Der Arbeitsalltag von Virginie (Virginie Efira), Aristide (Omar Sy) und Érik (Grégory Gadebois) ist nicht ohne. Mal hat das Pariser Polizeitrio mit einem Mann zu kämpfen, der seine Frau schlägt. Dann müssen sie sich einer Mutter annehmen, die den Tod ihres Sohnes verursacht hat. Die größte Herausforderung ist jedoch ein Sondereinsatz, zu dem sich die drei bereit erklärt haben. So sollen sie den tadschikischen Asylbewerber Asomidin Tohirov (Payman Maadi) zum Flughafen bringen, von wo aus er in sein Heimatland zurückgebracht werden soll. Auf dem Weg zum Flughafen beginnt Virginie jedoch, in der Akte des Mannes zu lesen und realisiert dabei, dass diesem zu Hause der Tod droht. Aber was tun? Können sie sich einfach so dem Befehl widersetzen? Und was würde das bringen?
Gerechtigkeit jenseits des Gesetzes
Nur weil etwas gesetzeskonform ist, muss es noch nicht automatisch gerecht sein – diese Erfahrung dürften die meisten schon einmal gemacht haben. Und auch Filme verweisen immer wieder auf den möglichen Unterschied zwischen einer gefühlten Gerechtigkeit und dem, was das Recht vorgibt. Das können mal Filme sein, die auf Justizskandale hinweisen. Besonders beliebt sind auch Geschichten, die von Selbstjustiz handeln, wie zuletzt Helden der Wahrscheinlichkeit – Riders of Justice. Das Motto: Wenn die Gerichte und Polizei nicht dafür sorgen können, dass die Welt gerecht ist, dann nehme ich das eben selbst in die Hand. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Frage der Moral findet dabei aber meistens nicht statt, stattdessen bauen viele auf ein eher diffuses Gefühl.
Bis an die Grenze ist in der Hinsicht gleich aus mehreren Gründen interessant. Zunächst einmal sind die drei Hauptfiguren Polizisten und Polizistinnen, also jene Leute, die sich eigentlich um die Durchsetzung der Gesetze kümmern. Wenn diese nun selbst daran zu zweifeln beginnen, dann hat das schon eine etwas andere Aussagekraft. Zudem handelt das Drama davon, wie aussichtslos ein solcher Kampf sein kann. Bringen sie den Mann zum Flughafen, tragen sie unmittelbar dazu bei, dass er sein Leben verlieren kann. Weigern sie sich, werden sie dafür bestraft, ohne wirklich etwas zu ändern. Denn wenn sie ihn nicht zum Abflug bringen, dann macht es jemand anderes. Was also bringt es, sich gegen das System und die Regeln aufzulehnen?
Porträt aus drei Perspektiven
Bis es so weit ist und wir uns gemeinsam mit dem Trio diese Fragen stellen, vergeht jedoch eine ganze Weile. Tatsächlich ist bei Bis an die Grenze lange nicht klar, worum es in dem Film denn überhaupt gehen soll. Regisseurin und Co-Autorin Anne Fontaine, welche hier den Roman Die Polizisten von Hugo Boris adaptiert, erzählt erst einmal aus dem Privatleben der drei und von einigen Einsätzen. Ungewöhnlich ist, wie der Film die Ereignisse mehrfach erzählt, jeweils aus einer wechselnden Perspektive. Den Einsatz bei dem gewalttätigen Ehemann sehen wir beispielsweise mal aus den Augen von Virginie, mal aus denen von Erik. Gleiches gilt für die Szenen mit Aristide, die ebenfalls als Dopplungen stattfinden.
Solche Perspektivwechsel können grundsätzlich schon interessant sein, wenn sie zu einem Erkenntnisgewinn oder alternativen Einblicken führen. Doch eben das bleibt bei Bis an die Grenze aus. Natürlich dient die längere Einführung der Charakterisierung der drei, als Vorbereitung für die späteren Diskussionen. Nur stehen diese Szenen in keinem wirklichen Zusammenhang. Da wird nichts aufgebaut, was später von Bedeutung wäre. Die Beschäftigung mit dem sicher nicht einfachen Arbeitsalltag bei der Polizei ist für die Frage nach einer Abschiebung nicht relevant. Die persönlichen Geschichten sind zudem unnötig dramatisch. Wenn früh klar wird, dass Virginie und Aristide eine Affäre haben, dann beeinflusst das nicht die moralische Auseinandersetzung. Auch mit den anfänglichen Einsätzen gibt es keine Überschneidung.
Dokumentarisch und abstrakt
Insgesamt wäre bei dem Drama, das auf der Berlinale 2021 Premiere feierte, eine fokussierte Erzählung hilfreich gewesen. Denn an interessanten Momenten mangelt es nicht. Die Szenen aus dem Polizeialltag sind zum Teil sehr erschütternd. Der Film hat an diesen Stellen oft auch dokumentarische Qualitäten, zeigt ganz nüchtern eine kaputte Welt, in der sich die drei bewegen. Von diesen hätte man gern mehr gesehen, ebenso von der Abschiebethematik später. Der Versuch, alles irgendwie miteinander zu verbinden, führte jedoch dazu, dass das alles doch eher an der Oberfläche bleibt. Gleiches gilt leider auch für Tohirov, der zwar zum Mittelpunkt der Geschichte wird, der einem aber nicht zuletzt wegen der Sprachbarriere immer fremd bleibt. Anders als etwa Toubab, der sich ebenfalls mit unmenschlichen Abschiebungen befasst, bleibt das hier alles doch recht abstrakt.
OT: „Police“
IT: „Night Shift“
Land: Frankreich
Jahr: 2020
Regie: Anne Fontaine
Drehbuch: Claire Barré, Hugo Boris, Anne Fontaine
Vorlage: Hugo Boris
Musik: Nami Melumad
Kamera: Yves Angelo
Besetzung: Omar Sy, Virginie Efira, Grégory Gadebois, Payman Maadi
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