Anja (Andrea Bræin Hovig) feiert gerade Erfolge als Choreografin eines Tanztheaters. Zum ersten Mal hat sie im Ausland eine Inszenierung vorgestellt. Zurück in Oslo kurz vor Weihnachten, freut sie sich auf ihre große Familie. Nur die fürchterlichen Kopfschmerzen machen der Mutter von drei Kindern zu schaffen, die zudem drei Stiefkinder ihres Partners großgezogen hat, des deutlich älteren Theaterleiters Tomas (Stellan Skarsgård). Am Tag vor Heiligabend geht Anja zur Hausärztin, die sofort ein MRT von ihrem Kopf machen lässt. Die Diagnose ist erschütternd: ein Hirntumor, Heilungschancen gleich Null. Thomas bricht in Tränen aus, Anja starrt wie gelähmt auf den Boden. Bis zur Operation am 2. Januar, die zumindest einen Aufschub bringen kann, sind es genau neun Tage.
Existenzielle Fragen
Regisseurin Maria Sødahl stellt ihrem zweiten langen Spielfilm einen wichtigen Hinweis voran: „Dies ist meine Geschichte, wie ich sie in Erinnerung habe“. Damit ist klar, dass der Titel Hoffnung ganz wörtlich gemeint ist, auch im medizinischen Sinne. Trotzdem entfaltet ihre Geschichte um Leben und Tod von den ersten Minuten an einen ungeheuren Sog, der einen möglicherweise positiven Ausgang in den Hintergrund drängt. Durch die ungeschönte Art seiner Inszenierung drängt der Film dem Publikum Fragen auf, denen es nicht entkommt: Wie würde ich reagieren? Wie und wann würde ich es meinen Kindern sagen? Den Freunden? Dem betagten Vater?
Erzählt wird aus den Blickwinkeln und dem Erleben von Anja und Thomas, einem Paar, das seine Liebe in den letzten Jahren aus den Augen verloren hatte und nun unter dem Schock steht, der alles Gewohnte auf den Kopf stellt. Es ist eine schonungslose Seelenarbeit, die in vielem an die Filme von Ingmar Bergman erinnert: schmerzhaft und gnadenlos. Aber gerade weil das Paar durch die Hölle geht, hält der Augenblick der Wahrheit, die plötzliche Sinnlosigkeit des Verschweigens und Verdrängens, eine zutiefst tröstliche Erkenntnis bereit.
Eigentlich sind Anja und Thomas nicht gut darin, in schwierigen Zeiten zusammenzuhalten. Das sei schon in glücklichen Momenten so gewesen, befindet Anja. Deshalb stellt sie Thomas lediglich eine Bedingung: „Nur weil ich sterbe, musst du mich nicht lieben. Aber ich muss wissen, dass du mir helfen wirst“. Der Theatermann, dem seine Karriere oft wichtiger war als Partnerin und Familie, weiß, dass er das Rad der Zeit nicht zurückdrehen kann. Ob es eine gute Idee ist, gerade jetzt, noch vor dem 2. Januar, heiraten zu wollen, mag dahingestellt sein. Aber es geht etwas vor zwischen den voneinander entfremdeten Partnern. Etwas, das Regisseurin und Drehbuchautorin Maria Sødahl zum Glück nicht in die heftigen, vorwurfsvollen und teils zynischen Dialoge gepackt hat. Sondern in die dokumentarisch rauen Bilder der agilen, manchmal hektischen Handkamera von Manuel Alberto Claro.
Privat und doch fiktiv
In staunenswerter Ehrlichkeit lässt der Film Parallelen zu den intimsten und persönlichsten Momenten der Realität zu. Wer bei Wikipedia über die norwegische Regisseurin nachliest, erfährt, dass sie nach dem Debüt mit Limbo (2010) an einem Hirntumor erkrankte, der als unheilbar galt. Berichtet wird auch, dass sie mit dem norwegischen Filmemacher Hans Petter Moland (Ein Mann von Welt, 2010) verheiratet ist und mit ihm drei gemeinsame Kinder hat, ebenso wie drei Stiefkinder aus einer früheren Beziehung ihres Mannes. In einem Interview schildert die Regisseurin, wie sie sich von jedem der Kinder das Einverständnis holte, die private Geschichte erzählen zu dürfen. Und wie sich im Verlauf des Schreibens irgendwann die nötige Distanz einstellte, um den zwar autobiografisch stark gefärbten, aber dennoch fiktiven Charakter von Anja zu entwickeln.
Vielleicht ist es die ungeschminkte Schonungslosigkeit, die das unter die Haut gehende Liebesdrama vor Rührseligkeit bewahrt. Ganz sicher aber trägt zur Glaubwürdigkeit die nuancenreiche Schauspielkunst von Andrea Bræin Hovig und dem schwedischen Star Stellan Skarsgård bei. Die norwegische Theater- und TV-Schauspielerin überzeugt mit der emotionalen Wucht, mit der sie sich in sämtliche Gefühlszustände wirft, von Schockstarre über Wut bis zu Weinkrämpfen. Skarsgård hingegen hat den stilleren, minimalistischen Part. Allein mit seinen Augen lässt er Mitleid aufscheinen, tiefe Sorge, Schuldgefühle und am wichtigsten: Liebe.
OT: „Håp“
Land: Norwegen, Schweden
Jahr: 2019
Regie: Maria Sødahl
Drehbuch: Maria Sødahl
Musik: Gisle Tveito
Kamera: Manuel Alberto Claro
Besetzung: Andrea Bræin Hovig, Stellan Skarsgård, Elli Müller Osborne, Alfred Vatne Brean, Daniel Storm Forthun Sandbye, Eirik Hallert
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
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Europäischer Filmpreis | 2020 | Beste Regie | Maria Sødahl | Nominierung |
Beste Hauptdarstellerin | Andrea Bræin Hovig | Nominierung |
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