In den 1880er Jahren erfreuen sich die „Blumenhäuser“ Shanghais großer Beliebtheit. Geführt von „Tanten“, sind diese Herberge und zugleich Arbeitsstätte für die „Blumen“, junge Kurtisanen, die ihre männliche Kundschaft unterhalten. Ihren Kunden sind sie unterstellt, müssen ihnen alle Wünsche erfüllen und hoffen, eines Tages auf ihre Freiheit, welche einhergeht mit der Heirat mit einem ihrer Kunden. Eine solche Beziehung ist die Kurtisane Crimson (Michiko Hada) mit dem schweigsamen Geschäftsmann Wang Lingsheng (Tony Leung Chiu-Wai) eingegangen. Als jedoch Wang ihr einen Antrag macht, lehnt Crimson diesen ab und verlangt von ihm darüber hinaus weitreichende finanzielle Sicherheiten, die er nicht bereit ist zu leisten. Trotz des Versuchs der Tante sowie der Freunde des Hauses zu vermitteln, verhärten sich die Fronten und Wang beschließt, Crimson für die jüngere Kurtisane Jasmin (Vicky Wei) fallenzulassen. Da Wang aber der einzige Kunde Crimsons war und sie von ihm abhängig ist, ist diese außer sich und verlangt, dass ihr ehemaliger Liebhaber seinen Pflichte ihr gegenüber nachkommt.
Neben dieser Geschichte folgen wir zudem der Kurtisane Jade (Hsuan Fang), die von dem jungen Meister Zhu (Simon Chang) das Versprechen auf die Ehe bekommen hat. Als er seinem Versprechen aufgrund der Beziehungen seiner Familie nicht nachkommen kann, kommt es zu einem dramatischen Ereignis zwischen ihm und der Kurtisane. Parallel verfolgt die Kurtisane Emerald (Michelle Reis) einen ehrgeizigen Plan, ihre Freiheit zu erkaufen, wobei ihr das Angebot von Meister Luo (Jack Kao) zu niedrig ausfällt und keinesfalls ihre Zukunft außerhalb des „Blumenhauses“ sichert.
Ein Schlüssel zum Verständnis einer Kultur
In den 1980er hatte sich Regisseur Hou Hsiao-Hsien bereits in seiner Heimat und darüber hinaus einen Namen gemacht mit Werken wie Eine Stadt der Traurigkeit (1989) sowie als Mitbegründer von Taiwans neuer Welle von Filmschaffenden, zu denen neben ihm auch sein Kollege Edward Yang (The Terrorizers) gehörte. In einem Roman über die Blumenhäuser Shanghais während der Qing-Dynastie, geschrieben von Han Ziyun und ins Mandarin übertragen von Eileen Chang, fand der Regisseur nicht nur ein faszinierendes Historiendrama, sondern darüber hinaus eine Art Schlüsselerzählung für das Verständnis von Themen wie sozialer Schicht oder Geschlechterbildern in seiner Heimat, welche er in der Geschichte wiederfand.
Ähnlich wie bei seinen bereits erwähnten Kollegen ist eine Geschichte über eine Epoche oder ein Ereignis bei Hsiao-Hsien immer auch ein Spiegel der Gegenwart. Wie in seinem letzten Film The Assassin (2015), der in der Geschichte noch weiter zurückgeht als Die Blumen von Shanghai, sind die Beziehungen zwischen den Figuren Verweise auf die heutige Zeit, wobei letzterer deutlich mehr kulturelle wie auch gesellschaftliche Bezüge aufweist. Die langen Einstellungen, welche symptomatisch für das filmische Erzählen des Regisseurs stehen, analysieren die Dynamik zwischen den Meistern auf der einen Seite und den Kurtisanen auf der anderen als eine Art Grabenkrieg, bei dem mehr als einmal sich Emotionen mit wirtschaftlichen Interessen vermischen. Für jemanden wie den von Tony Leung (In The Mood For Love) gespielten Wang ist ein Besuch des „Blumenhauses“ schon bald alles andere als ein Vergnügen, sondern eine Erinnerung an seine Verpflichtungen und für seine Kurtisane Crimson ein Denkmal ihres Abhängigkeitsverhältnisses zu ihrem Meister, dessen Launen eng mit ihrem Los als Frau verknüpft sind.
Ein behüteter Käfig
Unter seinen Kollegen der „Neuen Welle“ ist Hsiao-Hsien vielleicht der größte Ästhet, was ihm mehr als einmal den Vorwurf einbrachte, mehr auf Stil als auf Substanz zu achten. Davon ist jedoch Die Blumen von Shanghai weit entfernt, denn durch die bereits erwähnten langen Einstellungen, die Schnitttechnik sowie die Bilder von Kameramann Mark Lee Ping-Bing, werden die „Blumenhäuser“, in denen sich die ganze Handlung abspielt, in all ihren Facetten gezeigt: aus der Sicht der Männer als Ort des Vergnügens, des Trinkens und der Heiterkeit, und aus der Sicht der Frauen als Ort, der über ihre weitere Zukunft entscheidet. Es ist eine Art goldener Käfig, den man als Zuschauer beschreitet, bei dem die warmen Bilder, die satten Farben sowie die ästhetisch ansprechenden Namen der Kurtisanen doch auch daran erinnern, dass man es hier mit einer Form der Leibeigenschaft zu tun hat.
Für seinen Film konnte Hsiao-Hsien auf ein tolles Ensemble vor wie auch hinter der Kamera zurückgreifen, wobei die episoden- und sprunghafte Erzählweise es fast unmöglich macht, eine Darstellung besonders in den Fokus zu nehmen. Neben Tony Leung überzeugen doch vor allem Darstellerinnen wie Michelle Reis oder Michiko Hada, welche die Ambivalenz ihrer Figuren in den Vordergrund rücken, die Notwendigkeit zugleich Liebhaberin und Gesellschafterin wie auch Geschäftsfrau zu sein.
OT: „Hai shang hua“
Land: Taiwan
Jahr: 1998
Regie: Hsiao-Hsien Hou
Drehbuch: Chu Tien-Wen
Musik: Yoshihiro Hanno
Kamera: Mark Lee Ping-Bing
Besetzung: Tony Leung Chiu-Wai, Michiko Hada, Michelle Reis, Carina Lau, Jack Kao, Rebecca Pan, Vicky Wei, Simon Chang, Hsuan Fang, Luo Tsai-Erh, Annie Shizuka Inoh, Hsu Ming
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)