Szenenbild aus Hermann Vaskes Dokumentarfilm "Why we are not creative?" (© riseandshine-cinema)

Hermann Vaske [Interview]

Nachdem Hermann Vaske 2018 Why we are creative? herausbrachte, befand er sich am Anfang einer mehrteiligen Filmreihe, um das große Thema der menschlichen Kreativität in all seiner Fülle zu beleuchten. Da nun seine neue Produktion Why we are not creative? in den Kinos läuft, nutzten wir die Möglichkeit mit dem deutschen Dokumentarfilmer einmal zu sprechen, um so in die Tiefen der menschlichen Kreativität vorzudringen.

Als 2018 Why we are creative? herauskam, war Ihnen damals schon bewusst, dass es noch einen Gegenfilm geben muss?

Ja, mir war damals schon bewusst, dass da noch ein Elefant im Raum steht. Durch den ersten Film haben sich aber auch einfach so viele weiterführende Fragen ergeben, das habe ich schon im Laufe der ersten Interviews festgestellt. Wenn ich mit Menschen  über das große Thema Kreativität spreche, dann sind das meistens längere Gespräche. Die zweite Frage ist also eine konsequente Fortsetzung der ersten. Das ging Hand in Hand.

In Ihrer Produktion kommen ganz große Stars zur Sprache, welcher blieb am meisten im Gedächtnis?

Natürlich das absolute Ausnahmetalent David Bowie. Mit David habe ich mehrere Interviews geführt und da merkt man einfach – das war jemand, der es verstand, sich immer wieder neu zu erfinden. „Product plus personality equals brand“ trifft auf keinen besser zu als auf David. Mir hat es immer wahnsinnig imponiert, dass er sich ständig neu erschaffen hat. Seine Antworten auf meine Fragen sind klug und zeitlos. Er erzählte mir da unter anderem, dass Angst in seinem Leben eine große Rolle spielt, weil er Angst als Vehikel für seine eigene Kreativität benutzte. Möglicherweise war er gerade dadurch so einzigartig.

Und wenn Sie die Möglichkeit hätten, einen verstorbenen Künstler zu interviewen? Mit welcher historischen Persönlichkeit würden Sie am liebsten einmal über Kreativität sprechen?

Mit dem russischen Regisseur Sergej Eisenstein zum Beispiel. Für Eisenstein bedeutete Kreativität zwei Sachen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, zusammenzubringen, um eine dritte zu schaffen.  Das ist eine Definition von Kreativität, die mir immer sehr gefallen hat. Daneben fallen mir noch Philosophen wie Arthur Schopenhauer oder Friedrich Nietzsche ein. Und natürlich der große Lyriker Rainer Maria Rilke. Rilkes Buch „Briefe an einen jungen Dichter“ war Dennis Hoppers Lieblingsbuch und das habe ich vor einigen Jahren unter dem Titel Must I Write? mit Dennis Hopper verfilmt. In meinen Augen ist das das beste Buch, das jemals über Kreativität geschrieben wurde.

Da Ihre Dokumentation eine Vielzahl unterschiedlicher Antworten auf die Titelfrage bietet, was wären Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten?

Staatszensur führt zu Selbstzensur und die wiederum führt zu Angst. Damit hätte man die Kette wunderbar abgedeckt. Bei den meisten Menschen ist Angst der größte Ideenkiller. Anhand eines konkreten Beispiels möchte ich erklären, warum. Während eines Interviews zwischen eines Journalisten von der BBC und Damien Hirst deutete der Journalist auf eines der Kunstwerke von Damien und sagte: „I could’ve done that.“ (Ich hätte das auch gekonnt.), worauf Damien erwiderte: „Yes, but you didn’t“. (Ja, hast du aber nicht.). Und warum machen wir es nicht? Es ist Angst. Es ist der kleine Bourgeois, der kleine Spießbürger, der Zensor in uns, der ständig sagt: „Was sollen die Nachbarn denken? Was soll die Presse denken? Mach es besser nicht. Sei vorsichtig.“ Wissen Sie, ich traf mal den Designer George Lois in New York. Er schenkte mir ein Buch und dieses Buch hieß „Be careful, George“ (Sei vorsichtig, George). Genau das hatten ihm seine Eltern immer eingebläut. George Lois nahm dann einen Stift und schrieb eine Widmung in das Buch: „Be reckless, Hermann“ (Trau dich, wag was, riskier was, Hermann). Das war ein guter Ratschlag und ich habe immer versucht, mich danach auszurichten. Ziele sind ein wahnsinnig guter Kompass für Kreativität.

Auf die Frage „Was tötet Kreativität?“ kam auch die Antwort „das Gefühl zu haben, dass es die eigene Idee vorher schon gab“. In Hinblick auf die Milliarden Menschen heutzutage und dem Umstand, dass Studios sich bei Kinofilmen ziemlich oft an altem Material orientieren, wird das nicht immer komplizierter und irgendwann vielleicht sogar ein Ding der Unmöglichkeit, eine völlig neue Idee zu haben?

Wenn wir Kreativität wie in Webster’s Dictionary definieren: to put something into being that did not previously exist (Etwas erschaffen, dass es vorher noch nicht gab), dann muss ich schon sagen, dass dies selten geworden ist. Aber das ist schon so – vieles, von dem was wir sehen, ist nur seemingly new, also scheinbar neu. Man könnte es also auch so sagen: Man nimmt alte Zutaten, packt die in einen Cocktail-Shaker und mixt es noch einmal ordentlich durch. Das Resultat ist dann nicht wirklich neu, es ist scheinbar neu. Aber es gibt auch Ausnahmen. Ein Freund, mit dem ich zusammen studiert habe, erzählte mir, dass er den neuen Dune bei einem Special Screening in den Warner Studios auf der großen Leinwand gesehen hat. Er war total begeistert. Das macht mich natürlich neugierig und ich kann es kaum erwarten zu sehen, wie der Regisseur es geschafft hat, den Ausgangsstoff auf ein neues Level zu bringen.

Im heutigen Zeitalter von TikTok und Instagram verweigert sich Ihr Film diesen Subwelten. Doch finden wir hier nicht besonders viel Kreativität vor?

Ich habe schon 2010 für ARTE einen Film über digitale Kreativität gemacht. Der Film heißt Die digitale Bombe. Man kann ihn sich auf journeyman.tv anschauen. In diesem Film habe ich mich ausgiebig mit den Content Creators auf YouTube, Facebook, Twitter & Co. befasst und die Arbeiten der Internet Stars gewürdigt. Klar hat sich die Vernetzung in zehn Jahren jetzt noch einmal stark intensiviert und sicherlich bringt Social Media herausragende Kreativität hervor. Nichtsdestotrotz konkurriert Quantität mit Qualität, und diese Konkurrenz steht auch im Vordergrund des Diskurses.

Im Film kommen ziemlich viele Meinungen vor, doch wie sieht es mit Fakten aus? An einer Stelle kommt ein Neuropsychologe kurz zur Sprache, doch psychologische Hintergründe behandelt Ihre Dokumentation eher weniger. Fehlt dies nicht ein stückweit?

Auch in der Hinsicht habe ich schon einen Film gemacht, der heißt Invasionen der Ideen und kam 2005 heraus. In diesem Film kommen viele Wissenschaftler vor. Mit dabei sind die Quantenphysiker Prof. Dr. Fred Alan Wolf von der Berkeley University in Kalifornien, Stuart Hameroff von der University of Arizona, Dr. Amit Goswami vom Institute of Theoretical Science an der University of Oregon sowie Professor Stephen Hawking aus Cambridge. Invasion der Ideen ist daher sehr faktenbasiert. Wenn man also meine vorherigen Filme schaut, dann ergibt sich natürlich ein sehr viel holistischeres Bild. Invasion der Ideen liefert etwa eine sehr detaillierte Abhandlung aus wissenschaftlicher Perspektive.

Why are we creative? oder Why are we not creative? – welche Produktion gefällt Ihnen selber besser und warum?

In der Dialektik der Kreativität kann man das eine nicht ohne das andere sehen. Oder, wie der große Robert Altman sagen würde: it’s all one film. Also: ask me again next year, wenn der letzte Teil der Trilogie in die Kinos kommt und die Synthese fertiggestellt ist (lacht).

Nach ihren beiden Werken, ist dies das Ende Ihrer Reise in die Tiefen der menschlichen Kreativität oder was kommt als nächstes?

Es ist eine Trilogie, die ich geplant habe. Der dritte und letzte Teil heißt How Are We Creative?. Im fünfzehnten Jahrhundert kam nach der Pest die Renaissance mit Leonardo, Michelangelo und Giorgio Vasari. Im dritten Teil geht es also um Folgendes: Wie schaffen wir inmitten der Krise einen Umbruch und Aufbruch? Wie starten wir eine kreative Renaissance? Das sind für mich die brennenden Fragen unserer Zeit. Wie können wir kreativ besser werden? Wie ist es für jeden von uns möglich, Ideen zu haben und diese umzusetzen? Wie kann Kreativität helfen, die Probleme der Welt zu lösen? Wie können wir die Herausforderungen der Zukunft bewältigen? Mit diesen Fragen wird sich der dritte und letzte Teil meiner Kreativ-Trilogie beschäftigen. Und im Verbund damit gibt es neue Ausstellungen der Sammlung Why Are You Creative und zwei neue Bücher. Ein Postkartenbuch und eines über die Dialektik der Kreativität.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Hermann Vaske ist deutscher Dokumentarfilmer und befragte im Rahmen seiner Creative-Reihe in in mehr als 30 Jahren über 1000 Berühmtheiten zum Thema Kreativität.

Foto: Anton Corbijn

 



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