Eigentlich ist Snow Hollow eine friedliche Kleinstadt, in der praktisch nie irgendetwas geschieht. Umso größer ist der Schock, als eine Touristin brutal ermordet und ausgeweidet wird. Direkt neben der Leiche findet sich ein großer blutiger Pfotenabdruck, der auf ein wildes Tier hinweist. Doch was sollte das gewesen sein? Oder versucht der Killer nur seine Spuren zu verwischen? Für John Marshall (Jim Cummings) steht fest, dass er möglichst schnell den Schuldigen zur Strecke bringen muss, koste es, was es wolle. Dabei hat er eigentlich genug private Sorgen. So hatte sein Vater (Robert Forster), der als Sheriff arbeitet, kürzlich einen Herzanfall. Die Beziehung zu seiner Tochter Jenna (Chloe East) ist seit der Trennung von der Mutter ebenfalls schwierig. Und dann wäre da auch noch sein Aggressions- und Alkoholproblem. Währenddessen hat der Killer wieder zugeschlagen, das Gerücht eines Werwolfs macht seine Runde …
Chaos mit System
Jim Cummings hatte bereits eine Reihe von Kurzfilmen gedreht, bis er 2016 mit Thunder Road auf sich aufmerksam machte. Die in einem Take gedrehte Geschichte um einen Polizisten, der eine ungewöhnliche Grabrede für seine Mutter hält, wurde mit Kritikerlob überhäuft, gewann einen wichtigen Preis beim Sundance Film Festival. Zwei Jahre später folgte der Spielfilm Der Chaos Cop – Thunder Road, der die Szene aus dem Kurzfilm zum Startpunkt nimmt, um noch andere weniger schmeichelhafte Momente aus dem Leben des Polizisten zu zeigen. Erneut war die Resonanz sehr positiv, weshalb die Neugierde groß war, was der US-Amerikaner wohl als nächstes drehen würde. 2020 war es dann so weit. Und auch wenn The Wolf of Snow Hollow aufgrund der fehlenden Filmfestivals ein bisschen unterging, lohnt sich auch der Blick auf den zweiten Langfilm.
Das Genre ist dabei zunächst eine Überraschung: Wieso wechselt jemand von einer persönlichen Tragikomödie hin zu einem Horrorfilm? Doch das ist eben nur die halbe Wahrheit. Oder eine Viertelwahrheit, denn schon bald wandert The Wolf of Snow Hollow zwischen den verschiedensten Genres, Themen und Stimmungen hin und her. Gleich zu Beginn macht er klar, dass dieses Kleinstadtporträt nicht sonderlich schmeichelhaft ausfällt. Das Touristenpaar, welches das erste Opfer des Killers wird, hat zunächst Stress mit einem lokalen Rüpel, der wie selbstverständlich schwulenfeindliche Sprüche raushaut. Und auch bei anderen Bewohnern und Bewohnerinnen liegt das so manches im Argen. Hinter der idyllischen Fassade des eingeschneiten Ortes lauert der Morast.
Absturz eines (Nicht-)Helden
Das betrifft einerseits natürlich die Bevölkerung, wenn sich die Polizei auf die Suche nach dem Täter macht. Denn irgendjemand von denen muss ja für die Morde verantwortlich sein. Vor allem aber ist The Wolf of Snow Hollow eine Dekonstruktion des eigenen Protagonisten. Wer meinte, dass Jim Cummings, der erneut Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller in Personalunion ist, mit Thunder Road bereits den Gipfel der Eigendemontage erreicht hat, der wird hier eines Besseren belehrt. Oder eines Schlimmeren. John mag derjenige sein, der das Böse zur Strecke bringen soll. Ein Held ist er hingegen nicht. Im Gegenteil: Wo anfangs noch seine positiven Bemühungen überwiegen, da nehmen mit der Zeit seine inneren Dämonen überhand. Befeuert von seiner Alkoholsucht wird er zunehmend ausfallend, neigt zu gewalttätigen Ausbrüchen. Zwischendurch darf man sich sogar fragen, ob nicht vielleicht er der Werwolf ist.
Das ist schon ein wenig gewöhnungsbedürftig, da man irgendwann auch einfach nicht mehr weiß, was The Wolf of Snow Hollow genau sein soll. Ein regulärer Horrorfilm? Ein Krimi? Eine Kleinstadtsatire? Gesellschaftskommentar? Ein persönliches Charakterdrama? Der Film ist irgendwie alles davon und zugleich nichts wirklich. Während beispielsweise am Anfang der Humor noch sehr stark ausgeprägt ist, verschwindet dieser später fast völlig. Hinzu kommt, dass der Mix zeitweise Thunder Road zu ähnlich ist, wenn es dann doch wieder um kaputte Cops geht. Andere Teile der Bevölkerung haben durch diese Fokussierung das Nachsehen. Dennoch ist das Ergebnis sehenswert, ein weiterer Beweis, dass Cummings ein ungewöhnlicher Filmemacher ist, der es auch versteht, sich und die Welt von unbeholfenen bis hässlichen Seite zu zeigen, die zwar das Richtige versucht, dabei aber regelmäßig untergeht.
OT: „The Wolf of Snow Hollow“
Land: USA
Jahr: 2021
Regie: Jim Cummings
Drehbuch: Jim Cummings
Musik: Ben Lovett
Kamera: Natalie Kingston
Besetzung: Jim Cummings, Riki Lindhome, Chloe East, Jimmy Tatro, Robert Forster, Will Madden
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