2007 befindet sich die New Yorker Wall Street auf einem Höhenflug. Dies ist auch Verdienst von Menschen wie Richard Boca (Beau Knapp), der anhand einer Arbeit über das Verhalten von Bienen ein Programm namens „Honeybee“ entwickelt hat, welches seiner Firma nun hilft, Prognosen über den Finanzmarkt zu erstellen. Da er zurückgezogen lebt, erstaunt es seine Kollegen umso, als sie Richard nicht nur auf einer Firmenparty erblicken, sondern ihn auch noch in Gesellschaft der schönen Lena (Charlotte Vega) sehen, die er mit zu sich nach Hause nimmt. Die junge Frau ist fasziniert von dem Mann, der ihr von seiner Arbeit und seinem Studium der Insekten erzählt. Jedoch bringt Richard nicht nur Lena mit in seine Wohnung, sondern auch noch einen ungebetenen Gast, denn eine kleine Mücke hat sich in seinem Anzugkragen verstecken können und macht sich nun daran, in einem vergessenen Wasserglas ihre Eier zu legen.
Am selben Abend, lange nachdem ihn Lena verlassen hat, hat Richard einen schrecklichen Albtraum, der ihn nicht nur zutiefst beunruhigt, sondern auch zwingt über sein Programm nachzudenken. Ein Blick auf die neuesten Entwicklungen bestätigt Bocas Unruhe, denn sein System reagiert empfindlich auf jegliche Störungen. Derweil hat sich in Richards Wohnung ein ganzer Schwarm von Mücken breitgemacht und seinen Körper mit zahlreichen Stichen übersät, doch anstatt sich zu wehren, beschließt Richard, die Insekten zu züchten, ihr Verhalten zu studieren und einen Weg zu suchen, sie kontrollieren zu können.
Ausgesaugt
Dass es sich bei jenen Wochen im Jahre 2007, welche erst den Anfang der weltweiten Wirtschaftskrise bilden sollten, um ein wahres Horrorszenario handelte, wusste Regisseur Filip Jan Rymsza, doch hätte er dies nie zur Basis eine Horrorfilms gemacht. Von daher wundert es kaum, dass der Filmemacher etwas erstaunt war, als er hörte, dass sein neuer Film Mosquito State, der im Rahmen des diesjährigen Fantasy Filmfests zu sehen ist, ein Horrorfilm sein soll, sieht er diesen doch keinesfalls als solchen. Vielmehr, so beschreibt er in Interviews, sei Mosquito State eine Art Analogie auf den Zustand der Welt von damals wie heute, eine Geschichte über den Zustand einer ausgelaugten Welt, die sich versucht zu erholen und dabei selbst zerfleischt.
Anders als beispielsweise Adam McKays The Big Short gibt es in Mosquito State keine Erzählung über die Finanzkrise, die mit der Terminologie des Finanzsektors oder gar einer Herleitung der Katastrophe aufwartet. Rymszas Film, der auf den Filmfestspielen in Venedig 2020 seine Weltpremiere feiern durfte, darf man eher als eine Art kafkaeske Parabel bezeichnen, wobei der von Beau Knapp gespielte Richard Boca einer jener Menschen ist, die im wahrsten Sinne des Wortes von der Flut und Akkumulation der Ereignisse ausgesaugt wird. Dieser Zustand spiegelt sich zugleich in der Welt wider, welcher Rymsza und Kameramann Eric Koretz zeigen, ist diese doch von Farben beraubt und von jener Schutzblase der Superreichen sowie der Broker abgeschirmt. Neugierig fragt Lena nach, was denn aus den Bienen geworden sei, die Richard für seine Studie in Kalifornien beobachtet habe, worauf dieser aussagt, diese seien aus unerklärlichen Gründen verschwunden, was ihn aber nicht weiter zu stören scheint. An diese Welt, die der Film zeigt, oder vielmehr diese Sphäre, kommt nur selten etwas heran, auch wenn die Zeichen für die Katastrophe unübersehbar sind.
Ein System der Schuld
Der Horror-Aspekt von Mosquito State leitet sich aus der Transformation des Helden ab sowie seiner problematischen Obsession mit den lästigen Mücken. Deren Surren, dem Publikum wohl mehr als bekannt, verwandelt sich spätestens als Schwarm in ein unheilverkündendes Raunen, welches der Protagonist in einem Anfall von Wahnsinn versucht zu kontrollieren. In Verbindung mit dem famosen Sounddesign sowie den Sets, insbesondere Richards Apartment, betont Rymsza, wie diese Welt sich verändert und in einer Metamorphose begriffen ist, sich nunmehr nicht hinter einer Schutzblase verstecken kann, da diese schon längst geplatzt ist aufgrund einer fatalen Unachtsamkeit. Generell scheint Rysmzas Film viel mehr mit dem frühen Kino eines David Cronenberg gemein zu haben, welches den Körper ebenfalls als eine Reflektion eines Welt- oder Gemütszustandes betrachtete, der sich auf teils monströse oder erschreckende Weise im äußeren Erscheinungsbild der Figur abzeichnete.
Nicht nur aufgrund seiner technischen wie auch ästhetischen Aspekte weiß Mosquito State zu überzeugen, sondern zudem aufgrund seines tollen Ensembles. Gerade der bereits genannte Beau Knapp gibt eine intensive Darstellung eines Mannes, der von seiner eigenen Erfindung überrannt und sogar körperlich verändert wird. Wie die Helden Kafkas ist er einer, der schuldig ist, die Katastrophe versucht abzuwenden, aber dabei droht, sich selbst zu verlieren.
OT: „Mosquito State“
Land: USA, Polen
Jahr: 2020
Regie: Filip Jan Rymsza
Drehbuch: Filip Jan Rymsza, Mario Zermeno
Musik: Cezary Skubiszewski
Kamera: Eric Koretz
Besetzung: Beau Knapp, Charlotte Vega, Jack Kesy, Olivier Martinez, Audrey Wasilewski, Daisy Bishop
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