Dass Bands Jahrzehnte nach ihrer Gründung noch auf der Bühne stehen, ist kein ganz seltenes Phänomen. Vor allem im Rockbereich gibt es eine Reihe illustrer Beispiele, wie Männer im Rentenalter noch durch die Gegend turnen oder zumindest so tun als ob. Ganz so alt sind die Mitglieder von Dinosaur Jr. noch nicht. Und doch grenzt es an ein ziemliches Wunder, dass es sie noch gibt. Wer sich Freakscene – The Story of Dinosaur Jr. anschaut, wird sich sogar fragen, wie es die Leute überhaupt geschafft haben, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen. Sie seien mehr eine Familie als Freunde, heißt es am Ende des Dokumentarfilms. Eine dysfunktionale Familie.
Eine Zeit voller Turbulenzen
Regisseur Philipp Reichenheim zeichnet den Weg der Alternative Rock Band nach, von den Anfängen in den 1980ern, damals noch unter dem Namen Dinosaur, bis heute. Diese Zeitspanne als turbulent zu bezeichnen, wäre ein gewaltiges Understatement. Zumindest die erste Phase, welche bis 1997 andauerte, als ein desillusionierter J Mascis – Lead Singer und Master Mind der Band – den Stecker zog, ist geprägt von Problemen der unterschiedlichsten Art. Vor allem zwischen J und Bassspieler Lou Barlow kommt es früh zu Missstimmungen, auch weil die beiden mit völlig unterschiedlichen Einstellungen zur Arbeit gingen. Aber auch mit dem Drummer Murph legte sich Kontrollfreak J immer wieder an. Das Ergebnis: Tatsächlich Spaß hatte selbst in den frühen Jahren keiner. Man arbeitete nur zusammen, bis es irgendwann nicht mehr ging.
Sonderlich schmeichelhaft ist das Bild, welches Reichenheim da zeichnet, nicht gerade. Vor allem J kommt dabei regelmäßig schlecht weg. Das ist insofern auch spannend, weil sich die Streithähne nach einer langen Phase wieder versöhnten und nun schon seit Jahren wieder gemeinsam auftreten. Wodurch dieser Sinneswandel entstand, wird dabei nicht ganz klar. Freakscene – The Story of Dinosaur Jr. konzentriert sich deutlich mehr auf die Konflikte der frühen Jahre als die ruhige Zeit später. Mag sein, dass es die Weisheit des Alters war, welche alle etwas ruhiger werden ließ. Oder aber auch, dass der kommerzielle Druck von ihnen abfiel. Man hatte sich und der Welt nichts mehr zu beweisen – auch weil die Welt eine andere geworden war.
Viel Bewunderung der Zeitgenossen
Freakscene – The Story of Dinosaur Jr. beleuchtet während der jahrzehntelangen Odyssee nämlich nicht nur das persönliche Schicksal des Trios, das nicht immer ein Trip war. En passant gibt es zudem eine kleine Geschichtsstunde des Alternative Rocks. Allzu viel sollte man sich hiervon aber nicht erwarten. So kommen zwar Henry Rollins, Kim Gordon von Sonic Youth oder auch Black Francis von den Pixies zu Wort, also allesamt Leute, die in der ersten Hälfte der 90er zu den Indie-Darlingen gehörten. Aber wie das bei solchen biografischen Dokus oft der Fall ist, beschränken sich deren Beitrage darauf, wie unglaublich toll Dinosaur Jr. so waren. Kritik am Zwischenmenschlichen ist erlaubt, die an der Musik nicht.
Was ebenfalls etwas fehlt, ist eine Auseinandersetzung damit, weshalb die einige Jahre auf einmal bis in den Mainstream katapultierte alternative Szene später Schwierigkeiten hatte, relevant zu bleiben. Den Finger nur auf das Major Label zu richten, die keine Zukunft mehr in der Band sah, das ist ein bisschen wenig. Auch mit der Aussage, der Musikmarkt als solcher sei Mitte der 90er zusammengebrochen, machte man es sich ein bisschen einfach. Aber Freakscene – The Story of Dinosaur Jr. ist nun einmal kein objektiver Blick auf die Industrie oder ein Genre, sondern eine persönliche Reise durch die Geschichte einer Band, die immer dazu gehörte, ohne je die Bekanntheit der Kollegen und Kolleginnen zu erreichen, welche sie beeinflusst haben.
OT: „Freakscene – The Story of Dinosaur Jr.“
Land: USA, Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Philipp Reichenheim
Musik: Dinosaur Jr.
Kamera: Philipp Virus, Lee Ranaldo, Peter Domsch, Liviana Davi
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