Als Peter Perg (Murathan Muslu) 1920 aus dem Kriegsgefangenenlager in Russland in seine Heimatstadt Wien zurückkehrt, ist nichts mehr, wie es vorher war. Die Gesellschaft hat nur Verachtung für Kriegsheimkehrer übrig, seine Familie hat die Stadt verlassen, niemand ist da, der auf ihn gewartet hätte. Dafür wird er von Alpträumen verfolgt, das Ergebnis seiner traumatischen Erfahrungen. Zeit zum Grübeln bleiben dem ehemaligen Kriminalinspektor jedoch nicht, denn da treibt ein brutaler Mörder sein Unwesen. Dessen Opfer: Männer aus dem Umfeld Pergs. Zum Kinostart des historischen Thrillers Hinterland am 7. Oktober 2021 unterhalten wir uns mit dem Hauptdarsteller über die Dreharbeiten, die Vorbereitungen auf den Film und den Umgang mit der Vergangenheit.
Was hat dich an Hinterland gereizt, dass du bei dem Projekt mitmachen wolltest?
Ich drehte gerade mit Stefan Ruzowitzky eine Serie namens 8 Tage, als er mir von seinem geplanten Projekt erzählte und meinte, er hätte mich gern für die Hauptrolle. Und wenn der große Stefan Ruzowitzky dir eine Hauptrolle anbietet, da sagst du nicht Nein. Ich habe mich da schon richtig geehrt gefühlt. Später habe ich natürlich noch das Skript gelesen. Und das hat mir so gut gefallen, dass ich wusste, ich mache das, allein schon weil ich Krimis gerne mag. Ich habe ein Faible für Miss Marple und Sherlock Holmes, die alten Verfilmungen mit Margaret Rutherford und Basil Rathbone. Allein 16 Uhr 50 ab Paddington habe ich bestimmt schon 500 Mal gesehen. Mir hat auch seine Idee gefallen, das alles vor einem Bluescreen zu drehen, weil ich so etwas noch nie gemacht habe.
Und wie war das für dich, vor diesen Bluescreens zu spielen?
Die ersten drei Tage waren wirklich komisch für mich, weil der Boden so eben war. An einem richtigen Set spricht der Boden zu dir. Du hörst ihn knirschen, du fühlst ihn richtig, egal ob es jetzt Parkett ist oder Fliesen oder Beton. Hier hatten wir wirklich eine nackte Ebene. Das war für mich ganz ungewohnt, da ich nicht vom Theater komme. Dafür hatte dieser Raum einen Vorteil: Da um dich herum nichts ist, nur Blau, fokussierst du dich noch stärker auf deine Spielpartner. Denn außer ihnen ist da nichts. Und ich hatte grandiose Spielpartner, von denen ich viel gelernt habe.
Bei Filmen mit historischen Settings versucht man oft, die damalige Zeit möglichst genau nachzustellen. War es für dich schwierig, dir diese Zeit vorzustellen, so ganz ohne die Kulissen?
Diese Frage habe ich mich vorher natürlich auch gestellt. Zumal ich über die damalige Zeit praktisch nichts wusste. Nachdem ich das Drehbuch gelesen habe, gingen bei mir deshalb die intensiven Recherchen los. Ich wollte so viel wie möglich über den Ersten Weltkrieg erfahren und gerade auch, was davor geschehen ist. Also habe ich viel gelesen und Bilder aus dieser Zeit gesammelt. Bilder aus dem Krieg. Bilder von Personen. Die habe ich bei mir auf eine Pinwand gesteckt und intensiv angeschaut. Da kam es schon einmal vor, dass ich wie in einem Museum vier Minuten lang auf ein Bild gestarrt habe, um das in mir zu speichern. Beim Dreh habe ich das alles dann wieder abgerufen. Deswegen brauchte ich auch keine äußeren Bilder mehr von dieser Zeit. Die waren schon alle in mir.
Wie würdest du denn die damalige Zeit beschreiben, nachdem du dich so intensiv mit ihr auseinandergesetzt hast? Wie war Wien 1920?
Meine Figur Peter Perg hatte noch unter dem Kaiser gedient und war für ihn in den Krieg gezogen. Als er jedoch aus dem Krieg zurückkommt, ist nichts mehr so, wie es mal war. Der Kaiser ist weg, nachdem er abgedankt hat. Politisch hat sich Österreich in der Zwischenzeit komplett geändert. Damals fand eine riesige Wandlung in Wien statt. Deswegen findet sich Perg auch nirgend mehr zurecht und weiß gar nicht wohin mit seinen ganzen Traumata. Denn da ist nichts, was ihm noch Halt geben könnte.
Wie war das für dich, einen Mann mit solchen starken Traumata zu spielen? Bleibt von den Abgründen etwas zurück, wenn man sich derart intensiv damit beschäftigt?
Du brauchst nach so etwas definitiv erst einmal Urlaub und etwas Zeit für dich. Hinzu kommt, dass das Set eine ziemliche Herausforderung war. Die ganze Zeit in einem Raum zu sein mit riesigen blauen Wänden, das war schon irgendwie klaustrophobisch. Das macht etwas mit dir. Da würde ich auch jedem Schauspieler raten, im Anschluss erst einmal nichts zu tun und die Füße hochzulegen.
Hinterland ist ein Film, der sehr davon handelt, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Da ist der von dir angesprochene Wandel im Land, bei dem alles anders werden sollte. Und da ist Perg, der von seinen Erinnerungen verfolgt wird. Kann man seine Vergangenheit überhaupt hinter sich lassen?
Das ist natürlich nicht einfach. Als Perg nach Wien zurückkommt, ist er dermaßen traumatisiert, dass er keine Möglichkeit sieht, zu seiner Familie zurückzukehren. Er merkt, dass da definitiv etwas nicht mit ihm stimmt. Er hat Angst, diesen Schritt zu wagen mit diesem Kopf, mit diesen Gedanken, mit diesen Traumata. Er hat Angst vor dem Leben, das sich komplett geändert hat für ihn. Erst als er anfängt, diese Fälle zu untersuchen, setzt er sich wirklich mit dem auseinander, was in ihm ist. Und damit beginnt auch der notwendige Heilprozess und er schafft es, die Erfahrungen des Krieges zu verarbeiten.
Warum ist er überhaupt in den Krieg gezogen? Ihm wird im Film mehrfach gesagt, dass es blöd war zu gehen, zumal er dafür auch seine Familie zurücklassen musste.
Wegen Kaiser Franz Joseph I. Er würde alles für ihn tun. Perg ist einfach ein patriotischer Soldat, der für sein Land alles tun würde. Und das bedeutete eben, auch in den Krieg zu ziehen und seine Familie zurückzulassen. Etwas anderes kam für ihn nicht in Frage.
Kommen wir zum Abschluss noch zur Zukunft. Was steht bei dir nach Hinterland als nächstes an?
Wir drehen gerade die zweite Staffel von der Netflix-Serie Barbaren. Außerdem sind da ein paar spannende Projekte im Gespräch, bei denen ich sehr involviert bin, über die ich aber noch nichts verraten darf.
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