Seit 44 Jahren sind Grant (Gordon Pinsent) und Fiona (Julie Christie) mittlerweile verheiratet, haben dabei so manches auf und ab zusammen durchgestanden. Doch jetzt stehen sie vor einer Prüfung, die selbst für sie zu viel werden droht. Schon seit einer Weile lässt das Gedächtnis von Fiona nach. Was die beiden zunächst für eine harmlose Schwäche halten, stellt sich eines Tages als doch deutlich gravierender heraus. Alzheimer lautet die niederschmetternde Diagnose des Arztes. Um der Entwicklung zuvorzukommen, fällt der Entschluss, dass Fiona in ein Pflegeheim zieht. Dabei darf sie dort die ersten dreißig Tage keinen Besuch empfangen, nicht einmal von ihrem Ehemann. Die beiden willigen ein, ohne zu ahnen, was dies bedeuten wird: Als Grant nach einem Monat das erste Mal im Heim vorbeikommt, erkennt sie ihn nicht mehr wieder …
Etwas Schweres zum Einsteig
Bekannt wurde Sarah Polley eigentlich als Schauspielerin, war von Dramen bis Horrorfilmen in allen möglichen Genres unterwegs. Unter anderem spielte sie in so ungewöhnlichen Werken wie Exotica und eXistenZ mit. Als sie dann zum ersten Mal die Seiten wechselte und einmal selbst Regie führen wollte, durfte man daher neugierig sein, für welchen Stoff sie sich wohl entscheiden würde. Das Ergebnis überraschte durchaus. So schnappte sie sich für ihr Debüt eine Kurzgeschichte der kanadischen Schriftstellerin Alice Munro (Julieta), das 1999 veröffentlichte Der Bär kletterte über den Berg. Diese gehört zu den meist publizierten der Autorin, die 2013 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Und das obwohl der Inhalt alles andere als ein Crowdpleaser ist.
Genauer behandelte sie damals das Thema Alzheimer bzw. Demenz. Inzwischen hat dieses natürlich noch deutlich mehr an Prominenz gewonnen. Schließlich erkranken bei einer immer älter werdenden Gesellschaft entsprechend immer mehr Leute daran. Das Bewusstsein ist gestiegen. Und damit natürlich auch die Angst, selbst einmal davon betroffen zu sein. Die Vorstellung, nach und nach sein komplettes Gedächtnis zu verlieren und damit auch einen wichtigen Bestandteil der eigenen Persönlichkeit, das ist schon echter Horror. An ihrer Seite ist da jedoch vergleichsweise gnädig. Wo in Filmen wie Still Alice auch die Demütigungen gezeigt werden, die in solches Schicksal mit sich bringen kann, da ist Fiona in ihrer neuen Welt fast schon glücklich, bekommt einfach nur vieles nicht mehr mit.
Über einen schleichenden Verlust
Polley konzentriert sich in dem Drama dann auch mehr auf die Außenperspektive. Während The Father kürzlich eindrucksvoll vor Augen führte, wie jemand mit Demenz-Erkrankung in der Welt verloren geht und vieles keinen Sinn mehr für ihn ergibt, da verrät der deutsche Untertitel von An ihrer Seite bereits, worum es hier geht: „Kann man loslassen, was man am meisten liebt?“ Ein Großteil der Geschichte besteht darin, wie Grant Tag für Tag ins Heim fährt, immer in der Hoffnung, noch einmal seine Fiona sehen zu können. Doch die hat nach der langen Pause längst mit ihm abgeschlossen. Er existiert nicht mehr so wirklich für sie, sie kümmert sich stattdessen um einen ebenfalls erkrankten Mitbewohner. Leistet ihm Gesellschaft. Ist Glücksbringerin beim Kartenspiel. Später versucht sie ihn zu stützen, als er körperlich stärker abbaut.
An ihrer Seite erzählt also mehr von einem langsamen Entgleiten als dem hässlichen Abgrund, der dort auf einen warten kann. Das bedeutet aber nicht, dass das Drama nicht auch seine emotionalen Momente hat. Nur ist es eher Grant, dem das Mitleid des Publikums gilt, ist er sich doch stärker des Verlustes bewusst als seine Ehefrau. Das bedeutet gleichzeitig aber auch, dass die Szenen, in denen Fiona doch realisiert, was vor sich geht, eine ziemliche Kraft entwickeln. Julie Christie, die hierfür mehr als 40 Jahre nach ihrem Sieg bei Darling noch einmal eine Oscar-Nominierung als beste Hauptdarstellerin erhielt, brilliert mit ihrer Mischung aus Stärke und Verletzlichkeit, zeigt selbst in den Momenten der Schwäche viel Würde. Auch wenn das Drama mit der Zeit nicht mehr so wirklich viel Entwicklung vorweisen kann und etwas auf der Stelle tritt, so ist Polley doch ein sehenswertes und einfühlsames Debüt geglückt, das von einem schmerzhaften Abschied auf Raten erzählt, ohne das Thema ausschlachten zu wollen.
OT: „Away From Her“
Land: Kanada
Jahr: 2006
Regie: Sarah Polley
Drehbuch: Sarah Polley
Vorlage: Alice Munro
Musik: Jonathan Goldsmith
Kamera: Luc Montpellier
Besetzung: Julie Christie, Gordon Pinsent, Olympia Dukakis, Michael Murphy, Wendy Crewson, Kristen Thomson
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Academy Awards | 2008 | Beste Hauptdarstellerin | Julie Christie | Nominierung |
Bestes adaptiertes Drehbuch | Sarah Polley | Nominierung | ||
BAFTA | 2008 | Beste Hauptdarstellerin | Julie Christie | Nominierung |
Golden Globes | 2008 | Beste Hauptdarstellerin (Drama) | Julie Christie | Sieg |
Toronto International Film Festival 2006
Sundance Film Festival 2007
Berlinale 2007
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