht worden sind. Ich selbst habe jetzt keine Daten dazu, denke aber, dass es ein Mix aus beidem ist. Es gibt leider Menschen, die mit einem beschädigten Gehirn aufwachsen und deshalb kein Mitgefühl haben. Das kannst du an den Serienmördern sehen, die im besten Umfeld aufgewachsen sind und viel Liebe erfahren haben, dann aber doch zu Monstern wurden. Da muss es also einen angeborenen Defekt geben. Auf der anderen Seite ist Mitgefühl auch etwas, das du kultivieren kannst und vielleicht auch musst. Ich tue das bei meinen eigenen Kindern seit ihrer Geburt. Du hast in jeder Klasse jemanden, mit dem keiner spielen will. Meine Frau und ich haben unseren Kindern aber immer gesagt, dass du mit jedem spielen musst, und haben versucht ihnen klar zu machen, wie es für sie wäre, wenn sie in der Situation wären. Wenn sie derjenige wären, mit dem niemand spielen will. Jetzt wo ich darüber nachdenke, befürchte ich, dass Mitgefühl weniger angeboren ist, als ich es mir wünschen würde. Wenn du zum Beispiel zwei Kinder am Strand siehst, die beide denselben Eimer haben wollen, dann würden die sich gegenseitig richtig weh tun, wenn kein Erwachsener dazwischengeht. Die müssen das also lernen. Genauso kann es auch passieren, dass du dieses Mitgefühl wieder verlernst. Ich habe einige kennengelernt, die es später verloren haben, weil das Leben hart zu ihnen war oder sie schlecht von anderen behandelt wurden. Vielleicht haben sie auch geliebte Menschen verloren und sind dazu übergegangen, ein zu großes Ganzes zu sehen. Da wir sowieso alle irgendwann sterben müssen, ist für sie nichts mehr von Bedeutung. Es ist sehr traurig wenn so etwas passiert und es dir egal ist, was mit anderen passiert. Aus diesem Grund ist es wichtig, wenn du dein Mitgefühl pflegst.
Können solche Krisen nicht aber auch dazu führen, dass du mehr Mitgefühl entwickelst? Wenn du zum Beispiel deinen Vater verloren hast, dass du dann mehr mitfühlst, wenn jemand anderes seine Eltern verliert?
Das stimmt, genau. Es gibt beispielsweise Leute, die immer so erfolgreich waren und nie Leid erlebt haben, dann haben sie auch nie gefühlt, was andere gefühlt haben. Wenn solche Leute dann doch mal eine Krise durchmachen, kommt es vor, dass sie sich öffnen und erkennen, was das für andere bedeutet. Ich kenne Leute, die ähnlich wie Markus jemanden verloren haben und im Anschluss mehr Mitgefühl für diejenigen entwickelten, die um sie herum waren. Aber dieses Mitgefühl kann auch wieder verloren gehen.
Eine Erkenntnis innerhalb des Films ist, wie kleinste voneinander unabhängige Ereignisse ein entscheidendes Ergebnis nach sich ziehen. Wie das gestohlene Fahrrad, das über Umwege zum Tod der Mutter führte. Welchen Schluss zieht man aus einer Solchen Erkenntnis? Wäre es da nicht naheliegend, ganz fatalistisch zu werden, weil du ohnehin nichts kontrollieren kannst?
Das ist der Punkt des Films. Alles hängt irgendwie zusammen, eines führt zum anderen. Doch mach deswegen nicht den Fehler, das in irgendeiner Form nutzen oder kontrollieren zu wollen. Das führt zu nichts. Otto hat das viele Jahre getan. In seinen Berechnungen von Wahrscheinlichkeiten hat er Halt gefunden. Die Zahlen waren ein Trost für ihn. Wir alle kennen diese Gedanken, wenn etwas Schlimmes passiert ist: Hätte ich mich an der Stelle nur anders verhalten, wäre alles ganz anders gekommen. Aber damit tust du dir keinen Gefallen. Selbst wenn unser Gehirn nach Mustern und Zusammenhängen sucht, lass es bleiben. Such nicht nach Gründen, warum ein Schicksalsschlag eingetreten. Du tust dir nur selbst damit weh. Shit happens. Und es gibt nichts, das du dagegen tun kannst.
Was sind deine nächsten Projekte?
Ich bin gerade dabei, ein Drehbuch mit Nikolaj Arcel abzuschließen. Das wird ein Historienfilm, der auf einem Buch basiert. Mehr darf ich darüber aber noch nicht verraten. Außerdem arbeite ich ebenfalls mit Arcel an der Miniserie The Monster of Florence mit Antonio Banderas.
Vielen Dank für das Gespräch!
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