Zorn der Bestien Jallikattu
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Zorn der Bestien – Jallikattu

Inhalt / Kritik

Zorn der Bestien Jallikattu
„Zorn der Bestien – Jallikattu“ // Deutschland-Start: 23. September 2021 (Kino) // 15. Oktober 2021 (DVD/Blu-ray)

Eigentlich hatte Kalan Varkey (Kalan Varkey) zusammen mit Antony (Antony Varghese) den Bullen schlachten wollen, so wie es der Metzger jedes Mal tut. Doch dieses Mal läuft es schief und das wilde Tier entkommt in den nahegelegenen Dschungel. Dass es dort nicht bleiben kann, ist klar. Und so beschließen die Dorfbewohner, den entlaufenen Bullen wieder einzufangen. Aber ohne Erfolg: Die Bestie entzieht sich nicht nur den Männern, die wieder und wieder vergeblich versuchen, es irgendwie in die Enge zu treiben. Es hinterlässt dabei auch noch eine Schneise der Zerstörung. Und so nehmen die Anstrengungen zu, immer mehr Leute beteiligen sich an der Jagd – darunter auch Kuttachan (Sabumon Abdusamad), ein stadtbekannter Wildjäger. Doch damit nimmt auch die Aggressivität zu, die bald das ganze Dorf im Griff hat …

Ein Spektakel ganz eigener Art

Für viele sind das indische Kino und Bollywood zu einem Synonym füreinander geworden. Das ist einerseits verständlich: Nicht nur, dass die aus der Gegend um Bombay – daher das Bo in Bollywood – den größten filmischen Ausstoß Indiens hat. Meistens sind es auch solche Werke, die bei uns veröffentlicht werden. Dabei hat der Vielvölkerstaat deutlich mehr zu bieten als die knallbunten Hochglanz-Musical-Genremischungen, die wir mit dem Land verbinden. Siehe Zorn der Bestien – Jallikattu. Der Mollywood-Film – so werden die im Südwesten des Landes in der Sprache Malayalam gedrehten Filme genannt – ist dabei durchaus selbst ein Spektakel. Aber keines, das man mit den sonst bei uns veröffentlichten indischen Werken vergleichen könnte. Oder überhaupt mit anderen Filmen.

Dabei ist die Geschichte so simpel, dass man sie in einem einzigen Satz unterbringen könnte – ohne Nebensatz wohlgemerkt. Dorfbewohner jagen einen Bullen. Mehr als das ist es nicht. Und doch würde man Zorn der Bestien – Jallikattu damit nicht gerecht werden. Von den ersten Minuten an sieht man, dass man es hier mit einem ganz besonderen Werk zu tun hat. Und man hört es: In einer unglaublich kunstvollen Abstimmung von Bild, Ton und Musik entstehen unwirkliche, traumartige Dorfszenen, bei denen zwar nicht ganz klar ist, was sie darstellen. Doch das geschieht auf eine derart hypnotische und rhythmische Weise, dass der Kopf eh keine Gelegenheit hat, über das Gezeigte nachzudenken. Hier heißt es vielmehr sich treiben zu lassen, mitten hinein in die Dunkelheit.

Die Gewalt unter der Oberfläche

Das gilt auch, wenn die eigentliche Handlung begonnen hat. Die ist im Grunde genauso simpel wie die Geschichte. Ein Großteil von Zorn der Bestien – Jallikattu besteht nur darin, wie irgendwelche Männer durch die Gegend laufen und versuchen, den Bullen wieder einzufangen. Das klappt nie so wirklich, was durchaus auch komische Elemente hat. Und doch ist der Film alles andere als eine Komödie. Vielmehr führt das Herumgerenne immer tiefer in den Abgrund hinein. Das betrifft nicht nur Antony und Kuttachan, welche die Jagd auf das Tier als persönlichen Wettkampf ansehen. Auch ganz unabhängig von den beiden lässt einen der Film an der Menschheit verzweifeln. Lässt einen daran zweifeln, dass es so etwas wie Zivilisation gibt.

Tatsächlich wird der Bulle und die damit einhergehende Zerstörungswut zu einem Katalysator für das gesamte Dorf, sich einmal so richtig gehen zu lassen. Überall brechen Konflikte auf, an der Oberfläche treten nur notdürftig verborgene Zerwürfnisse ans Tageslicht. Das hat schon etwas von der rauschartigen Hysterie, wie sie in Endzeitfilmen bevorzugt auftritt, wenn die Menschen die „Erlaubnis“ bekommen, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Nur dass es hier keine wirkliche äußere Not gibt und trotzdem alles eskaliert. Zudem verbindet Zorn der Bestien – Jallikattu diese Exzesse mit einer Dekonstruktion der Gesellschaft, wenn Klassenkämpfe thematisiert werden, die Unterdrückung der Frau oder eben die Beziehung, die der Mensch zur Natur hat.

Surreale Reise durch die Nacht

Auch das hebt den Festivalliebling – unter anderem das Toronto International Film Festival 2019 – von anderen Gewaltorgien ab, wie sie das Actiongenre zuweilen bietet. Und doch sind es nicht die Gedanken, die einem später im Kopf herumschwirren, sondern die Bilder. Kameramann Girish Gangadharan hat hiermit einen derart betörenden Alptraum erschaffen, dass man sich fragt, warum er nicht viel bekannter ist. Im Sekundentakt zaubert er die sonderbarsten Anblicke aus seiner Kamera. Und das, obwohl er eine im Grunde völlig alltägliche Welt ablichtet und sich nicht von der Natur fortbewegt. Aber das reicht: Er entdeckt im Realen das Surreale, im Bekannten das Unbekannte. Während Zorn der Bestien – Jallikattu durch die Nacht rast, durch die Vergangenheit und das Dorf, entdecken wir immer neue Seiten an uns, die einerseits faszinierend und gleichzeitig erschreckend sind.

Credits

OT: „Jallikattu“
Land: Indien
Jahr: 2019
Regie: Lijo Jose Pellissery
Drehbuch: S. Hareesh, R. Jayakumar
Vorlage: S. Hareesh
Musik: Prashant Pillai
Kamera: Girish Gangadharan
Besetzung: Antony Varghese, Chemban Vinod Jose, Sabumon Abdusamad, Santhy Balachandra

Bilder

Trailer

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In „Zorn der Bestien – Jallikattu“ entkommt ein Bulle seinem Schlachter und wird bald vom ganzen Dorf gejagt. Was sich ziemlich simpel anhört, ermöglicht bald den Blick auf eine kaputte Gesellschaft, in der die Zivilisation nur Fassade ist. Vor allem aber die kunstvolle Inszenierung, welche Bild, Ton und Musik zu einem faszinierend surrealen Rausch vereint, sorgt dafür, dass man diesen sonderbaren Alptraum nicht wieder vergisst.
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