Jaddeh Khaki Hit the Road
© Celluloid Dreams

Hit the Road

Inhalt / Kritik

Jaddeh Khaki Hit the Road
„Hit the Road“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Eine vierköpfige Familie sitzt samt Hund im gemieteten SUV auf einer scheinbar nicht enden wollenden Fahrt am Rande einer iranischen Landstraße. Was zunächst nach einem konventionellen Roadmovie klingt, stellt sich schnell als aufregende Tragikomödie heraus. Ob das dick eingegipste Bein des Vaters tatsächlich gebrochen ist, warum das Mobiltelefon des jüngsten von der Mutter beschlagnahmt und am Straßenrand vergraben wird, was mit dem im Kofferraum kauernden Hund eigentlich falsch läuft und warum der ältere Sohn die sarkastischen Wortgefechte zwischen den anderen Familienmitgliedern still und teilnahmslos zur Kenntnis nimmt, ist unklar. Ebenso unbekannt ist, woher die Familie eigentlich kommt, was das Ziel der Reise ist und ob sie überhaupt auf dem richtigen Weg sind.

Wo sind wir denn hier gelandet?

Dass es sich bei Hit the Road um einen besonderen Roadmovie handelt, verdeutlicht schon die Eingangsszene des Films. Synchron zu einem Schubertschen Klavierstück aus dem Autoradio drückt das jüngste Familienmitglied, von den Mitfahrern wahlweise kleine Plage oder kleiner Furz genannt (Rayan Sarlak), die Klaviertasten, die er zuvor auf den Gips seines Vaters (Hassan Madjooni) gemalt hat. Doch die Idylle hält nur kurz. Die Musik wird von einem Störsignal unterbrochen, das Auto steht. Keiner der Mitfahrenden ist sich wirklich sicher, wo sie sich befinden oder welches Ziel sie ansteuern. Schnell entsteht ein Geplänkel unter den Familienmitgliedern. Eine gehörige Portion schwarzer Humor schlägt daraufhin in einen kleinen Familienkonflikt um.

Im Mittelpunkt stehen auf einmal nicht mehr das vorher diskutierte fragwürdige romantische Interesse des sechsjährigen Sohnes, sondern dringende Fragen nach Existenzsicherung, der Übernahme von Verantwortung und akute Trennungsangst. An verschiedenen Stellen auf der Strecke ins Ungewisse wiederholt sich dieser Vorgang. Das Auto hält an, es wird gewitzelt und neue Konfliktlinien entstehen. Ein wirklicher Fortschritt lässt sich dabei jedoch nicht erkennen. Dem Drehbuch scheint es dabei ähnlich wie den Mitfahrenden unklar zu sein, wohin die Reise der Familie eigentlich gehen soll. Während diese Ziellosigkeit mitunter durchaus interessant ist und für spannende, tragisch-komische Dialoge sorgt, scheint die Ambiguität des Familienausflugs schnell eher unfokussierte Beliebigkeit zu sein. Kein Konflikt wird ausführlicher oder gar abschließend ausgefochten und die Motivation der jeweiligen Familienmitglieder bleibt weitestgehend unklar. Was zunächst Interesse weckt, sorgt auf Dauer dafür, dass sich Hit the Road deutlich länger anfühlt als die tatsächlichen anderthalb Stunden Laufzeit.

Dass der Debütfilm von Regisseur Panah Panahi dennoch nicht langweilig wird, liegt vor allem am großartigen Schauspielerensemble. Klarer Star des Films ist der Kinderschauspieler Rayan Skarlak. Ohne aufgesetzt zu wirken, verkörpert er facettenreich das hyperaktive wie geistreiche Nesthäkchen und nimmt die Zuschauer dabei auf eine emotionale Achterbahnfahrt mit. Insbesondere in Szenen mit seiner Mutter, gespielt von Pantea Panahiha, entsteht dabei eine besonders starke Harmonie vor der Kamera. Panahihas rohe Emotionalität in der überzeugt vor allem in der zweiten Hälfte des Films. Deutlich zurückhaltender, jedoch nicht unwesentlich authentischer interpretieren Hassan Madjooni und Amin Simiar die Rollen des alternden Patriachen und des verdrießlichen älteren Sohnes, für den die Fahrt nicht schnell genug ein Ende finden könnte. Unterstützt wird die starke Darstellung der Familie mit beeindruckenden Kamerabildern. Die Wüsten- und Berglandschaft des Irans fungiert dabei als ständige erdende Kulisse der ausufernden Witzeleien und Auseinandersetzungen zwischen den Familienmitgliedern. Insbesondere in der Schlussviertelstunde wird von Kameramann Amin Jafari ein Feuerwerk abgefeuert, das visuell ohne Probleme mit den ganz großen hinter der Kamera mithalten kann.

Panahi lässt mit Hit the Road sein Potential für das Erzählen und Inszenieren besonderer Geschichten erkennen. Der Sohn von Jafar Panahi, Gewinner der Goldenen Kamera in Cannes (Der weiße Ballon) und des goldenen Löwen in Venedig (Der Kreis), tritt damit in große Fußstapfen. Dass er durchaus dazu in der Lage sein kann, diese zu füllen, hat er mit seinem Debütfilm, der in der Nachwuchssektion Directors’ Fortnight bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes Premiere hatte, bereits in Ansätzen bewiesen.

Credits

OT: „Jaddeh Khaki“
Land: Iran
Jahr: 2021
Regie: Panah Panahi
Drehbuch: Panah Panahi
Musik: Peyman Yazdanian
Kamera: Amin Jafari
Besetzung: Hassan Madjooni, Pantea Panahiha, Rayan Sarlak

Trailer

Kaufen / Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

„Hit the Road“ ist eine unkonventionelle Tragikomödie, in dem die Wahrheiten und Rollenverständnisse der vierköpfigen Familie ständig neu verhandelt werden. Einem teilweise chaotischen Drehbuch stehen beeindruckende Kamerabilder der iranischen Wüsten- und Berglandschaft und ein durchweg überzeugendes Schauspielerensemble gegenüber.
Leserwertung8 Bewertungen
5.9
6
von 10