Für den BKA-Beamten Ben (Kostja Ullmann) hätte es nicht schlimmer kommen können: Bei einem Einsatz stirbt ein kleines Mädchen, er selbst muss in ein künstliches Koma versetzt werden. Um ihn anschließend auf andere Gedanken zu bringen, schlägt ihm seine Freundin Marion (Kristin Suckow) vor, gemeinsam an die Ostsee zu fahren, Bens alte Heimat. Seit vielen Jahren ist er nicht mehr dort gewesen, der Kontakt zu seinen Eltern Ralph (Martin Feifel) und Anke (Deborah Kaufmann) ist spärlich. Aus gutem Grund: Noch immer leidet Ben darunter, dass sein bester Freund Timmi (Ilja Bultmann) bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. So dachte er zumindest. Zu seiner großen Überraschung muss er jedoch feststellen, dass dieser seinerzeit überlebte, seither jedoch im Wachkoma liegt. Für Ben steht damit fest: Er muss herausfinden, was damals wirklich vorgefallen ist, um so Timmi vielleicht wieder zurückzuholen …
Zwischen allen Genres
Wenn ein Film den Titel Die Heimsuchung trägt, dann dürften nicht wenige zunächst an einen Horrorfilm denken – nicht zuletzt wegen des unheimlichen Kassenerfolgs Conjuring – Die Heimsuchung. Stimmt aber nicht. Trotz gelegentlicher Elemente, die tatsächlich an einen Gruselfilm erinnern, ist der ARD-Film in anderen Genres unterwegs. Dennoch ist der Titel nicht falsch gewählt. Er ist nur doppeldeutig, so wie vieles hier auf verschiedenen Ebenen stattfindet und dabei das Publikum genüsslich in die Irre führt. Ein Film, bei dem man sich zwischendrin mehrfach fragt, was das nun genau soll. Ein Film, der einen selbst nach dem Abspann noch verblüfft zurücklässt.
Dabei ist der Einstieg recht eindeutig, so möchte man zumindest meinen. Wenn wir hier einem BKA-Beamten bei seinem Einsatz zusehen, dann lässt das auf einen weiteren TV-Krimi schließen, von denen es hierzulande nun nicht gerade wenig gibt. Doch danach wird es erst einmal richtig dramatisch, wenn Die Heimsuchung die Heimreise antritt – und damit klar macht, worauf sich der Titel eigentlich bezieht. Nur findet Ben diese Heimat eben nicht. Er hat sich losgesagt, von dem Ort, den Leuten, sogar seiner Familie. Dass Marion über diese praktisch nichts weiß, lässt einen schon frühzeitig erkennen, wie viel da kaputt ist. Zumindest eine Weile sieht es deshalb danach aus, als handele es sich bei der Fernsehproduktion, die auf dem Filmfest München 2021 Premiere feierte, um eines dieser typischen Vergangenheitsbewältigungsdramen.
Irgendwas stimmt hier nicht
Das ist es auch. Und gleichzeitig wieder nicht. Anstatt sich an die gängigen Genregrenzen zu halten, hat Regisseur Stephan Rick (Die dunkle Seite des Mondes) mit Die Heimsuchung eine recht eigenwillige Mischung aus Krimi, Charakterdrama und Mysterythriller gedreht, bei dem alles mit allem zusammenhängt und dennoch nichts so richtig zusammenpasst. Von Anfang an wirkt das Geschehen irgendwie seltsam. Die Figuren ergeben nicht so wirklich Sinn, alles ist konstruiert, man fühlt sich wie in einer Parallelwelt. Die naheliegendste Begründung ist, dass da einfach mal wieder jemand bei der Drehbucharbeit geschlampt hat. Bei Fernsehfilmen ist das schließlich keine wirkliche Seltenheit, da wird gerne mal so viel zusammengeworfen und durch tausend Redaktionshände verrührt, bis zum Schluss eine nicht identifizierbare Pampe herauskommt.
Hinzu kommt, dass man hier eigentlich früh zu wissen meint, was hinter allem steckt – was das endgültige Todesurteil sein müsste. Ein Film, der gleichzeitig ohne Konzept und doch vorhersehbar ist? Das bedeutet das Schlimmste aus zwei Welten zusammenzuführen. Und doch ist Die Heimsuchung deutlich interessanter und durchdachter, als man es zunächst meint. Sorgsam verstreute Hinweise werden vielleicht wahrgenommen, aber doch falsch gedeutet. Denn zum Schluss kommt eine völlig andere Auflösung, an die kaum einer daheim vor den Fernsehern gedacht haben mag. Auch deshalb weil sie so absurd ist, dass man sich schon fragt, wie Drehbuchautor Thorsten Wettcke (Wir sind die Welle) bitteschön auf so etwas gekommen ist. Da dürfte es im Anschluss so manch irritierten Blick geben.
Leerlauf im Mittelteil
Schwieriger ist aber, dass dies im Nachhinein Teile der Geschichte irgendwie überflüssig macht. Während einige Elemente tatsächlich durch die Auflösung sinnvoll integriert werden, sind andere Aspekte im Rückblick irgendwie ziemlich egal. Da hat man dann doch den Eindruck, dass der Film letztendlich rein auf die Wendung ausgerichtet war und beim Rest viel Füllmaterial dabei war. Ein weiteres Problem ist, dass Die Heimsuchung zwischendurch nicht so recht vom Fleck kommt. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass man auf einer falschen Fährte ist und endlich die vermeintlich unvermeidbare Antwort will. Doch gerade weil das Team hinter dem Film sich dessen bewusst gewesen sein muss, wo es das Publikum hinführt, hätte im Mittelteil mehr passieren müssen, um zumindest die Illusion aufrecht zu erhalten, dass da etwas vorangeht. In der Summe bleibt so ein Film, der durchaus interessant ist und zum Teil eine schön dichte Atmosphäre aufbaut, aber ein bisschen was vermissen lässt.
OT: „Die Heimsuchung“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Stephan Rick
Drehbuch: Thorsten Wettcke
Musik: Enis Rotthoff
Kamera: Pascal Schmit
Besetzung: Kostja Ullmann, Kristin Suckow, Michael Witte, Deborah Kaufmann, Martin Feifel
Wie war es für ihn, die Rolle des traumatisierten Polizisten Ben zu spielen? Und wie sehr ist er selbst von seiner Vergangenheit geprägt? Diese und weitere Fragen haben wir Hauptdarsteller Kostja Ullmann in unserem Interview zu Die Heimsuchung gestellt.
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