Seit mittlerweile anderthalb Jahren wird unser Leben von der Corona-Pandemie maßgeblich mitbestimmt. Natürlich sind die einen mehr betroffen als andere. Wer in einer 20-Zimmer-Villa lebt, für den ist ein Daheimbleiben nun einmal leichter zu verkraften als für eine vierköpfige Familie, die sich zwei Zimmer teilt. Hinzu kommen die regionalen Unterschiede, wenn das Virus mancherorts stärker wütet als woanders, aus den unterschiedlichsten Gründen. Natürlich fallen auch die Reaktionen sehr verschieden aus, wenn sich Teile der Bevölkerung unversöhnlich gegenüber stehen bei der Frage nach den angemessen Reaktionen. Und doch: Wenn weltweit nahezu gleichzeitig Geschäfte und Einrichtungen geschlossen werden, die Menschen ihr Zuhause nicht mehr verlassen dürfen, Familien und Freundeskreise notgedrungen auf Distanz gehen, dann wird das zu einem verbindenden Element. Eine gemeinsame Krise, mit der praktisch alle irgendwie zu kämpfen haben.
Geschichten aus aller Welt
Die Welt jenseits der Stille betont dieses Verbindende, indem der Dokumentarfilm ein Dutzend Geschichten aus aller Welt zusammenträgt. Da sind wir mal in Rom unterwegs, wo eine polnische Pflegkraft aufgrund der Reisebestimmungen feststeckt. In Brasilien folgen wir einem jungen Mann, der auf den Straßen Masken verteilt, um andere zu schützen, während anderswo im Land ein indigenes Volk versucht, die Außenwelt und damit die Gefahr einer Ansteckung fernzuhalten. Während solche Episoden das Gesellschaftliche betonen, sind andere sehr persönlicher Natur. Wie gehen die Menschen damit um, wenn sie nicht mehr einander sehen können oder umgekehrt aneinandergekettet sind, weil sie das Haus nicht verlassen dürfen?
Die meisten dieser Erfahrungen kommen einem dabei recht bekannt vor. Wenn Regisseur Manuel Fenn (Parchim International) die Männer und Frauen aus ihren jeweiligen Leben erzählen lässt, dann sind die Geschichten gleichzeitig individuell und universell. Selbst einem eher fremde Lebenssituationen wie die des obdachlosen Jorge, der in New York City Pizzen austrägt und wegen der Ansteckungsgefahr Obdachlosenheime vermeidet, sind so lebensnah, dass man sich schnell mit diesen identifizieren kann. Vor allem aber das Thema der Einsamkeit geht einem zu Herzen, verdeutlicht etwa an dem jungen Chinesen Chenyun. Der lebt in Berlin, wo er unter normalen Umständen Kung-Fu unterrichtet, abseits der Trainingshalle aber kaum soziale Kontakte hat. Umso wichtiger werden die Gespräche mit der Heimat, eine Verbindung zur Außenwelt und zugleich Rückzugsort vor dem, was da draußen geschieht.
Momentaufnahme einer Ausnahmesituation
Was Heimat in dem Zusammenhang bedeutet und welche Auswirkungen derart veränderte zwischenmenschliche Begegnungen auf eine Gesellschaft haben, wird dabei jedoch nicht vertieft. Überhaupt hält sich Fenn völlig heraus, wenn es darum geht, die einzelnen Episoden zu bewerten oder in einen größeren Kontext zu stellen. Die Welt jenseits der Stille bleibt immer nah bei den Protagonisten und Protagonistinnen. Die Idee ist vielmehr, dass sich aus der Pluralität der Schicksale ein Gesamtbild ergibt, welches als Zeitporträt dienen kann. Wer später einmal wissen will, wie das damals war während der Pandemie, findet hier zwar keine allumfassenden Antworten. Wohl aber verschiedene Ansatzpunkte.
Ob es zum derzeitigen Stadium eine solche Dokumentation tatsächlich braucht, während die Pandemie noch immer zahlreiche Einschränkungen mit sich bringt, darüber kann man sich natürlich streiten. Die Welt jenseits der Stille hat dem Publikum letztendlich nicht viel zu erzählen, das man selbst so aus eigenen Erfahrungen nicht bereits kennt. Irgendwie tröstlich ist es aber schon zu sehen, wie es anderen Menschen auf der ganzen Welt ergangen ist, und damit das Gefühl zu bekommen, nicht allein mit allem zu sein. Als Zeitdokument ist der Film, der auf dem DOK.fest München 2021 Weltpremiere hatte, ohnehin wertvoll, wenn er eine Ausnahmesituation greifbar und fühlbar macht und damit eine Momentaufnahme festhält, die für alle nur zwei Jahre zuvor unvorstellbar gewesen wäre.
OT: „Die Welt jenseits der Stille“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Manuel Fenn
Drehbuch: Manuel Fenn, Thomas Jeschner
Musik: Eckart Gadow
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