Valentin Thurn
Regisseur Valentin Thurn (© David Vogt)

Valentin Thurn [Interview]

In seiner neuesten Dokumentation Träum weiter! Sehnsucht nach Veränderung erzählt der deutsche Dokumentarfilmer Valentin Thurn (10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?) individuelle Geschichten von fünf Visionären der Gegenwart. Zum Kinostart am 30. September 2021 unterhalten wir uns mit dem Regisseur über die heutige Gesellschaft und die Hintergründe seiner neuesten Produktion.

 

Sie haben mittlerweile mehr als 50 Dokumentationen über soziale, entwicklungs-, umwelt- und bildungspolitische Themen produziert. Woher bekommen Sie so viele Inspirationen und anhand welcher Kriterien wählen Sie ihre Themenschwerpunkte für die nächsten Projekte aus?

Das sind immer Themen mit einer ethischen Fragestellung. Also es geht immer um die Frage „Wie kann das Zusammenleben von Menschen sinnvoll vonstattengehen?“. Also es sind ökologische und soziale Themen aber es ist am meisten immer ein ethischer Konflikt, der da zugrunde liegt. Beim Blick auf die Realität muss man dann schon zwischen den Zeilen lesen und spüren, welches Thema als nächstes wichtig wird. Ich muss eigentlich immer drei Jahre vorher und vor allen anderen die Trends erkennen, sonst wäre ich immer zu spät.

Da schließt sich ja die Frage an, welche Themen sehen Sie denn aktuell als die wichtigsten an?

Das große Hauptthema beschäftigt sich mit dem Wirtschaftswachstum. Wir sehen alle, das kann so nicht weitergehen. Wir haben keine Alternative im Moment, aber wenn wir da nicht etwas finden, dass diesen Wachstumszwang verlässt, dann wird das System gegen die Wand fahren. Wir haben ja jetzt schon Katastrophen aber die werden immer noch größer. In Gesprächen mit dem Kinopublikum, da war die Hälfte meistens zwischen Mitte 20 und Mitte 30, sieht man das. Die stellen sich ganz andere Frage als die älteren Semester, die sich schon arrangiert haben. Die sehen, das kann so nicht funktionieren und die wollen grundlegendere Änderungen. Und da muss ich sagen – dazu braucht es auch grundlegende Änderungen im Kopf, also das Denken muss sich auch stark ändern.

In Träum weiter geht es ja um die Geschichte von fünf ganz unterschiedlichen Visionären. Sicherlich haben sie aber sehr viel mehr Menschen getroffen, weshalb fiel die Wahl gerade auf diese fünf?

Es war uns wichtig erst einmal zu gucken – wer ist denn wo gerade. Also es sollten Menschen sein, die aus irgendeinem Anlass heraus ihr Hamsterrad verlassen haben, aber tatsächlich auch etwas realisieren wollen oder tatsächlich tun. Also solche Menschen, bei denen man etwas beobachten konnte. Es waren schon 20 Steckbriefe, die wir da hergestellt haben und da haben wir eben dann überlegt, wer eignet sich denn besser. In der Mischung haben wir dann diese fünf ausgewählt. Ich muss sagen, das hätte auch anders ausgehen können, wenn wir da eine Serie daraus gemacht hätten, dann eben mit 20 Leuten. Das wäre gar kein Problem gewesen. Aber es war auch eine Art Bauchgefühl. Vielleicht muss ich auch einfach Träum weiter! 2 irgendwann in fünf Jahren drehen.

Träum weiter! Sehnsucht nach Veränderung
Szene aus Valentin Thurns Dokumentarfilm „Träum weiter! Sehnsucht nach Veränderung“ (© Alamode Film)

Bei den ganzen Themen, die in ihrer Dokumentation angesprochen werden, ist das ein oder andere Beispiel ja schon ein wenig extrem, unter anderem die Abwendung vom Schulsystem und die Besiedlung des Mars. Wollten Sie bewusst diese extreme Beispiele mit rein nehmen, um auch ein wenig das radikale Denken festzuhalten?

Ich glaube neue Lösungen brauchen radikale Ansätze. Und nicht, dass ich jetzt glaube, dass wir alle jetzt auf den Mars umsiedeln sollten, wir sollten uns lieber um diesen Planeten bemühen. Aber „Der Marsianer“ hat mich da schon auch sehr überrascht, in dem er einfach Fragen gestellt hat, die eben nur aufkommen, wenn man sich auf so ein One-way Ticket einstellt. Da stellen sich ja so Fragen wie „Wenn wir da jetzt eine Kolonie gründen, brauchen wir dann Hierarchien dort?“ oder „Brauchen wir Geld?“. Und solche Fragen stellt sich hier auf der Erde ja keiner mehr so wirklich. Nicht, dass das jetzt sofort eine Antwort birgt aber überhaupt sich einmal solche Fragen zu stellen und zu überlegen, ob es nicht andere Modelle gibt, nach denen man leben könnte – das ist wirklich sehr wertvoll.

Die Menschen in Träum weiter sind ja teilweise auch Idealisten – sie wollen die Welt zu einem besseren Ort machen. Fehlt es unserer Zeit generell an Idealismus?

Ja, das stimmt einerseits. Das sind Menschen, die jetzt nicht aus einem primär finanziellen oder egoistischen Antrieb handeln aber da ist schon auch eine gewisse Bandbreite. Der Erfinder zum Beispiel, dem ist völlig klar, der kann das nur machen, wenn er genug Geld hat. Van Bo Le Mentzel, der Architekt der Tiny-Häuser dagegen, der ist eben nicht so geschäftstüchtig. Der könnte zwar sehr viel mehr Geld draus machen, aber das will er gar nicht. Also es sind schon unterschiedlichen Typen. Oder der Traum auf dem Mars zu fliegen, das ist ja schon eher ein egoistischer Traum. Also sie sind schon unterschiedlich, aber darum ging es mir auch. Das Hauptziel des Films war es ja den Zuschauern Lust zu machen, den eigenen Träumen hinterherzugehen. Aber die Menschen sind natürlich unterschiedlich, wie auch die Träume. Und das ist auch gut so.

Ihr Film appelliert daran, zu den Sternen zu greifen. Schaut man sich unsere Gesellschaft aber an, so lauert an jeder Ecke das nächste Problem – umwelttechnisch als auch gesellschaftlich. Ist da überhaupt Zeit zum Träumen oder denken sie, dass es diese Probleme auch braucht, um die Motivation in jedem Einzelnen zu wecken? So nach dem Motto „Not macht erfinderisch“.

Ja, ich habe das Gefühl, dass die Menschheit nur mit Katastrophen dazulernt. Aber ich glaube, dass die Lösungen in den Köpfen der Menschen schon vorhanden sind, sich dann aber nicht heraustrauen – ist es jetzt der Verdienst, das Häuschen oder die Sicherheit, die verhindern, dass man sich heraustraut. Dabei wäre aber sehr viel mehr möglich, das zeigt ja auch die Pandemie also dass viele jetzt bereit sind, neue Wege zu gehen. Natürlich ist da jetzt die Politik nicht vorn dran, die war noch nie vorn dran, aber den Menschen gibt es eine Bereitschaft, neue Spuren zu suchen. Und ich denke, dass wir da mit dem Film jetzt in einem richtigen Moment ankommen, auch wenn die Dreharbeiten schon vor Corona abgeschlossen wurden.

Vor mehr als zehn Jahren wurde ja Kickstarter gegründet – eine Plattform auf der es ganz unterschiedliche Visionen gibt und wo jeder Mensch die Wahl hat, Projekte finanziell zu unterstützen. In Hinblick auf ihre Dokumentation, also bei der Umsetzung von visionären Ideen, ist das die Zukunft und braucht es vielleicht sogar noch mehrere Plattformen wie diese?

Auf jeden Fall. Wir haben ja selber vor neun Jahren die Online-Plattform Foodsharing.de gegründet. Und jetzt aktuell, da gibt es ja Folgeprojekt ohne Ende. Das freut mich, dass das mein Film Taste the Waste ausgelöst hat. Die letzte Crowdfunding-Spende, die ich da geleistet habe, war für eine neue Gemeinschaftsküche in München, in der nur mit geretteten Lebensmitteln gearbeitet wird. Schön, dass so etwas läuft. Da gibt es schon eine große Bereitschaft etwas zu unterstützen, zum Teil wo man etwas zurückkriegt, zum Teil aber auch weil man die Idee toll findet. Und das macht mich auch stolz, dass so etwas durch meinen Film ausgelöst wurde. Das ist auch der Grund, warum ich Filme für das Kino mache, weil das emotional ganz andere Dinge auslöst und Menschen dazu bringt, etwas in ihrem Leben zu verändern. Das ist für mich ein größeres Lob als die Zuschauerzahlen, die bisher aber auch sehr gut ausfielen.

Ihr Film porträtiert auch Menschen, die ihr vorheriges Leben ohne groß zu überlegen aufgegeben haben. Viele Menschen könnten das aber bestimmt gar nicht. Da stellt sich ja die Frage – reicht das im globalen Sinne, wenn nur ein Bruchteil der Bevölkerung an Visionen festhält, egal was es kostet?

Also wenn viele Menschen eher ängstlich sind und nicht bereit sind, neue Wege zu bestreiten, dann ist das verständlich. Jeder muss ja sicherstellen, dass er sein Leben finanzieren kann. Das zeigt schön das Beispiel vom Designer der Tiny-Häuser. Er stand da auch vor der Entscheidung, auf einer Seite muss er seine Familie ernähren, auf der anderen Seite möchte er Zeit für seinen Sohn haben. Er hat dann seinen Job erst um 30 Prozent reduziert und später komplett hingeschmissen. Aber dieser erste Schritt, also zu probieren, ob man sein Gehalt irgendwo ersetzen kann, das kann glaube ich jeder machen. Natürlich wird das bei dem einen dann nicht sofort klappen aber mit so Zwischenschritten in die Freiheit, das kann doch jeder probieren. Direkt ins Freie hüpfen, das würde ich sagen, ist riskant. Aber vielleicht gibt es da ja auch Erkenntnisse, die noch ganz anders sind, zum Beispiel der Gedanke, dass man gar nicht so viel Geld braucht, um glücklich und zufrieden zu sein – das soll ja auch vorkommen. Das muss ja jeder für sich selber herausfinden. Und jeder für sich hat ja schon seinen Traum parat, der schwebt schon im Hinterkopf. Das bin nicht ich, der im Film den Leuten sagt, was sie denn für Träume haben. Die haben sie schon. Jetzt müssen sie das nur selber herausholen, das ist der Punkt.

Neben den Visionären in ihrer Dokumentation, welche Menschen sind denn in persönlicher Hinsicht ihre Idole?

Da gibt es schon ein paar Menschen, die ich toll finde. Als Vordenker würde ich sie eher bezeichnen. Idol hat ja so etwas von „Perfektionismus“ und „moralisch unanfechtbar“, da weiß ich gar nicht, wie viele es davon gibt.

Dann bleiben wir bei den Vordenkern.

Momentan mag ich Maja Göpel sehr, die als Wissenschaftlerin auf eine wirklich sehr sympathische Art und Weise die Transformation unserer Wirtschaft in Richtung klimafreundlich propagiert. Das ist ganz toll, dass wir da einen Pool von Frauen haben, die da vorwärtsdrängen – Gott sei Dank.

Zum Abschluss, angenommen sie hätten die Ressourcen, persönlich eine ganz bedeutende Vision umzusetzen, wovon die ganze Welt profitieren würde. Für was für eine Idee würden sie sich entscheiden und warum?

So nach dem Motto – Wenn ich Volkstribun wäre? (lacht) Da gibt es ein paar Dinge, zum Beispiel die Steuergerechtigkeit. Wenn der Staat viel Geld hat, aber nicht funktioniert, dann kann er mit dem Geld auch viel Mist bauen. Es ist vielleicht die Kombination daraus, dass man einerseits Mindeststeuern für Großkonzerne einführt und nicht nur die kleinen und mittleren Unternehmen alles tragen und andererseits eine Reorganisation unserer Parlamente. Also bevor wir irgendetwas anderes machen, zum Beispiel Bürgerräte einführen, ist es viel wichtiger den Einfluss der Lobbys im Parlament zu begrenzen. Wir haben das mal in einer Dokumentation am Beispiel des Agrarausschusses für den ARD untersucht. Das könnte man teilweise schon als legale Korruption bezeichnen. In dem Bereich, in dem die Politiker entscheiden, bekommen sie einen Aufsichtsposten, ganz legal. Sozusagen als Belohnung dafür, wie sie sich verhalten. Das ist höchstgefährlich, für jede Demokratie.

Vielen Dank für das aufschlussreiche Interview.

Zur Person
Valentin Thurn ist ein deutscher Dokumentarfilmer, Journalist und Autor, der sich in bereits mehr als 50 Dokumentationen gesellschaftlichen und umwelttechnischen Fragen gewidmet hat und unter anderem als Regisseur und Produzent des Films Taste the Waste (2011) bekannt ist. 



(Anzeige)