Der Schock ist groß bei Martha (Alexandra Maria Lara), als ihr Vater Kurt (Josef Bierbichler) mit einer Bitte an sie herantritt: Er hat beschlossen, sich in einer speziellen Klinik in der Schweiz das Leben zu nehmen, sie soll ihn fahren. Und zu allem Überfluss hat er seinen Platz dort auch noch mit Marthas Geld bezahlt! Die würde den alten und schwerkranken Mann am liebsten zum Teufel jagen, zumal er immer ein lausiger Vater war. Aber ihm seine letzte Bitte abzuschlagen, das bringt sie dann doch nicht übers Herz. Nur hat sie schon seit vielen Jahren nicht mehr hinter dem Steuer gesessen und traut sich allein diese lange Fahrt nicht zu. Also überredet sie ihre beste Freundin Betty (Birgit Minichmayr) dazu, mitzukommen und das Auto zu fahren. Nach einigem Zögern stimmt sie zu, ohne zu ahnen, worauf sie sich da einlässt, denn diese Reise verläuft schon bald nicht mehr nach Plan …
Eine Reise in den Tod
Einige Jahre ist es her, da kamen mit Und morgen Mittag bin ich tot und Hin und weg gleich zwei deutsche Filme in nur wenigen Monaten Abstand in die Kinos, die beide ein ähnliches Szenario verwendeten. Beide Dramen handelten von einer unheilbar kranken Hauptfigur, welche in eine ausländische Klinik fährt, um dort unter Aufsicht Selbstmord zu begehen. Die jeweiligen Geschichten erzählten, wie ein enges Umfeld sie begleitet und unterwegs noch einmal vergangene Zeiten durchlebt. Auf den ersten Blick meint man, dass Töchter im Grunde denselben Weg noch einmal abfährt, den die Kollegen und Kolleginnen bereits hinter sich haben. Doch dieser Eindruck trügt, wie man sehr schnell feststellt.
So setzt Regisseurin und Co-Autorin Nana Neul beispielsweise bei ihrer Adaption von Luy Frickes gleichnamigen Roman auf deutlich mehr Humor, als es die anderen taten. Wo die oben genannten Filme dann doch den Ernst der Lage und die Schwere der Situation betonten, da gibt es in Töchter von Anfang an Grund zum Lachen. Das liegt vor allem an der Figur Kurt. Sein Schicksal ist deutlich weniger tragisch als bei der Konkurrenz, wo es um den Freitod junger Menschen gab – er ist schließlich ein alter Mann. Dafür ist er deutlich schwieriger. Das Drehbuch porträtiert ihn als einen sonderbaren und eigensüchtigen Kauz, der sich nie um sein Umfeld geschert hat. Auch jetzt macht er noch, was er will, womit er Martha regelmäßig in den Wahnsinn treibt. Und wie es so schön heißt: Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte. Oder auch alle anderen im Publikum.
Eine Familie zwischen Chaos und Alltag
Überhaupt geht es in Töchter sehr viel um das Zwischenmenschliche. Wie es bei Roadmovies üblich ist, geht es in dem Film weniger um das Ziel. Dieses ist hier auch sehr viel weniger eindeutig, als es die Ausgangslage vermuten lässt. Stattdessen wird die Tragikomödie zu einer inneren Reise, bei der sich die drei mit ihrer jeweiligen Vergangenheit auseinandersetzen. Betty, die anfangs nur eine Reisebegleitung ist, rückt dabei zunehmend in den Vordergrund. Denn auch bei ihr liegt einiges im Argen. Ihr Stiefvater, der für sie wie ein eigener Vater war, hat die Familie eines Tages verlassen und ist inzwischen tot – was sie bis heute nicht verarbeitet hat. Wie der Titel bereits ankündigt, geht es hier damit um zwei Frauen, die sich mit ihren jeweiligen Vaterfiguren auseinandersetzen müssen, auch des eigenen Friedens willen.
Das ist nicht bis ins letzte Detail immer ganz glaubwürdig. Tatsächlich eskalieren manchmal die Ereignisse auf absurde Weise, die Figuren neigen zu den irrationalsten Handlungen, an jeder Ecke wartet das Chaos. Gleichzeitig hat Töchter aber auch genügend Elemente, bei denen man sich als Zuschauer und Zuschauerin leicht wiederfinden kann. Die Dynamik zwischen den Figuren mag zuweilen ein wenig überspitzt sein, basiert aber doch auf alltäglichen Beobachtungen. Sie funktioniert auch wegen des tollen Ensembles so gut: Birgit Minichmayr (Schachnovelle), Alexandra Maria Lara (Und der Zukunft zugewandt) und Josef Bierbichler (Der Architekt) bilden zusammen ein unwiderstehliches Dreiergespann, bei dem man als unbeteiligte Person jede Menge Spaß hat.
Viel Abwechslung
Außerdem bietet der Roadtrip, der auf dem Filmfest Hamburg 2021 Premiere feierte, sehr viel fürs Auge. Das liegt auch an dem Umfang der Reise: Im Laufe der zwei Stunden machen wir an den unterschiedlichsten Orten Halt, von schäbig bis idyllisch, von verwinkelt bis weitläufig. Da auch die Geschichte ihre Haken schlägt, bleibt die Spannung trotz eines fehlenden klaren Fokus’ auf einem höheren Niveau. Man will einfach wissen, worauf das alles hinausläuft und was sonst noch alles geschieht. Eine wirkliche Antwortet bietet Töchter dabei zwar nicht unbedingt, dafür aber reihenweise Szenen, die mal unterhaltsam, mal charmant sind. Die manchmal auch zu Herzen gehen, wenn die Familien mit der Zeit zusammenwachsen und es auf den letzten Metern doch noch mal ein neues Leben gibt.
OT: „Töchter“
Land: Deutschland, Italien, Griechenland
Jahr: 2021
Regie: Nana Neul
Drehbuch: Nana Neul, Lucy Tanja Fricke
Vorlage: Lucy Tanja Fricke
Kamera: Bernhard Keller
Besetzung: Birgit Minichmayr, Alexandra Maria Lara, Josef Bierbichler, Giorgio Colangeli, Andreas Konstantinou
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