Last Night in Soho
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Last Night in Soho

Inhalt / Kritik

Last Night in Soho
„Last Night in Soho“ // Deutschland-Start: 11. November 2021 (Kino) // 27. Januar 2022 (DVD/Blu-ray)

Für Eloise (Thomasin McKenzie) scheint ein Traum in Erfüllung zu gehen, als sie an einer renommierten Modeschule in London aufgenommen wird. Schließlich wollte sie schon immer Modedesignerin werden, schneidert seit einiger Zeit ihre eigenen Kleider. Dafür ist sie auch bereit, ihre ländliche Heimat hinter sich zu lassen und sich ins Großstadtleben zu werfen – auch wenn dieses ihrer Mutter seinerzeit nicht gut getan hat. Die erste Euphorie verfliegt jedoch rasch, als sie feststellt, dass sie und die anderen Studentinnen einfach nicht zusammenpassen. Und so zieht sie kurze Zeit später aus und mietet sich bei der älteren Ms Collins (Diana Rigg) ein. In dem altmodischen Haus fühlt sie sich auf Anhieb wie zu Hause, hat das Gefühl, zurück in die Zeit zu reisen. So wird sie nachts in ihrer Vorstellung zur aufstrebenden Sängerin Sandy (Anya Taylor-Joy), die in den 60er Jahren vom Durchbruch träumt und mit Jack (Matt Smith) die Nacht zum Tag macht. Doch diese inspirierende Erfahrung offenbart bald erste Schattenseiten …

Nostalgie gewinnt

Nostalgie ist eine wirksame, zugleich gefährliche Waffe in Filmen. Immer wieder blicken Filmschaffende auf vergangene Zeiten zurück, lassen das Publikum an diesen teilhaben und erinnern diese daran, wie wahnsinnig toll das doch alles war. Das kann franchiseimmanent sein, wie kürzlich Halloween Kills vormachte, das um jeden Preis vierzig Jahre in die Vergangenheit reisen will, um an die eigenen Ursprünge anzuknüpfen. Andere Regisseure und Regisseurinnen setzen mehr auf eine bestimmte Zeit. Vor allem die 80er und 90er waren zuletzt sehr en vogue. Das kann ganz gut funktionieren, bringt jedoch immer die Gefahr mit, sich ein bisschen zu sehr in diese Erinnerungen zu stürzen. Da wird dann idealisiert ohne Ende und dabei mitunter glatt vergessen, auch etwas Eigenes beizutragen.

Zumindest anfangs sieht es danach aus, als sei auch Edgar Wright einer solchen Nostalgie einseitig verfallen. Wenn er seine Protagonistin Eloise zu Platten der Swinging Sixties träumen lässt, hebt er nicht nur geschickt jegliches Zeitgefühl auf. Er schafft es auch, die Faszination für diese Epoche sichtbar und vor allem spürbar zu machen. Als es dann in das London von heute geht, führt das in Last Night in Soho gleich zu einem doppelten Bruch. Nicht nur, dass da grausame Großstadt und heimeliges Örtchen in Kontrast gestellt werden. Die romantische Vorstellung, die Eloise von den 60ern hat, wird geschickt mit den schrecklichen Erfahrungen der Gegenwart abgewürgt. Die Warnungen der Großmutter vor dem großen und überwältigenden London, sie waren berechtigt.

Kunstvoll und berauschend

In der ersten Hälfte arbeitet Wright vor allem mit dieser Mischung aus Vergangenem und Gegenwärtigen, nutzt harte Kontraste, lässt beides aber auch miteinander verschwimmen. Das ist großartig inszeniert, wie schon bei seinem Film Baby Driver zeigt der englische Regisseur in Last Night in Soho ein geradezu unwirkliches Gespür für Timing und kunstvolle Übergänge. Vor allem die Szenen, in denen Eloise und Sandy quasi miteinander verschmelzen, gehören zu dem Großartigsten, was man dieses Jahr im Kino sehen darf. Eingebettet in einen makellosen Soundtrack wird die Geschichte um eine Modestudentin, die sich in eine Sängerin verwandelt und ein paralleles, deutlich aufregenderes Leben führt, zu einem Traum, bei dem zwischendurch nicht mehr klar ist, wo die Grenzen liegen – und ob es sie überhaupt gibt.

Was ungefähr eine Halbzeit lang eine berauschende Zeitreise ist, wird später jedoch zu einem Alptraum. Schon früh streut Wright zwar Hinweise, dass da etwas Finsteres vor sich geht, wenn Eloise mehreren gruseligen Männern begegnet. Doch erst nach einer ganzen Weile wandelt sich der Film in ein Horrorwerk. Auch das ist noch schön anzusehen, Last Night in Soho orientiert sich hier deutlich an seligen Giallo-Zeiten. Diese werden jedoch mit moderneren Genrebildern verbunden, reichlich Computereinsatz inklusive. Das ist sehr viel weniger stilvoll. Ein weiteres Problem ist, dass sich diese Phase viel zu lange hinzieht und dabei wenig abwechslungsreich ist. Da hätte schon die eine oder andere Szene gekürzt werden dürfen. Da muss man schon ein bisschen Geduld mit sich bringen – und auch Nachsicht, da ist einiges nicht durchdacht.

Erstklassig besetzte Hölle

Dafür gibt es ein paar nette Wendungen. Und natürlich punktet Last Night in Soho, das auf den Filmfestspielen von Venedig 2021 Premiere feierte, mit einem erstklassigen Ensemble. Thomasin McKenzie wandelt zwischen verhuschtem Landei und selbstbewusster Künstlerin, gemischt mit ein bisschen Paranoia. Auch Anya Taylor-Joy zeigt eine beeindruckende Wandlung im Laufe ihrer Reise. Matt Smith wiederum gefällt als charmant-undurchsichtiger Manager. Als Bonus gibt es einen mehr als willkommenen Auftritt von Diana Rigg, der auch der Film gewidmet wurde. In ihrer letzten Rolle vor ihrem Tod zeigt die Britin, die mit der Kultserie Mit Schirm, Charme und Melone Fernsehgeschichte schrieb, noch einmal ihre Klasse und verkörpert die Widersprüchlichkeit der zunächst angehimmelten 60er Jahre. Eine Zeit, in der Frauen endlich sich selbst verwirklichen durften, die zugleich aber auch zur Hölle werden konnte.

Credits

OT: „Last Night in Soho“
Land: UK
Jahr: 2021
Regie: Edgar Wright
Drehbuch: Edgar Wright, Krysty Wilson-Cairns
Musik: Steven Price
Kamera: Chung-hoon Chung
Besetzung: Thomasin McKenzie, Anya Taylor-Joy, Matt Smith, Michael Ajao, Terence Stamp, Diana Rigg

Bilder

Trailer

Interview

Wie sehr kann er sich mit den künstlerischen Träumen der Figuren identifizieren? Und welche Orte in Soho könnte er selbst empfehlen? Diese und andere Fragen haben wir Schauspieler Michael Ajao in unserem Interview zu Last Night in Soho gestellt.

Michael Ajao

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„Last Night in Soho“ begleitet eine aufstrebende Modedesignerin, die in London ihren Traum erfüllen will, deren Schicksal sich dabei aber immer mehr mit dem einer Sängerin aus den 1960ern verknüpft. Das ist kunstvoll in Szene gesetzt, gerade die erste Hälfte ist ein audiovisuell mitreißendes und exzellent besetztes Abenteuer. Der spätere Horrorpart kann da nicht ganz mithalten, zumal die Passagen zu lang sind.
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