In dem Mystery-Thriller Die Heimsuchung spielt Kostja Ullmann den BKA-Beamten Ben, der nach einem verpatzten Einsatz erst einmal ein wenig Abstand von allem braucht und deswegen in seine alte Heimat fährt. Dort begegnet er nicht nur seiner Familie wieder, zu der er zuletzt kaum noch Kontakt hatte. Es bedeutet für ihn auch, sich seiner Vergangenheit zu stellen, die ebenfalls von einem traumatischen Ereignis geprägt war. Dabei muss er jedoch feststellen, dass vieles nicht so ist, wie er immer dachte. Zur Ausstrahlung des Films am 25. September 2021 (20.15 Uhr auf Das Erste) unterhalten wir uns im Interview mit dem Schauspieler über seine Rolle, das Geheimnis eines guten Mystery-Thrillers und darüber, wie sehr wir von unserer Vergangenheit bestimmt werden.
Was hatte dich an Die Heimsuchung gereizt? Warum wolltest du bei dem Film mitspielen?
Zunächst einmal fand ich das Genre interessant, weil ich noch nicht so wirklich bei Mystery-Thrillern mitgespielt habe. Außerdem war das Drehbuch einfach sehr spannend, weil du immer wieder überrascht wirst. Du hast zwar zwischendurch eine Ahnung, wo es hingeht, aber dann kommt es doch wieder ganz anders. Gerade die Figur Ben war für mich sehr spannend, da dessen Welt komplett auf den Kopf gestellt wird. Er fängt dann an, an allem zu zweifeln, an sich selbst zu zweifeln. Und es war eine große Herausforderung, das zu spielen.
Hattest du beim Lesen des Drehbuchs je das Gefühl, das wird mir gerade zu viel, und ich steige jetzt aus?
So weit, dass ich ausgestiegen bin, kam es nicht. Aber ich musste das Buch schon ein zweites Mal lesen, um es richtig zu verstehen. Wenn man sich die Geschichte vorm Fernseher anschaut, dann löst sich das schon zum Ende hin alles auf. Beim Spielen musst du es aber auf jeder Ebene verstehen. Das war ein spannender Prozess, der sehr viel Spaß gemacht hat. Aber es ist kein Popcorn-Kino, bei dem du einfach abschalten kannst und ein bisschen auf dem Handy herumdrückst.
Hattest du die Auflösung vorhergesehen?
Nein, gar nicht. Ich hatte eine Auflösung im Kopf, bei der ich mir ganz sicher war, dass es so enden wird. Aber dann kam es doch ganz anders. Das Schöne dabei ist: Es gibt in dem Film durchaus Hinweise für das richtige Ende. Aber du bist so sehr in deinen Annahmen drin, wie es ausgehen muss, dass du die kaum beachtest. Da hat der Drehbuchautor schon ganze Arbeit geleistet.
Der Film hat nicht nur mehrere Wendungen, sondern schwankt zwischendurch auch bei den Genres hin und her. Das ist mal persönliches Drama, dann Krimi, später Mystery-Thriller. Wie würdest du Die Heimsuchung beschreiben?
Ich tue mir immer wahnsinnig schwer, mir das richtige Genre auszusuchen. Thriller ist natürlich nicht falsch, gerade auch weil Stephan Rick Regie geführt hat, der das Genre sehr gut kennt. Er hat Die dunkle Seite des Mondes gedreht und The Super. Da ist das natürlich naheliegend. Der Film ist auch sehr düster erzählt und du wirst in eine Welt hineingezogen, die sehr düster ist. In dem Film passieren aber so viele Dinge, dass es eben mehr ist als nur ein Thriller. Er geht sehr viel tiefer bei der Frage, was die Figuren durchmachen. Was Ben und Marion gemeinsam durchleben.
Was ist denn das Geheimnis eines guten Mystery-Thrillers?
Dass du eben nicht erraten kannst, was da passiert. Dass du als Zuschauer immer wieder überrascht wirst. Da passieren lauter Dinge, die du zuerst nicht einordnen kannst. Am Ende hat aber alles mit allem zu tun. Alles, was hier passiert, hat am Ende einen Sinn, selbst wenn du den zuerst nicht erkennst.
Gleichzeitig darfst du das Publikum aber auch nicht so überfordern, dass es gar nichts mehr kapiert und frustriert ist. Solche Mystery-Thriller gibt es ja auch.
Das stimmt. Du brauchst da schon ein gesundes Maß, damit der Zuschauer neugierig ist und dranbleibt und nicht vorzeitig aussteigt. Du willst als Zuschauer ja noch Teil der Geschichte sein und irgendwie mitwirken und mitraten, worum es tatsächlich geht, ohne das große Ganze schon zu erkennen. Wenn du irgendwann völlig überfordert bist, macht das keinen Spaß mehr.
Bist du denn selbst so ein Grübler, der Sachen gern auf den Grund geht?
Schon, ja. Das ist wahrscheinlich auch irgendwo mein Beruf. Bei der Rollenvorbereitung brauchst du das. Denn du musst ja nicht nur die Geschichte verstehen. Du musst auch deine Rolle verstehen und wissen, wen du da eigentlich spielst. Ich liebe Geschichten, die aus dem Leben kommen. Ich liebe es auch, mir True Crime Podcasts anzuhören. Die fesseln mich komplett. Ich finde es großartig, wenn mich das mitnimmt und versuche immer, den Mensch dahinter zu verstehen. Denn so schlimm es auch gewesen sein mag, was die Person getan hat, irgendwas hat sie ja dazu gebracht. Diese Verbrechen kommen nicht aus dem Nichts. Bei Die Heimsuchung brauchte es auch eine Weile, bis ich Ben wirklich verstanden habe, weil da so viele Ebenen sind.
Wenn du dir ein großes Rätsel oder Geheimnis dieser Welt aussuchen könntest, um dafür die Lösung zu bekommen, welches wäre das?
Für mich wäre das das Leben im Universum. Oder besser noch: der Sinn des Ganzen. Ich war gerade in Spanien und habe meine Eltern besucht, die dort leben. Da kannst du nachts ganz toll draußen liegen und in den Himmel kucken. Da war so eine Nacht, in der die ganzen Sternschnuppen gefallen sind. Natürlich kommt man da ins Grübeln. Was soll das Ganze? Wer sind wir? Warum sind wir? Wie konnte das Ganze entstehen? Wir sind immer noch ganz am Anfang unseres Daseins und fühlen uns immer so mächtig und so toll. Dabei schaffen wir es nicht einmal, im Einklang miteinander zu leben.
Kommen wir noch einmal auf Ben zurück. Die Figur ist sehr von vergangenen Ereignissen geprägt. Da ist die Entführung zu Beginn des Films. Später geht es um die Kindheit. Kannst du dich damit identifizieren? Wie sehr bist du von deiner eigenen Vergangenheit geprägt?
Die Frage der Identifizierung steht natürlich immer am Anfang einer solchen Rollenvorbereitung. Was habe ich von der Figur in mir? Was bringe ich selber mit? Das sind natürlich alles Dinge, die ich irgendwo in meinem Leben erlebt habe zu irgendeinem Zeitpunkt. Nach einer langen Beziehung fängst du immer an, über dich selbst nachzudenken. Darüber, wer du bist und was dich ausmacht. Das macht man viel zu selten. Denn eigentlich ist es toll, dich einfach mal mit dir selbst und deiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Aber natürlich ist nie immer alles gut. Da gibt es immer Sachen an einem, mit dem man sich nicht beschäftigen will, zum Beispiel mit deinen Ängsten. Das ist bei Ben ganz extrem. Dabei kann es sehr befreiend sein, sich mit dem auseinanderzusetzen. Ich stelle mich auch mehr meiner Vergangenheit, als Ben es tut.
Ben wird von den anderen dabei immer gesagt, er soll doch seine Vergangenheit hinter sich lassen. Kann man das überhaupt? Und sollte man es?
Nein, das geht nicht. Die Vergangenheit macht einen aus und macht dich zu dem, der du bist. Gleichzeitig solltest du nicht in der Vergangenheit leben. Das wäre auch falsch. Du solltest schon im hier und jetzt leben und immer einen Schritt nach vorne gehen. Aber die Vergangenheit bleibt immer dabei, wie ein Rucksack, den du mitträgst. Das kannst du nicht verhindern. Du kannst nur versuchen, ihn so leicht wie möglich zu machen, damit er dich nicht behindert.
Das Thema Vergangenheit loslassen wird auch durch die Figur des Freundes verkörpert, der seit vielen Jahren im Koma liegt und bei dem diskutiert wird, ob er am Leben erhalten werden soll oder nicht. Sollte man überhaupt in der Form über das Leben eines anderen bestimmen dürfen?
Das ist natürlich ein sehr sehr schwieriges Thema. Bei der Vorbereitung auf den Film habe ich mich auch mit dem Thema Wachkomapatienten auseinander gesetzt und diesem Locked-in-Syndrom. Die Sache ist die, dass es diese Fälle gibt, wo jemand nach Jahrzehnten wieder aufwacht und derjenige alles mitbekommen hat, was um ihn herum passiert ist. Am Ende ist es ein Menschenleben, über das du da bestimmen musst, wenn du die Maschinen abschaltest. Und das ist eine Entscheidung, die ist so grausam und brutal, das kannst du eigentlich niemandem zumuten. Eigentlich sollte jeder das für sich selbst entscheiden, bevor der Fall eintritt. Auch in jüngeren Jahren schon. Leider setzen wir uns aber viel zu wenig mit dem Tod auseinander und zwingen dadurch andere dazu, wenn es zu einem solchen Schicksalsschlag kommt.
Ein weiteres ernstes Thema in Die Heimsuchung ist die Familie, da es in dem Film gleich zwei Familien gibt, bei denen einiges im Argen liegt. Was müsste man tun, damit es nicht zu solchen Negativbeispielen kommt? Wie kann Familie funktionieren?
Wenn man sich den Film ankuckt, dann wird zumindest klar, dass es schon sehr helfen würde miteinander zu reden, füreinander da zu sein und Sachen anzusprechen, die in der Vergangenheit vielleicht nicht so funktioniert haben. Das ist auch etwas, worunter Ben leidet, dass da nie wirklich eine Kommunikation stattgefunden hat. Er hat sich so sehr abgekapselt, dass er keinen Bezug mehr zu den Eltern hat, vor allem nicht zum Vater. Seine Freundin Marion muss ihn erst wieder zu diesen führen und die Gespräche anstoßen, die viel früher hätten kommen müssen.
Ganz allgemein, was waren für dich die Herausforderungen beim Dreh?
Jeden Tag in diese düstere Welt einzutauchen, weil ich das so wie gesagt nicht kannte. Und natürlich jemanden zu spielen, dessen Realität jeden Tag zusammenbricht und dessen Verständnis fürs Dasein wegbricht. Das zu spielen war schon eine harte Belastungsprobe. Gleichzeitig war es ein großer Spaß, auch weil ich mit Kristin Suckow zusammenspielen durfte, einer wirklich großartigen Kollegin.
Und wie geht es im Anschluss weiter? Was sind deine nächsten Projekte?
Ich habe gerade Die Geschichte der Menschheit – leicht gekürzt gedreht, der wahrscheinlich Frühjahr nächsten Jahres in die Kinos kommt. Das ist eine Komödie, die mir sehr großen Spaß gemacht hat, vor allem weil ich den Klaus Störtebeker spielen durfte. Für mich als Hamburger war das großartig. Außerdem bin ich bei der Vorbereitung eines weiteren Thrillers. Es bleibt also düster.
Vielen Dank für das Gespräch!
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