Das Café Abu Nawas ist ein beliebter Treffpunkt von Menschen, die aus dem Irak gekommen sind und die dort eine Möglichkeit finden, sich über ihre Heimat auszutauschen. Dabei könnten sie unterschiedlicher kaum sein. Amal (Zahraa Ghandour) arbeitete als Architektin, hält sich hier jedoch als Bedienung über Wasser. Taufiq (Haytham Abdulrazaq) war hingegen ein Mann der Worte. Bei seinem Neffen Naseer (Shervin Alenabi), um den er sich seit dem Tod seines Bruders kümmert, fehlen ihm dagegen oft die richtigen Worte – vor allem als der unter dem Einfluss von Yassin (Farid Elouardi) zunehmend radikalisiert. Und dann wäre da auch noch der IT-Spezialist Muhanad (Waseem Abbas), der hier endlich seinen homosexuellen Gefühlen nachgehen kann, ohne Repressalien fürchten zu müssen – so dachte er zumindest …
Flucht vor der Unterdrückung
Ein bisschen unheimlich ist es schon, dass Baghdad in My Shadow ausgerechnet jetzt in die Kinos kommt. Schließlich sind die Nachrichten noch immer voll mit Meldungen um die Zustände in Afghanistan, nachdem die Weltgemeinschaft Hals über Kopf geflohen ist. Zwar spielt der Film nicht dort, sondern in England, genauer in London. Außerdem geht es um Menschen aus dem Irak, nicht Afghanistan. Und doch sind da einige Szenen dabei, die erschreckend an die derzeitigen Vorgänge im asiatischen Land erinnern. Verfolgt von Islamisten, die ihre sehr eigene Interpretation des Koran andere überstülpen wollen, Ungläubige am liebsten gleich töten und Frauen grundsätzlich als Wesen zweiter Klasse ansehen. Wer kann, der flieht, dem Rest droht akute Lebensgefahr durch die Fundamentalisten.
Wobei Baghdad in My Shadow keine direkte Auseinandersetzung mit dem Thema Islamismus ist. Zumindest keine alleinige. Stattdessen nutzt der irakisch-schweizerische Regisseur und Co-Autor Samir das Setting des Cafés, um ganz allgemein von dem Leben in der Fremde zu erzählen. Dazu versammelt er eine Reihe von Leuten, denen zwar die Herkunft gemeinsam ist, die ansonsten aber recht unterschiedlich ausfallen und die auch unterschiedliche Erfahrungen machen. Während Amal mit Rassismus zu kämpfen hat und ihren Beruf der Architektin nicht länger ausführen darf, blüht Muhanad richtig auf. Als IT-Experte ist er gefragt, außerdem interessiert sich in London kaum jemand dafür, dass er schwul ist. Zu seinen Landsleuten darf der Freund aber nicht mit, aus Angst vor den Reaktionen.
Einblicke in das Exilantenleben
Auf diese Weise wird Baghdad in My Shadow zu einem Kaleidoskop, das über weite Strecken mehr Episodenfilm ist als tatsächliche Geschichte. Das muss aber kein Nachteil sein. Es ist sogar recht spannend anzusehen, wie wenig sich das alles vereinheitlichen lässt. Jede Geschichte ist zu individuell, um als allgemeingültiges Bild von Irak-Exilanten durchzugehen. Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie irgendwie auf der Suche sind. In dem Spannungsumfeld aus Fremden und Vertrautem geht es darum, sich selbst zu finden und zu behaupten. Bin ich noch ich, wenn drumherum alles auf einmal anders ist? Wie wichtig sind gemeinsame Wurzeln in dem Zusammenhang?
Nur gibt sich Samir nicht damit zufrieden, einen Ensemblefilm zum Thema Leben in einer neuen Umgebung zu machen. Stattdessen kombiniert er Elemente des Sozialdramas mit denen des Thrillers. Dass etwas vorgefallen ist oder vorfallen wird, das wird früh klar. Baghdad in My Shadow zeigt schließlich Verhörsituationen bei der Polizei. Das weckt schon gewisse Erwartungen. Und tatsächlich ahnt man früh, dass das irgendwie mit der Radikalisierung von Nasser zu tun hat, der sich von Hasspredigern bekehren lässt. Offen bleibt dabei nur, wer nun genau was getan hat und wer das Opfer ist. Das wird genrekonform erst sehr spät verraten, man will das Interview schließlich neugierig machen.
Zu viel gewollt
Das erinnert ein wenig an die Serie Wenn die Stille einkehrt. Dort stand ein Restaurant im Mittelpunkt, welches das Ziel eines terroristischen Anschlags wurde. Auch dort wurde lange von den Menschen erzählt, die betroffen waren, von ihren Lebenssituationen und Vorgeschichten. Im direkten Vergleich kann es Baghdad in My Shadow aber nicht damit aufnehmen. Das liegt zum einen an dem mangelnden Feinschliff, den es sowohl beim Drehbuch wie auch bei den schauspielerischen Darbietungen zu kritisieren gibt. Das wirkt vieles nicht so wirklich natürlich, zumal eine Reihe von Klischees bemüh werden. Außerdem klappt die Kombination aus Drama und Thriller nicht so recht. Da hätte man sich doch besser auf eines konzentriert, anstatt so viele Fronten gleichzeitig zu eröffnen. Sehenswerte Ansätze gibt es jedoch einige, Stoff für weitergehende Diskussionen ist auf jeden Fall vorhanden.
OT: „Baghdad in My Shadow“
Land: Schweiz, Deutschland, UK
Jahr: 2019
Regie: Samir
Drehbuch: Samir, Furat al Jamil, Sinan Antoon
Musik: Walter Mair, Tom Linden
Kamera: Ngo The Chau
Besetzung: Haytham Abdulrazaq, Zahraa Ghandour, Waseem Abbas, Maxim Mehmet, Shervin Alenabi, Meriam Abbas, Awatif Naeem, Kae Bahar, Ali Daeem, Farid Elouardi, Andrew Buchan
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