Wenn Tsuneo nicht gerade im Wasser ist, wo er seiner großen Leidenschaft des Tauchens nachgeht, tut er alles dafür, um seinen Traum zu verwirklichen: ein Auslandsstudium in Mexiko! Vergleichbare geografische Ambitionen hat Josie, die eigentlich Kumiko heißt, nicht. Sie verlässt ja nicht einmal wirklich das Haus, auch auf Drängen ihrer Großmutter Chizu hin, mit der sie seit dem Tod ihrer Eltern lebt. Schließlich sitzt Josie im Rollstuhl und wäre mit der Welt da draußen überfordert. Das stellt auch Tsuneo fest, als er ihr über den Weg läuft und sie gleich aus einer misslichen Lage befreit. Aus Dank bietet Chizu ihm einen Job an: Er soll ihrer Enkelin doch Gesellschaft leisten. Der nimmt an, kann er das Geld doch gut gebrauchen. So richtig viel kann er mit ihr aber nicht anfangen. Doch mit der Zeit ändert sich das, aus den beiden werden Freunde – und mehr …
Die Geschichte benachteiligter Jugendlicher
In den letzten Jahren hat es eine Reihe von Animes gegeben, in denen junge Protagonistinnen schwer vom Leben gezeichnet sind. In I Want to Eat Your Pancreas lernen wir Sakura kennen, die an einer unheilbaren Erkrankung der Bauchspeicheldrüse leidet. A Silent Voice folgt der gehörlosen Shoko durch ihren schwierigen Alltag. Und dann war da noch Die Welt in allen Farben – Iroduku um die Jugendliche Hitomi, die nach einem schweren Schicksalsschlag keine Farben mehr sehen kann. Gemeinsam ist all diesen Beispielen, dass die besagten jungen Protagonistinnen irgendwie lernen müssen, mit ihren jeweiligen Situationen klarzukommen und das Beste aus ihrem Leben zu machen, um doch noch ihr Glück zu finden. Und sich selbst mit dazu: Coming of Age im Kontext einer Erkrankung.
Bei Josie, der Tiger und die Fische ist es nun der Rollstuhl, in dem sie sitzt und der für sie zu einem Gefängnis geworden ist. Dass die Titelfigur einem jungen Mann begegnet, der ausgerechnet beim Schwimmen aufblüht, ist natürlich irgendwie schon gemein. Schließlich kann sie nur davon träumen, das Meer überhaupt aus der Nähe zu sehen. Andererseits stellt er damit die lange überfällige Verbindung zur Außenwelt dar, welche ihre Großmutter zu verhindern versucht. Aus Angst. Damit wird dann schon gleich zu Beginn klar, worum es hier gehen wird: Josie darf durch Tsuneo lernen, nicht nur diese Angst zu überwinden, sondern auch Teil eines größeren Ganzen zu werden, anstatt nur nebenan zu sitzen.
Genügsame Figurenzeichnung
Dass sie dadurch mehr oder weniger zur Damsel in Distress reduziert wird, ist schon ein bisschen schwierig. Sie ist zwar nicht auf den Mund gefallen, wirft Tsuneo immer mal wieder Unverschämtheiten an den Kopf. Letztendlich ist sie aber auf ihn angewiesen und muss durch diesen gerettet werden. Später versucht die Adaption einer Kurzgeschichte von Seiko Tanabe, das Ganze noch etwas zu relativieren. Plötzlich ist es dann Tusneo, bei dem etwas nicht stimmt. Sonderlich glaubwürdig ist das aber nicht. Josie, der Tiger und die Fische ist bei der Figurenzeichnung zu festgelegt, um dann diese wieder zu ändern, wenn es gerade in den Kram passt. Da machte man es sich hier schon wirklich sehr einfach. Ohnehin sind die Figuren nicht unbedingt eine Stärke. Josie, die aufgrund des behüteten Lebens noch sehr kindlich auftritt, nervt zuweilen. Tsuneo ist als zu glatter Gutmensch wiederum ziemlich langweilig.
Ohnehin sollte man inhaltlich besser nicht die ganz großen Erwartungen an den Film haben. Klar, die eine oder andere gut gemeinte Aussage ist drin, bei der es beispielsweise darum geht, sich dem Leben zu stellen und offen anderen Menschen zu begegnen. Nur wurde das mit der Subtilität eines Presslufthammers umgesetzt. Josie, der Tiger und die Fische richtet sich an ein Publikum, welches kein Problem mit dem Plakativen hat, dieses vielleicht sogar schätzt. Dazu gibt es die so oft in diesem Bereich anzufindenden melodramatischen Entgleisungen, damit einhergehende konstruierte Konfliktsituationen inbegriffen. Dabei hätte es die in der Form gar nicht gebraucht, die Geschichte hätte auch ohne diese plumpen Manipulationen funktionieren können.
Visuell wunderbar
Während das mit dem Herz hier daher so eine Sache ist, hat ein anderes Organ mehr als genug zu tun: die Augen. Das Animationsstudio BONES (Sword of the Stranger, Cowboy Bebop – Der Film) zeigt mit einem seiner viel zu seltenen Filme, die nicht auf irgendwelchen Serien basieren, dass es auch mehr als zwanzig Jahre nach der Gründung zu den besten seines Faches zählt. Die Hintergründe sind detailliert, die Animationen geschmeidig, die Spezialeffekte so eingebaut, dass sie sich harmonisch einfügen und alles wie aus einem Guss wirkt. Dabei überzeugt Josie, der Tiger und die Fische sowohl in den alltäglichen Szenen wie auch denen, wenn die Fantasie mit den beiden durchgeht. Wer hochdramatische Animes mag, findet hier daher einen der schöneren der letzten Zeit. Der Rest darf wenigstens die Bilder genießen.
OT: „Josee to Tora to Sakana-tachi“
Land: Japan
Jahr: 2020
Regie: Kotaro Tamura
Drehbuch: Sayaka Kuwamura
Vorlage: Seiko Tanabe
Musik: Evan Call
Animation: Bones
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)