Als ein Bombenanschlag Berlin erschüttert, bricht für Maxi (Luna Wedler) eine Welt zusammen. Denn während sie selbst und ihr Vater Alex (Milan Peschel) das Unglück überleben, fallen ihre Mutter und die beiden jüngeren Brüder der Explosion zum Opfer. Auch Monate später fällt es den zwei Überlebenden schwer, zum Alltag zurückzufinden und wieder weiterzumachen. Doch dann begegnet Maxi Karl (Jannis Niewöhner). Er ist charmant, einfühlsam, hilft ihr dabei, nach dem furchtbaren Trauma wieder neuen Lebensmut zu fassen. Er begeistert sie sogar für seine Sache, eine europäische Studentenbewegung, welche sich für einen gesellschaftlichen Wandel einsetzt. Dabei ahnt sie nicht, auf wen sie sich dabei eingelassen hat, denn Karl verfolgt noch ganz andere Pläne …
Die unerkannte Gefahr
Die Menschen werden immer progressiver und offener, so wird immer mal wieder gesagt. Sind erst einmal die alten Bremsklötze weg, die sich vor alles fürchten, was irgendwie anders oder neu sein könnte, wird die Welt ein besserer Ort sein. Wird es Platz für alle geben, gleich wie sie aussehen, woher sie kommen oder welchen Lebensstil sie pflegen. Die erschreckendste Erkenntnis, die Je Suis Karl für das Publikum bereit hält: Das stimmt alles nicht. Denn hier wächst eine neue Generation von Rechten heran, die Weltansichten von damals mit technischen Möglichkeiten von heute kombiniert. Sie ist organisiert, weiß, wie sie andere Menschen manipulieren kann. Und sie ist skrupellos, ist bereit für die Erfüllung ihrer Ziele hohe Opfer zu bringen – fremde wie eigene.
Bis das Publikum das Ausmaß des Schreckens begreift, vergeht jedoch eine ganze Weile. Auch wenn der Film immer mal wieder als Thriller bezeichnet wird, eigentlich wird er nur am Anfang und zum Schluss dieser Kategorie gerecht. Dazwischen ist Je Suis Karl in erster Linie ein Drama, welches zwei Themen parallel verfolgt. Da ist zum einen die persönliche Geschichte von Maxi und Alex, die einen schrecklichen Schicksalsschlag verkraften müssen und dies kaum hinbekommen. Tragisch ist in der Hinsicht zudem, dass die beiden sich nicht gegenseitig Trost spenden können. Anstatt sich gemeinsam aus der Krise zu kämpfen, führt der Verlust zu einer Spaltung der beiden. Vor allem Maxi bleibt nur die Flucht, zu groß ist der Schmerz, der in ihr wuchert.
Die vergebliche Frage nach dem warum
Regisseur Christian Schwochow (Deutschstunde) erzählt in seinem Film, der auf der Berlinale 2021 Weltpremiere hatte, aber auch viel von Verführung und Beeinflussung. Davon, wie sich Menschen nach rechts drehen lassen, obwohl sie eigentlich dort nichts zu suchen haben. Als Zuschauer und Zuschauerin ahnt man zwar früh, woraus das alles hinauslaufen wird. Der Titel Je Suis Karl nimmt schließlich nicht ohne Grund Bezug auf „Je Suis Charlie“, eine Solidaritätsbekundung mit den Angestellten der französischen Satirezeitung Charlie Hebdo, die Opfer eines islamistischen Anschlags wurden. Maxi jedoch erkennt nicht so wirklich, was da vor sich geht und welches Ziel Karl und die anderen verfolgen. Erkennt nicht, wie das Private zu politischen Zwecken missbraucht wird.
Subtil ist die Warnung vor den heranwachsenden Brandbeschleunigern nicht. Sie ist auch nicht immer ganz nachzuvollziehen: Während die Motivation von Maxi durch das erlittene Trauma zumindest teilweise erklärt wird, steht man Karl und den anderen etwas hilflos gegenüber. Sie sind manipulativ, ohne aber ihren Kreuzzug allein des Machtwillens wegen zu starten, wie man es bei so manch politischer Führung vorfindet. Sie glauben vielmehr tatsächlich, was sie sagen – was die radikale Studentenorganisation umso unheimlicher macht. Eine durchgängige Spannung entsteht daraus jedoch nicht. Allenfalls die Frage, ob Maxi den Zirkus durchschaut, sorgt bei Je Suis Karl für Neugierde. Erst später dreht die Geschichte um eine nicht sonderlich versteckte Untergrundzelle richtig auf und zeigt eine Welt voller Karls, in der man besser nicht mehr vor die Tür geht.
OT: „Je Suis Karl“
Land: Deutschland, Tschechische Republik
Jahr: 2021
Regie: Christian Schwochow
Drehbuch: Thomas Wendrich
Musik: Tom Hodge, Floex
Kamera: Frank Lamm
Besetzung: Luna Wedler, Jannis Niewöhner, Milan Peschel, Edin Hasanovic, Anna Fialová, Fleur Geffrier
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