Als 1940 die deutsche Armee in Frankreich einmarschiert, wird eilig ein kleines Städtchen nahe der belgischen Grenze evakuiert. Unter den flüchtenden Menschen befindet sich auch der Radiomechaniker Julien Maroyeur (Jean-Louis Trintignant), der gemeinsam mit seiner hochschwangeren Frau und seiner Tochter die Reise antritt. Zu seiner Überraschung wird er jedoch von seiner Familie getrennt. Während diese vorne im Personenzug Platz nimmt, muss er mit einem Güterzug Vorlieb nehmen. Dabei begegnet er auch der deutschen Jüdin Anna Kupfer (Romy Schneider), die zuvor vor den Nazis geflohen ist. Die beiden geben sich während der anstrengenden Reise gegenseitig Halt und kommen sich dabei nach und nach näher …
Glück im Unglück?
Ist es möglich, innerhalb des größten Unglücks sein Glück zu finden? Zumindest zwischendurch könnte man bei Le Train – Nur ein Hauch von Glück meinen, dass das hier der Beginn einer großen Liebesgeschichte ist. Eine Romanze, die alles andere überstrahlt und den Schrecken der Welt da draußen vergessen lässt. Dabei sind die Bedingungen für ein solches emotionales Glück hier denkbar schlecht. Nicht nur, dass Julien verheiratet ist, ein Kind hat, ein zweites ist unterwegs – keine gute Voraussetzung. In einem überfüllten Güterwaggon unterwegs zu sein, in dem die Menschen vor dem Krieg fliehen, da gibt es außerdem nun einmal ganz andere Prioritäten. Da geht es primär um das pure Überleben im Angesicht der herannahenden Truppen.
Dabei ist Le Train – Nur ein Hauch von Glück kein Film, der dieses Leid direkt auszuschlachten versucht. Stattdessen gibt es eine interessante Mischung aus Distanz und Nähe. Die Menschen an Bord des Güterwaggons, der zum Mittelpunkt der Geschichte wird, setzen sich aus den unterschiedlichsten Charakteren zusammen, mit unterschiedlichsten Schicksalen. Gemeinsam ist ihnen nur, dass sie versuchen, aus der Gefahrenzone herauszukommen. Das alleine ist aber kein Garant dafür, dass man sich tatsächlich versteht. Es kommt zwangläufig zu Reibereien, wenn Menschen sich einen engen Raum teilen müssen. Zwischendurch wird es aber auch fast schon lustig, so als wäre das hier eine Klassenfahrt und die Lehrer wären gerade nicht da.
Der allgegenwärtige Kritik
Diese heiteren Szenen sind aber natürlich trügerisch. Immer wieder baut Regisseur Pierre Granier-Deferre bei seiner Adaption einer Kurzgeschichte von Georges Simenon (Die Fantome des Hutmachers, Das blaue Zimmer) Hinweise ein, wie es da draußen wirklich zu sich geht. Das können Original-Dokumentarszenen sein, die zum Kontrast eingesetzt werden und für sehr harte Schnitte sorgen. Unterwegs wird der Zug auch vom Krieg eingeholt, wenn die Männer und Frauen in lebensbedrohliche Situationen geraten. Diese sind jedoch eher die Ausnahme. Le Train – Nur ein Hauch von Glück ist kein Actionstreifen oder groß angelegtes Abenteuer, bei dem eine Gruppe von Leuten gegen den Feind kämpft. Über weite Strecken handelt es sich vielmehr um ein sehr ruhig erzähltes Drama.
In dessen Mittelpunkt stehen Julien und Anna, die bislang sehr unterschiedliche Leben geführt haben. In ihren Gesprächen erfahren sie und damit auch das Publikum mehr übereinander. Dabei ist es natürlich vor allem um das zu Herzen gehende Schicksal von Anna, die zu einer Vertriebenen in ihrem eigenen Land geworden ist. Ein Schicksal, das auch in Julien etwas auslöst. Von Anfang an fühlt er sich zu ihr hingezogen, tritt auch als Beschützer auf – nur weil in dem Waggon lauter Opfer sind, heißt das nicht, dass sie nicht auch Täter werden können. Im Laufe von Le Train – Nur ein Hauch von Glück muss er sich aber mit der Frage auseinandersetzen, ob er selbst Verantwortung für sie übernehmen kann und soll. Schließlich ist da auch seine Familie, um die er sich kümmern muss.
Sensibel gespielte Tragik
Einfache Antworten gibt es dabei nicht. Granier-Deferre, der auch am Drehbuch gearbeitet hat, verzichtet auf eine Verurteilung oder moralisierende Einwürfe. Stattdessen betont er das Menschliche in der unmenschlichen Situation. Le Train – Nur ein Hauch von Glück fußt dabei in erster Linie auf der schauspielerischen Leistung des prominenten Duos. Jean-Louis Trintignant und Romy Schneider arbeiten vor allem mit feinem Mienenspiel oder auch mit Blicken, um die jeweiligen Geschichten zu erzählen, müssen vieles nicht aussprechen. Der Film richtet sich damit nicht an ein Publikum, das bei der Kombination von Krieg und Liebe das große Melodram erhofft. Hier steht am Ende die Tragik eines Lebens, das nicht sein durfte, und die Erkenntnis, dass nicht jeder Kampf gewonnen werden kann.
OT: „Le Train“
Land: Frankreich, Italien
Jahr: 1973
Regie: Pierre Granier-Deferre
Drehbuch: Pascal Jardin, Pierre Granier-Deferre
Vorlage: Georges Simenon
Musik: Philippe Sarde
Kamera: Walter Wottitz
Besetzung: Jean-Louis Trintignant, Romy Schneider, Régine, Nike Arrighi, Maurice Biraud, Paul Amiot, Paul Le Person
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