In ihrem neuesten Film Die Tanzenden nach dem gleichnamigen Roman von Victoria Mas erzählt Mélanie Laurent die Geschichte jungen Frau Ende des 19. Jahrhunderts, die immer wieder durch ihre rebellische, unangepasste Art bei ihrer Familie aneckt. Als sie dann auch noch eines Tages behauptet, sie habe mit ihrem verstorbenen Großvater gesprochen, wird sie in eine psychiatrische Anstalt gesperrt, in der die unterschiedlichsten Frauen auf brutale Weise behandelt werden. Zum Start des Dramas am 17. September 2021 auf Amazon Prime Video unterhalten wir uns mit der französischen Regisseurin und Schauspielerin über ihr Werk, den Umgang mit Verrückten und die Arbeit mit Streamingdiensten.
Dein letzter Film Galveston – Die Hölle ist ein Paradies erschien bereits vor drei Jahren. Warum hat es so lange gedauert, bis du wieder Regie geführt hast?
Drei Jahre ist gar nicht so viel. (lacht) Andere brauchen zehn Jahre für einen Film! Letztendlich hat sich das einfach so ergeben, dass es gedauert hat. Ich wollte eine Zeit lang wieder als Schauspielerin arbeiten. Dann bekam ich ein Baby. Außerdem gab es noch einen anderen Film, an dem ich gearbeitet habe. Zwei Monate war ich in Budapest mit den Vorbereitungen beschäftigt, am Ende wurde aber nichts draus, weil uns Covid dazwischen kam. So kam das eine zum anderen. Als ich das Buch gelesen habe, wusste ich aber, dass ich wieder selbst eine Geschichte erzählen will. Das Gute an einer solchen Pause ist, wie viel Spaß es macht, wieder zur Arbeit zu gehen. Ich habe es wirklich vermisst, am Set Regie zu führen. Und es ist wichtig, dass du deine Arbeit ein wenig vermisst, wenn du sie nicht tust, weil du ansonsten den Spaß und die Leidenschaft verlierst, die du dabei brauchst.
In Die Tanzenden führst du nicht nur Regie, sondern hast auch eine der beiden Hauptrollen. Wie schwierig war es, beides auf einmal zu tun?
Ich denke, dass es für mich ein Vorteil war, Regisseurin und Schauspielerin gleichzeitig zu sein. Denn so konnte ich die anderen Schauspielerinnen direkt anleiten, als Geneviève, und so mit ihnen arbeiten. Es hat auch sehr viel Spaß gemacht, diese Zusammenarbeit. Wobei es natürlich auch seine Schwierigkeiten mit sich bringt, gerade für die anderen, wenn du in dem vollen Kostüm durchs Set rennst und nicht einfach nur die Regisseurin bist.
Dein Film hat natürlich ein historisches Setting. Inwiefern ist er dennoch relevant für eine Zeit wie heute?
Ich habe nach einem Weg gesucht, um über die Situation von Frauen heute zu sprechen. Und der beste Weg schien mir zu sein, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen und aufzuzeigen, woher wir kommen und wie das Leben früher war, anstatt zu zeigen, was derzeit geschieht. Wenn ich mir unsere Welt heute ansehe und den Wahnsinn überall, dann scheint mir das ein ziemlich modernes Thema zu sein.
In deinem Film wird aber in Frage gestellt, ob die Frauen tatsächlich verrückt sind. Eugénie beispielsweise ist nicht wahnsinnig, obwohl ihr Umfeld das so sieht.
Das stimmt. Während meiner Arbeit an dem Film habe ich mich sehr mit den Thema auseinandergesetzt, gerade auch im Hinblick auf solche Diagnosen. Es war tatsächlich so, dass in früheren Zeiten sehr schnell Leute als verrückt bezeichnet wurden. Jede melancholische Frau galt zum Beispiel als verrückt. Jede wütende Frau galt als verrückt und wurde in eiskaltes Wasser gesteckt, um sie wieder ruhig zu stellen. Ich war total schockiert, als ich das gelesen habe. Es ging bei diesen Behandlungen nur darum, die Symptome dieser Krisen zu beseitigen. Warum es diese Krisen gab, interessiert niemanden. Niemand wollte wissen, warum die Frauen so waren. Und das ist heute oft auch noch so. Wir sehen all die verrückten Sachen, die Leute tun, stellen uns aber nie die Frage nach den Gründen. Wir suchen deshalb auch nach keinen Lösungen, sondern versuchen eher, dem Ganzen aus dem Weg zu gehen. Was sehr traurig ist.
Dein Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Victoria Mas, weswegen die Geschichte mehr oder weniger vorgegeben ist. Warst du dennoch je in Versuchung, diese Geschichte umzuschreiben, gerade bei dem doch recht ambivalenten Ende?
Nein. Natürlich hätte ich gern beide Figuren gerettet, weil ich so gern mochte. Ich musste dieses Opfer zum Schluss aber beibehalten, was dazu führt, dass sich die Wege der beiden Frauen trennen. Du musstest eine von beiden opfern, damit die andere entkommen kann. Bei Geneviève kommt noch hinzu, dass sie ihr Leben lang in einem Gefängnis verbracht hat, dieses aber nie als solches erkannt hat. Deswegen musste die Geschichte für mich so enden, wie sie endet.
Eugénie wird auch deshalb für verrückt erklärt, weil sie angibt, mit den Toten sprechen zu können. Hättest du gern diese Gabe?
Meine Stellung zu Geistern hatte sich gerade etwas geändert, bevor ich das Buch gelesen habe. Ich hatte gerade meinen besten Freund verloren und wollte einfach nicht glauben, dass er für immer fort sein würde. Einfach so. Als ich das Buch gelesen habe, habe ich mich tatsächlich mit einem Medium getroffen, einfach um zu sehen, wie das so ist. Ich war aber noch immer skeptisch und glaubte nicht wirklich daran. Dann habe ich aber die eine Szene im Film gedreht, in der sich Eugénie und Geneviève unterhalten, und bin ins Grübeln gekommen. Vielleicht brauchst du diese Antworten gar nicht, was nach dem Tod geschieht? Vielleicht musst du gar nicht wissen, was geschieht, sondern einfach lernen loszulassen? Ich finde diese Szene so schön, weil sie Geneviève erlaubt zu weinen und diese Schmerzen auszuleben. Vielleicht ist das alles, was es in einem solchen Moment braucht.
Die Tanzenden erscheint exklusiv bei Amazon Prime Video, vorher hast du mehrfach mit Netflix gearbeitet. Wie siehst du allgemein die Rolle von solchen Streamingdiensten, denen oft vorgeworfen wird, sie wären das Ende des klassischen Kinos?
Ich denke, dass beides zusammen existieren kann, also Stream und Kino, und habe keine Angst, dass es einmal keine Kinos mehr gibt. Es gibt für beide Formen einen Platz in unserem Leben und wir müssen nur nach einem Weg suchen, wie das aussehen kann. Ich denke, dass die Streamingdienste in Zukunft ihre Filme auch in Kinos zeigen werden. Für mich war die Zusammenarbeit mit Prime Video sehr positiv. Sie kamen zu einem Zeitpunkt hinzu, als die Angst vor einer zweiten Corona-Welle sehr groß war, und haben mich völlig unterstützt bei dem Film. Sie haben mir auch völlig vertraut. Da tauchte niemand am Set oder im Schneideraum auf und sagte mir, was ich zu tun habe. Ich hatte völlig freie Hand. Klar hätte ich mir gewünscht, dass der Film auch auf der großen Leinwand gezeigt wird. Dafür startet er parallel in 250 Ländern. Und das hatte ich in der Form noch nie.
Vielen Dank für das Gespräch!
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