Tagein, tagaus arbeitet Kyeong-mi (Jin Ki-joo) in einem Callcenter, wobei die Arbeit zu einer Routine geworden ist, bei der es vor allem darum geht, schnelle Lösungen zu finden und die besonders frustrierten Kunden zu beruhigen. Jedoch ist die junge Frau in ihrem Job besonders, denn da sie gehörlos ist und die Zeichensprache beherrscht, ist sie die einzige Person, die sich um jene Kunden kümmern kann, welche ein ähnliches Handicap haben wie sie. Über die Jahre musste sie, wie auch ihre ebenfalls gehörlose Mutter (Gil Hae-yoon), immer wieder Beleidigungen und Diskriminierungen hinnehmen. Doch mit der Zeit hat sie durch ihre entwaffnend ehrliche Art einen Weg gefunden, wie sie mit derlei Verhalten umgehen kann.
Eines Abends bemerkt sie in einer dunklen Seitengasse eine junge, verwundete Frau, die sie anfleht, Hilfe zu holen. Was sie nicht ahnt: Sie wird von Do-shik (Wi Hye-yoon) beobachtet, der nicht nur die Frau angegriffen hat, sondern schon seit Wochen sein Unwesen in der Stadt treibt. Da er in Kyeong-mi ein weiteres Opfer wittert, nimmt er sogleich die Verfolgung auf, wobei sich die junge Frau in letzter Sekunde retten kann und nun durch die nächtlichen Gassen der Stadt gejagt wird.
Eine unvergessliche Nacht
Spätestens seit Werken wie Kim Jee-wons I Saw the Devil und Na Hong-jins The Chaser ist das Thrillergenre zu einer festen Größe innerhalb der südkoreanischen Filmindustrie geworden, wobei es nicht nur darum geht, den US-amerikanischen Vorbildern nachzueifern, sondern eine ganz eigene Marke zu schaffen, welche die urbane Kultur von Metropolen wie Seoul widerspiegelt. In diese Tradition passt auch Midnight, das Regiedebüt Kwon Oh-seungs, welches im Programm des diesjährigen Fantasy Filmfests vertreten ist. In der Geschichte um zwei gehörlose Frauen, die sich gegen einen gnadenlosen Killer wehren müssen, vermischen sich die Neo-Noir-Ansätze des koreanischen Thrillerkinos mit Themen wie Hilflosigkeit und dem Status gehörloser Menschen innerhalb der koreanischen Kultur.
Vielleicht ist es das Selbstvertrauen in das eigene Können oder die Erfahrung mit dem Genre, doch speziell in der jüngeren Vergangenheit scheint sich das südkoreanische Kino gerade was den Thriller angeht, in einer Sackgasse verlaufen zu haben. Während die Prämisse vieler Filme verheißungsvoll klingt, leidet besonders die Geschichte unter allerlei Wiederholungen, übermäßigem Pathos sowie unnötigen Nebenschauplätzen, was besonders der Spannung abträglich war. In diesem Sinne scheint Kwon Oh-seung nicht nur was die Laufzeit seines Filmes angeht, einiges aus den Fehlern seiner Vorgänger gelernt zu haben, sondern sich zudem auf das Fundament des Genres besonnen zu haben. Nicht nur optisch macht Midnight einen besonders guten Eindruck und weiß das urbane Labyrinth, in welchem sich das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Mörder und Opfer abspielt, effektvoll in Szene zu setzen. Auch die Spannungskurve wird nicht außer acht gelassen, sodass der Film mit nur wenigen Mitteln eine gewisse Intensität erreicht, welche durchaus an die eingangs genannten Genrevertreter des Landes erinnert. Schade nur, dass es die Regie in den letzten Minuten mit den Twists etwas übertreibt.
Dem Mörder ausgeliefert
Darüber hinaus ergibt sich die erwähnte Spannung und Intensität aus der besonderen Lage von Kyeong-mi und ihrer Mutter. Immer wieder beschreibt das Drehbuch ihre besondere Situation innerhalb der Gesellschaft, insbesondere am Arbeitsplatz, aber auch in anderen Kontexten, in welchen sich die beiden Frauen zwar zurechtfinden, aber in denen sie immer noch aufgrund ihres Handicaps ausgeschlossen sind. Insbesondere Ji Ki-joo betont, wie sich ihre Figur zwar mit diesem Status abgefunden hat, aber keinesfalls jedoch als Opfer sieht, sondern im Gegenteil mit einer Selbstsicherheit und Intelligenz zurückschlägt, was sie als Heldin umso interessanter macht. Ihre Darstellung mag man vergleichen mit jener Mia Farrows in Richard Fleischers See No Evil oder von Audrey Hepburn in Terence Youngs Warte, bis es dunkel wird, in denen es ebenfalls um Figuren geht, welche durch ihr Handicap (in diesem Falle ihre Blindheit) zu einem vermeintlich leichten Opfer für einen Killer werden.
Besonders interessant sind dabei jene Szenen und Bilder, in denen es um den Status von Menschen mit Handicap geht und inwiefern diese für ihr Umfeld nicht existieren. Wiederholt weisen Kyeong-mi und ihre Mutter auf den wahren Killer und ihre Lage hin, werden aber entweder ignoriert oder missverstanden, was nicht nur einfach ein zusätzliches Spannungselement ist, sondern im weiteren Verlauf einen sozialen Kontext reflektiert, in welchem ihre Charaktere zwar gesehen, aber niemals verstanden werden.
OT: „Mideunaiteu“
Land: Südkorea
Jahr: 2021
Regie: Oh-seung Kwon
Drehbuch: Oh-seung Kwon
Musik: Sang-jun Hwang
Kamera: Taek-gyun Cha
Besetzung: Ki-joo Jin, Ha-joon Wi, Hye-yoon Kim, Hae-yeon Gil
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