Hippokrates und ich Hippocrate Arte
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Hippokrates und ich

Inhalt / Kritik

Hippokrates und ich Hippocrate Arte
„Hippokrates und ich“ // Deutschland-Start: 13. Oktober 2021 (Arte)

Als der 23-jährige Benjamin (Vincent Lacoste) seine Stelle als Assistenzarzt in einem Pariser Krankenhaus antritt, sind die Erwartungen groß. Schließlich arbeitet dort auch sein Vater Professor Barois (Jacques Gamblin), der die Innere Medizin leitet. Doch es ist nicht allein die Erwartungshaltung, die ihm schwer zusetzt. Da wäre die hohe Verantwortung, der andauernde Stress, dazu Ärger mit Angehörigen. Erschwert wird die Arbeit zudem durch den aus Algerien stammenden Abdel (Reda Kateb), der ebenfalls als Assistenzarzt arbeitet und dabei deutlich mehr Erfahrung und Fachwissen hat. Auch sonst kommt es immer wieder unter den Kollegen und Kolleginnen zu Meinungsverschiedenheiten. Als Benjamin ein folgenschwerer Fehler unterläuft, muss er sich deshalb die Frage stellen, ob er für diese Stelle wirklich geschaffen ist …

Dauerbrenner Krankenhaus

An Geschichten, die in Krankenhäusern spielen, mangelt es nun eigentlich nicht gerade. In den USA ist General Hospital noch immer beliebt, mehr als 60 Jahre seit der ersten Folge und über 14.000 Folgen später. Grey’s Anatomy und Emergency Room bringen es jeweils auf immerhin mehr als 300 Folgen. Und auch in Deutschland arbeitete man immer wieder an solchen Produktionen. Zuletzt etwa versuchte Doktor Ballouz, in dem hart umkämpften Feld für Akzente zu sorgen. Dabei stehen oftmals die Figuren als solche im Vordergrund. Die Serien kommen eher aus dem Seifenoperbereich, haben mehr Interesse daran, die Herzen des Publikums zu berühren, als sich mit der tatsächlichen Arbeit in einem solchen Krankenhaus auseinanderzusetzen.

Das ist bei Thomas Lilti anders. Aus gutem Grund: Der Regisseur und Drehbuchautor ist von Haus aus selbst Arzt, hat deshalb Einblicke in diese Profession, die über weiße Kittel und Stethoskope hinausgehen. Die teilte er mehrfach mit seinem Publikum. Hierzulande kennt man ihn beispielsweise für sein Drama Der Landarzt von Chaussy. In seiner Heimat Frankreich machte er hingegen schon einige Jahre früher auf sich aufmerksam. So war sein Hippokrates und ich aus dem Jahr 2014 für einige Césars im Rennen, den wichtigsten französischen Filmpreis. Unter anderem war die Geschichte um den jungen Assistenzarzt Benjamin für den besten Film, die beste Regie, das beste Original-Drehbuch und den besten Hauptdarsteller nominiert, ging am Ende jedoch leer aus.

Probleme an allen Ecken und Enden

Ob der Film diesen Preisregen nun verdient hätte oder nicht, darüber lässt sich natürlich streiten. So oder so ist es schön, dass der Film mit vielen Jahren Verspätung dank Arte nun doch noch den Weg zu uns findet. Um einen Crowdpleaser handelt es sich bei Hippokrates und ich erwartungsgemäß nicht. Benjamin ist sicher kein Held. Er ist nicht einmal unbedingt der große Sympathieträger. So neigt er schon sehr zum Schmollen, wird manchmal patzig, gerade auch, wenn er an seine Grenzen stößt. Und das kommt häufiger mal vor. Auch sonst herrscht da zuweilen ein rauer Ton: Regelmäßig wird die Kompetenz der anderen in Frage gestellt, werden Hierarchien übergangen. Das wird gerade zum Ende hin sehr auffällig, wenn die Ereignisse sich überschlagen und die Grundstimmung derart erhitzt ist, dass jedes Wort einen Flächenbrand auslösen kann.

Wer ohnehin schon so seine Zweifel hat an Ärzten, Krankenhäusern oder dem Gesundheitssystem allgemein, der findet hier eine traurige bis schockierende Bestätigung. Da werden mal Fehler vertuscht, es gibt eine offensichtliche Ungleichbehandlung der Angestellten, auch Rassismus spielt da mal eine Rolle. Ein großes Thema ist zudem die chronische Unterfinanzierung und der damit einhergehende Druck, rentabel zu arbeiten. In Hippokrates und ich geht es oft darum, wie Behandlungen ihrer selbst willen durchgeführt werden und nicht zum Wohle des Patienten. Vor allem ein Handlungsstrang um eine schwerkranke ältere Dame geht wirklich an die Nieren und erinnert daran, worum es bei dieser Arbeit eigentlich gehen sollte.

Komplexer Blick hinter die Kulissen

Leicht verdaulich ist das nicht, aber doch nachvollziehbar erzählt. Hippokrates und ich wartet an der Stelle mit einem talentierten Ensemble auf, das die menschliche Seite hinter den weißen Kitteln aufzeigt. Wir sehen die Abgründe, Sorgen und Nöte der vermeintlichen Götter in Weiß, die häufiger selbst nicht wissen, was das Richtige ist. Das ist dann vielleicht nicht unbedingt schön, auch wenn es rührende Momente der Solidarität gibt. Aber es ist doch ein sehenswertes Drama, welches ungeschminkt den Alltag hinter einem Beruf zeigt, der Abdel zufolge einem Fluch gleichkommt. Lilti zeigt dabei die Fehler des Systems wie auch der beteiligten Figuren auf, ohne es sich dabei auf allzu einseitigen Schuldzuweisungen bequem zu machen. Hier wird einfach weitergemacht, so gut man es eben kann, und darauf gehofft, dass die gerade getroffene Entscheidung die richtige war.

Credits

OT: „Hippocrate“
Land: Frankreich
Jahr: 2014
Regie: Thomas Lilti
Drehbuch: Thomas Lilti, Baya Kasmi, Julien Lilti, Pierre Chosson
Musik: Alexandre Lier, Sylvain Ohrel, Nicolas Weil
Kamera: Nicolas Gaurin
Besetzung: Vincent Lacoste, Reda Kateb, Jacques Gamblin, Marianne Denicourt, Félix Moati, Carole Franck, Philippe Rebbot

Bilder

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
César 2015 Bester Film Nominierung
Beste Regie Thomas Lilti Nominierung
Bester Hauptdarsteller Vincent Lacoste Nominierung
Bester Nebendarsteller Reda Kateb Sieg
Beste Nebendarstellerin Marianne Denicourt Nominierung
Bestes Original-Drehbuch Thomas Lilti, Baya Kasmi, Julien Lilti, Pierre Chosson Nominierung
Bester Schnitt Christel Dewynter Nominierung
Prix Lumières 2015 Bestes Drehbuch Thomas Lilti, Baya Kasmi, Julien Lilti, Pierre Chosson Nominierung

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„Hippokrates und ich“ nimmt uns mit in ein Pariser Krankenhaus und begleitet einen jungen Assistenzarzt in seiner schwierigen Anfangsphase. Der Film ist dabei weit entfernt von den sonstigen Seifenoperkollegen, sondern zeigt ungeschönt die hässlichen Seiten dieses Berufes. Das ist teilweise schwer zu ertragen, aber doch auch fesselnd und gut gespielt.
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