Vier Jahre ist es inzwischen her, dass auf Sizilien eine Seuche ausgebrochen ist, in deren Folge alle Erwachsenen gestorben sind. Die Kinder haben überlebt, zumindest vorläufig. Doch haben sie erst einmal ein bestimmtes Alter erreicht, werden auch sie dieser Krankheit erliegen. Bei der 12-jährigen Anna (Giulia Dragotto) und ihrem 8-jährigen Bruder Astor (Alessandro Pecorella) wird das aber noch eine Weile dauern. Das heißt aber nicht, dass ihr Leben ohne Gefahren ist. So trichtert Anna ihrem jüngeren Bruder ein, unter keinen Umständen das Landgut zu verlassen, auf dem die beiden inzwischen leben. Während sie tagsüber umherstreift, um nach Nahrung zu suchen, muss er daheim bleiben. Denn die anderen Kinder haben sich zu Gruppen zusammengeschlossen und bekämpfen sich gegenseitig …
Eine katastrophale Vision
Bei jedem Film und jeder Serie, die irgendwie eine Virus-Erkrankung oder gar Pandemien thematisiert, drängt sich natürlich der Eindruck auf, dass da jemand von den Ereignissen der letzten anderthalb Jahre profitieren will, die in erster Linie von der Corona-Pandemie geprägt waren. Dann und wann stimmt das natürlich, etwa bei dem gleichermaßen geschmacklosen wie missglückten Science-Fiction-Thriller Songbird, der auf billig-reißerische Weise den alltäglichen Horror für sich zu nutzen versuchte. Oft ist es aber einer Zufall. Das erschreckend vertraut wirkende Sløborn war ebenso bereits in der Mache wie Anna. Die Geschichte Letzterer ist sogar noch deutlich älter und basiert auf dem gleichnamigen Roman von 2015.
Dessen Autor Niccolò Ammaniti steckt auch hinter der Serienadaption. So entwickelte der italienische Schriftsteller nicht nur die Serie. Er schrieb auch die Drehbücher mit und übernahm sogar die Regie. Das klingt erst einmal ein bisschen größenwahnsinnig. Doch die Ein-Mann-Vision zahlt sich aus. Bei seiner zweiten Regiearbeit nach der 2018 veröffentlichten Serie Ein Wunder zeigt der Autor durchaus ein glückliches Händchen dafür, wie sich sollte Stoffe auch visuell umsetzen lassen. Tatsächlich ist Anna sogar eine der schönsten Serien, die man dieses Jahr hat sehen dürfen – zumindest im Rahmen dessen, was man bei einer solchen Thematik „schön“ nennen kann und darf.
Zwischen märchenhaft und grausam
Licht und Schatten liegen auf diese Weise bei Anna eng beieinander. Auf der einen Seite gibt es betörende Aufnahmen einer verfallenden Insel, ursprünglich, ein bisschen märchenhaft, teils sogar etwas surreal. Gleichzeitig lässt Ammaniti keinen Zweifel daran, dass seine jungen Protagonisten und Protagonistinnen ein grausames Schicksal erwartet. Während bei anderen Endzeitdystopien, etwa im Zombie-Bereich, zumindest eine Chance auf das Überleben besteht, sieht das bei der italienischen Serie anders aus. Nicht nur dass die Nahrung immer knapper wird, weil es die Menschen von heute nicht mehr verstehen, sich selbst zu versorgen. Selbst wer es irgendwie schafft, immer genug Essen zu haben und den marodierenden Banden aus dem Weg zu gehen, wird über kurz oder lang sterben: Sind sie erst einmal alt genug, schlägt auch bei den Jugendlichen das Virus durch.
Diese fatalistische Note macht die Serie teilweise schwer erträglich. Zumal Ammaniti auch sonst nicht gerade zimperlich mit seinen Figuren umgeht. So wird Anna zwar nie zu einem Gemetzel, wie es solche Endzeitszenarien oft vorgeben. Dafür finden sich sadistische Züge, gerade auch in einem schockierenden Rückblick, der eine der späteren Charaktere noch etwas deutlicher beleuchtet. So richtig stark in die Tiefe gehen die Charakterisierungen dennoch nicht. Obwohl die Serie mit sechs Folgen eigentlich lang genug ist, scheint nicht die Zeit geblieben zu sein, mehr in dieser Hinsicht zu investieren. Stattdessen gibt es Rivalitäten und einige sehr bizarre Vorstellungen davon, wie das Leben weitergehen könnte. Wie so oft ist die Schicht, die Zivilisation von der Bestie im Menschen trennt, keine besonders dicke.
Seltene Momente des Glücks
Vergleiche zu Herr der Fliegen und Konsorten drängen sich an der Stelle natürlich auf. Dabei sind diese Passagen gar nicht die interessantesten. Auch die Mystery-Aspekte rund um die Frage, was geschehen ist oder ob es eine Heilung gibt, bleiben nicht allzu sehr in Erinnerung. Stärker sind die Szenen, welche die Titelheldin zum Thema machen und auch ihre Beziehung zu Pietro (Giovanni Mavilla) in den Fokus rücken, ein weiterer Jugendlicher an der Schwelle zum Erwachsenenalter – und damit dem Tod. Diese Momente gehen besonders nahe, wenn sie kleine Funken des Glücks verspüren, für eine kurze Zeit einfach wieder leben dürfen, anstatt sich um Viren, Nahrungsmittel oder Gruppengewalt Gedanken machen zu müssen. In denen sie ihre eigenen grausamen Tendenzen, die sie zum Überleben brauchen, selbst vergessen dürfen. Anna einfach Anna sein darf: ein 12-jähriges Mädchen, welches das Leben noch vor sich hat.
OT: „Anna“
Land: Italien
Jahr: 2021
Regie: Niccolò Ammaniti
Drehbuch: Niccolò Ammaniti, Francesca Manieri
Vorlage: Niccolò Ammaniti
Musik: Rauelsson
Kamera: Gian Enrico Bianchi
Besetzung: Giulia Dragotto, Alessandro Pecorella, Elena Lietti, Roberta Mattei, Giovanni Mavilla, Clara Tramontano, Viviana Mocciaro, Nicola Mangano
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