In Contra spielt Nilam Farooq eine Jurastudentin, die gleich zum Auftakt dem zynischen Professor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) begegnet, der sie vor allen rassistisch beleidigt und lächerlich macht. Doch dann müssen die beiden zusammenarbeiten, um sie für einen Debattierwettbewerb vorzubereiten. Zum Kinostart der Komödie am 28. Oktober 2021 unterhalten wir uns mit der Schauspielerin über Alltagsrassismus, Repräsentation in Filmen und ihre Ziele als Künstlerin.
Warum wolltest du Contra drehen? Was hat dich an dem Filmprojekt gereizt?
Es gab mehrere Komponenten. Zum einen wusste ich, dass es ein Film von Sönke Wortmann ist. Das hat mich sehr gereizt. Zum anderen fand ich das Drehbuch einfach wahnsinnig gut. Sprache war schon immer ein Thema, das mich begleitet und ich spannend finde. Gleichzeitig ist es ein Thema, das oft unterschätzt wird. Hinzu kommt noch das Thema Alltagsrassismus, das schon vor zweieinhalb Jahren sehr wichtig war und inzwischen gefühlt noch wichtiger geworden ist. Leider. Außerdem brauchte ich nach sieben Jahren SOKO einfach so ein großes Projekt für mich. Da kamen so viele Sachen zusammen, dass mir klar war, ich muss diesen Film auf jeden Fall drehen.
Kanntest du denn Die brillante Mademoiselle Neïla, auf dem Contra basiert?
Damals noch nicht. Vor dem ersten Casting habe ich lange überlegt, ob ich ihn mir ansehen soll oder nicht. Das ist immer so eine Sache. Es kann gut sein, die Vorlage zu kennen. Manchmal aber auch nicht. Am Ende bin ich dann doch noch mit einer Freundin in die letzte Vorstellung gegangen, weil ich die Befürchtung hatte, es zu bereuen, wenn ich es nicht mache. Ich fand den Film auch sehr schön und war deshalb noch mehr Feuer und Flamme.
Du hast schon das traurige Thema Alltagsrassismus angesprochen. Wie sind deine eigenen Erfahrungen in dieser Hinsicht?
Ich habe nicht so große Erfahrungen gemacht, wie sie im Film dargestellt werden. Aber natürlich ist Alltagsrassismus ein Thema, das mir sowohl beruflich als auch im Privaten immer wieder begegnet, entweder mir selbst oder den Leuten um mich herum. Mir fehlte nur lange ein Wort, um diese Erfahrungen zu beschreiben. Erst im Zuge der Diskussionen der letzten anderthalb Jahre habe ich gelernt, dass das, was mir und anderen passiert, Alltagsrassismus ist. Der ist oft auf eine Ungelenkigkeit von Leuten zurückzuführen. Eine Unbeholfenheit. Aber ich habe gemerkt, dass man diese Leute sehr einfach darauf hinweisen kann, indem man ihnen eine Rückfrage stellt. Das hilft schon. Es ist auf jeden Fall ein Thema, an dem noch immer weitergearbeitet werden muss.
In Contra wird deiner Figur immer wieder gesagt, dass sie keine Chance hat, Rechtanwältin zu werden, weil sie einen Migrationshintergrund hat, als Frau auch noch, dazu ein ausländischer Name. Wie waren deine Erfahrungen als Schauspielerin in der Hinsicht?
Ähnlich tatsächlich. Zum einen komme ich nicht aus einer Künstlerfamilie. Als ich Schauspielerin werden wollte, hieß es deshalb: Warum willst du das tun? Das hat sich mittlerweile gelegt und meine Eltern sind ganz happy. Zum anderen wurde mir in meiner ersten Kinder- und Jugendagentur gesagt, dass ich zu ausländisch sei und es deshalb keine Rollen für mich gäbe. Oder wenn, dann immer nur dieselben. Da war ich in meinen Rollen das türkische Mädchen, das Kopftuch trägt. Damals war mir das egal. Ich war froh für jede Rolle, die ich bekam. Irgendwann fiel es mir aber auf, wie sehr ich in diese Schublade gesteckt werde. Das war schwierig und ist es immer noch. Ich weiß auch nicht so recht, was mich die ersten Jahre bei der Stange gehalten hat. Vermutlich die Leidenschaft zum Beruf. Mit steigendem Erfolg kann man sich aber auch mehr trauen und Dinge ansprechen. Und ich finde es schön, dass ich langsam in diese Position komme, meine eigene Meinung sagen zu können.
In den letzten Jahren wurden die Themen Diversität und Repräsentation in Filmen viel diskutiert. Dabei gibt es jedoch zwei verschiedene Ansichten. Die einen sagen, dass das Anderssein und die damit verbundenen Probleme angesprochen werden sollten. Die anderen vertreten die Meinung, dass man diese Figuren so zeigen sollte, als spielte es keine Rolle. Dass ein Kommissar zum Beispiel Türke ist, ohne dass je jemand darüber redet. Wie siehst du das?
Ich bin total für das zweite. Hättest du mich vor einem Jahr gefragt, wäre ich vermutlich noch extremer gewesen. Inzwischen habe ich verstanden, dass es diese Sensibilisierung braucht, damit es irgendwann normal werden kann. Wir sind da gerade in einer Phase, in der solche Themen noch wahnsinnig hochgekocht und diskutiert werden. Auch wenn es mich ein wenig nervt, müssen wir da jetzt erst noch durch. Grundsätzlich finde ich, dass man alle möglichen Rollen spielen können sollte, ohne dass zum Beispiel die Herkunft erst noch thematisiert werden muss. Bei Contra thematisieren wir die Herkunft natürlich schon. Hier müssen wir das aber tun, weil der Film darauf basiert. Dass Naima Migrationshintergrund hat, ist keine Info, die irgendwo reingequetscht wird, sondern wesentlicher Bestandteil der Geschichte. Ansonsten freue ich mich aber auf eine Normalisierung, wenn jeder von uns einfach jemand spielen darf, ohne dass das irgendwie thematisiert oder problematisiert wird.
Wie können Filme bei dieser Normalisierung helfen?
Viel. Sie können Emotionen in den Zuschauern auslösen und sie auf diese Weise packen. Wenn ein Film einfach nur mit dem erhobenen Zeigefinger auf das Publikum losgeht, dann erreicht er die Menschen nicht wirklich. Dann sind sie doch eher schon zu verdrossen. Mit ein bisschen Humor erreicht man viel mehr. Ein Film, der dich mitnimmt in eine eigene Welt und der dich dazu bringt, mit einer oder mehreren Figuren zu sympathisieren, hinterlässt mehr Eindruck. Die Chance ist größer, dass die Menschen aus dem Kino gehen und sagen: War spannend. Nach Contra lassen sie sich im nächsten Gespräch vielleicht auf zwei Sätze mehr ein und haben vielleicht auch etwas über Streitkultur gelernt.
Ganz allgemein: Wie siehst du deine Rolle als Schauspielerin? Was willst du damit erreichen?
Ich würde gern eine schöne Mischung aus unterhaltsamen und anspruchsvollen Filmen drehen. Ich muss nicht jedes Mal die schwersten Themen aufgreifen. Es ist auch schön, Menschen einfach mal den Tag zu versüßen. Gleichzeitig mag ich es natürlich, wenn man das Publikum zum Nachdenken anregt. Mit einem Film werde ich eher nicht die Welt verändern. Aber es ist ja schon viel gewonnen, wenn ein Film einen kleinen Teil dazu beiträgt, ein Bewusstsein für gesellschaftlich relevante Themen zu schaffen.
Warum wolltest du überhaupt Schauspielerin werden?
Ich sammle so gerne Geschichten. Immer wenn etwas nicht so gut läuft, denke ich mir: Wenigstens ist das eine gute Geschichte. Außerdem fand ich das Drumherum faszinierend. Mit 13, 14 war alles für mich spannend. Irgendwann habe ich festgestellt, was ich an dem Beruf so liebe: Ich darf irgendwie alles einmal sein. Wenn ich eine Schwimmerin spiele, nehme ich Schwimmunterricht. Ich bekomme durch meine Rollen sehr viele und vielfältige Einblicke. Außerdem fand ich Psychologie immer wahnsinnig spannend. Wie tickt meine Figur so? Warum macht die das jetzt? Durch die Schauspielerei kann ich immer mehrere Leben leben. Das liebe ich sehr. Außerdem liebe ich die Arbeit am Set, das ist immer wie eine große Familie für mich.
Aber führt das Schlüpfen in so viele unterschiedliche Leben nicht auch dazu, dass man sich fragt, wer man selbst ist?
Ich glaube, diese Frage stellt sich jeder, egal ob nun Schauspieler oder nicht. Mir passiert es nicht, dass ich in Rollen hineingehe und nicht wieder herauskomme. Ich kann schon sehr gut gelaunt abends nach Hause gehen, selbst wenn ich einen Tag voller trauriger Szenen hatte. Das vermischt sich bei mir nicht so sehr.
Kommen wir zu Contra zurück. Ein weiteres großes Thema im Film ist die Streitkultur, die du gerade erwähnt hast. Bist du selbst jemand, der gern debattiert?
Oh ja, ich liebe Streiten! Wenn ein Streit zivilisiert abläuft und mit Argumenten untermauert ist, kann das echt Spaß machen. Ich spiele seitdem ich zwölf bin Werwolf mit Freunden und bin da inzwischen sehr gut darin. Wir haben sogar ganz viel Werwolf am Set unseres letzten Films gespielt. Das war sehr lustig. Während meiner Vorbereitung auf Contra war ich viel in Debattierclubs und tatsächlich ein wenig traurig, dass ich das nicht früher entdeckt habe. Ich hätte mich ganz sicher irgendwo eingeschrieben. Das ist total spaßig und du nimmst einiges mit, das du auch im Alltag benutzen kannst.
Was hast du denn für dich aus dem Film mitgenommen, was das Debattieren angeht?
Ich hatte eine Debattier-Coachin, die mich unterrichtet hat. Sie hat mir etwas ganz Tolles gesagt: Es gibt im Streit drei Phasen. Zuerst hasst du deinen Gegner. Danach wird er dir irgendwann egal. Du kannst ihn aber erst in der dritten Phase besiegen, wenn du gelernt hast, ihn zu schätzen und zu lieben, weil du erst dann die Motivation hast, ihm wirklich deine Position näherzubringen. Seither gehe ich da mit ein bisschen mehr Liebe dran.
Das Debattieren zeichnet sich dadurch aus, dass du einen anderen Menschen nur mit Worten von etwas überzeugst, selbst wenn du selbst nicht daran glaubst. Das hat schon ein bisschen etwas von Schauspielerei. Wenn du die beiden Tätigkeiten vergleichst, was sind Gemeinsamkeiten, was sind Unterschiede?
Beim Debattieren geht es wirklich nur um die Worte. Emotionen können zwar helfen. Aber es ist vor allem argumentativ und basiert auf Fakten. Oder Fakten, die du so verdrehst, bis sie passen. Beim Schauspiel darfst du nicht wirklich über die Worte nachdenken, sondern musst sie so annehmen. Beim Debattieren hinterfragst du alles, was gesagt wird. Christophs Figur Richard Pohl sagt im Film auch, dass es nicht darum geht, recht zu haben, sondern recht zu bekommen. Das ist eine spannende Sache.
Pohl sagt an einer Stelle auch, dass es egal ist, ob etwas wahr ist. Wird Wahrheit dadurch beliebig?
Das würde ich nicht sagen. Aber es gibt mehr als eine Wahrheit. Davon bin ich fest überzeugt. Zwei Menschen können Gegenteiliges sagen und empfinden das dennoch beide als Wahrheit. Wahrheit ist in einem solchen Fall dann einfach eine Perspektive, aus der man die Welt sieht. Das macht die Wahrheit aber nicht beliebig. Es gibt auch Punkte, die sind unstrittig einfach so, da gibt es kein ja oder nein.
Könntest du uns eine solche unstrittige Wahrheit nennen?
Gerade im Zusammenhang des Films ist für mich klar, dass Religion, Ethnie oder kultureller Background nicht angreifbar sind. Das ist für mich eine unstrittige Wahrheit. Da kann sonst jemand kommen und mir was anderes erzählen wollen, davon rücke ich nicht ab.
Eine süße Szene in Contra ist, wenn deine Figur Lampenfieber hat und deswegen anfängt zu tanzen. Hast du selbst noch Lampenfieber?
Ja, habe ich. Je wichtiger mir die Dinge sind, umso mehr Lampenfieber habe ich. Klar, mit der Zeit bin ich etwas gelassener geworden. Es gibt heute Situationen, in denen ich früher noch mehr Lampenfieber gehabt hätte. Aber ich habe beispielsweise letztes Jahr die First Steps Awards moderiert und war unendlich aufgeregt. Das finde ich aber gar nicht schlimm, selbst wenn ich in dem Moment erst einmal überwältig bin. Denn Lampenfieber ist ein Zeichen, dass ich noch nicht abgestumpft bin und dass es mir etwas bedeutet, was ich da tue.
Und hast du in solchen Situationen auch ein so schönes Ritual?
Also, tanzen würde ich da jetzt eher nicht. Mein Ding ist mehr das Atmen. Ich versuche bewusst zu atmen. Das hilft unfassbar viel in Stresssituationen.
Selbst ohne die Begegnung mit Pohl und das Debattieren ist das Leben von Naima nicht ganz einfach. In ihrer Familie fehlt das Verständnis für ihren Wunsch Anwältin zu werden. Sie will das aber durchziehen, weil sie findet, dass sie sich lange genug um ihre Familie gekümmert hat. Damit verbunden ist die Frage: Wo hört die Verantwortung gegenüber der Familie auf und beginnt die Verantwortung gegenüber sich selbst? Wo ist die Grenze?
Das ist nicht ganz einfach zu entscheiden. Wahrscheinlich hängt es immer auch individuell von der Familie ab. Auch von den kulturellen Hintergründen. Für einige ist es sehr schön, in ein Mehrgenerationenhaus zu ziehen und damit immer mit der Familie verbandelt zu sein. Für andere kommt das gar nicht in Frage. Grundsätzlich würde ich aber sagen, dass ich für mich entscheiden muss, ob ich Dinge noch gerne mache oder sie nur mache, weil ich sie machen muss. Erdrücken mich diese Dinge oder kommen sie frei aus mir heraus? Da würde ich die Grenze ziehen.
Jetzt, da Contra endlich in die Kinos kommt: Wie geht es danach weiter? Was sind deine nächsten Projekte?
Im Herbst und Winter mache ich erstmal ein wenig Pause. Es gibt aber kommendes Jahr einiges von mir zu sehen, zum Glück: Ich habe im Sommer mit Sönke Wortmann noch einen weiteren Film gedreht, Eingeschlossene Gesellschaft. Der startet nächstes Jahr im Kino, neben mir spielen Justus von Dohnányi, Anke Engelke und Florian David Fitz mit. Außerdem habe ich den neuen Doris Dörrie Film Freibad abgedreht, mit Andrea Sawatzki und vielen anderen.
Vielen Dank für das Gespräch!
(Anzeige)