In ihrem Film Bergman Island erzählt Mia Hansen-Løve von einem Künstlerpaar, das zur Insel Fårö reist, um dort auf den Spuren von Ingmar Bergman an eigenen Filmen zu arbeiten. Während dies Tony (Tim Roth) gut gelingt, hat seine Partnerin Christine (Vicky Krieps) Schwierigkeiten dabei, die Geschichte zu einem Abschluss zu bringen, weshalb sie alleine umherstreift, auf der Suche nach Inspiration. Anlässlich des Kinostarts am 4. November 2021 unterhalten wir uns mit der französischen Regisseurin über die Arbeit am Film, die Trennung von Kunst und Person und Geschlechterperspektiven in Filmen.
Könntest du uns ein wenig über die Hintergründe von Bergman Island erzählen? Warum hast du dir dieses Thema ausgesucht?
Ich weiß gar nicht, ob das tatsächlich ein Aussuchen in dem Sinne war. Es hat sich einfach so ergeben. Lange bevor ich an diesem Film gearbeitet habe, dachte ich darüber nach einen Film über die Coppola-Familie drehen und deren Beziehungen zum Filmemachen. Es sollte ein Film sein über Inspiration und kreatives Arbeiten. Daraus wurde irgendwann das Porträt von einem Paar, bei dem beide Regisseure sind. Und das wurde dann zu einem Porträt nur von ihr. Diese Idee habe ich lange mit mir herumgetragen, schon während ich an anderen Filmen gearbeitet habe. Aber erst, als ich Fårö zum Schauplatz machte, nahm das Projekt wirklich Form an. Es war also ein sehr langer Prozess.
Und warum Fårö?
Zunächst gibt es keinen Ort, der derart stark mit einem Regisseur verbunden ist. Fårö ist einfach untrennbar mit Ingmar Bergman verbunden, weil er dort so viele Filme gedreht hat. Klar bringst du auch andere Regisseure mit bestimmten Orten in Verbindung, zum Beispiel los Angeles. Aber Fårö ist eben keine Großstadt, sondern eine kleine abgelegene Insel. Das macht den Ort so besonders. Für mich war das der ideale Ort, um über das Thema Kreation und das Kino im Allgemeinen nachzudenken. Ein anderer Grund ist, dass ich mich einfach in diesen Ort verliebt habe, als ich 2014 zum ersten Mal dort war. Ich war verzaubert von der Schönheit dieser Insel, von der Landschaft. Wenn es nur darum gegangen wäre, wie sehr dieser Ort von Bergman heimgesucht wird, und das wird er, hätte ich den Film vermutlich nicht gemacht. Aber es gab für mich noch ein zweites Fårö, das ich entdecken konnte. Ich wollte einen eigenen Zugang zu dieser Insel finden.
Und wie sieht es mit deinem Zugang zu Bergman selbst aus? In deinem Film beschreibst du ihn als einen ambivalenten Menschen.
Das war er vermutlich auch, wenn du ihn dir als Menschen ansiehst. Meine Meinung zu ihm als Künstler ist aber nicht ambivalent. Ich liebe seine Filme und bewundere ihn für das, was er geschaffen hat. Meine Bewunderung ist sogar noch größer geworden, als ich mich näher mit ihm befasst habe. Natürlich hatte er sehr viele Kinder von verschiedenen Frauen, um die er sich nicht oder kaum gekümmert hat. Man kann also schon sagen, dass er ein schlechter Vater war. Aber das war letztendlich seine Privatsache. Es ging mir in Bergman Island nicht darum, ihn deswegen zu verurteilen. Dass ich das Thema im Film angesprochen habe, liegt vielmehr daran, dass sich mich selbst mit der Frage auseinandersetzen musste, wie ich die Balance aus Familie und Arbeit halten kann.
Ein schlechter Vater zu sein, ist das eine. Aber es gibt bekannte Fälle von Regisseuren und Schauspielern, die viel Schlimmeres getan haben. Kannst du in solchen Fällen den Künstler von dem Menschen trennen? Sollten wir das überhaupt?
Das ist natürlich eine sehr große Frage, die ich nicht in wenigen Worten beantworten kann. Ich kann sie vor allem auch nicht für andere beantworten. Persönlich denke ich schon, dass man das künstlerische Schaffen und das Privatleben voneinander trennen sollte. Sofern man das überhaupt wirklich kann. Jeder Künstler wird in seiner Kunst auch etwas von sich selbst einbauen. Du musst nicht einmal ein autobiografisches Werk schaffen, damit etwas von dir darin ist. Wie willst du das dann voneinander trennen? Außerdem ist es so, dass jeder von uns eine schlechte Seite hat. Wir haben alle irgendwo auch eine Dunkelheit in uns. Deswegen will ich auch niemanden dafür verurteilen, wer er ist. Ich habe vielleicht meine eigene Meinung. Aber es ist eben meine Meinung.
In deinem Film erzählst du die Geschichte einer Regisseurin und eines Regisseurs, die ein Paar sind. In den letzten Jahren wurde viel darüber gesprochen, dass Regisseurinnen nicht dieselben Möglichkeiten haben wie Regisseure. Denkst du dass es in der Hinsicht Fortschritte gegeben hat seitdem?
Ich denke, dass sich da schon einiges getan hat, ja. Wobei ich das Privileg habe, in Frankreich zu arbeiten. Und hier ist die Situation schon noch besser als in anderen Ländern, wenn es darum geht, Regisseurinnen zu fördern. Ich selbst würde mich deshalb über meine Lage nicht beschweren wollen. Ich fühle mich weder unterdrückt noch in irgendeiner Form eingeschränkt. Aber das sieht in anderen Ländern wie gesagt anders aus. Da muss also schon noch einiges getan werden.
Wie sieht es mit den Filmen von Frauen aus? Gibt es deiner Meinung nach eine spezifisch weibliche Perspektive in Filmen?
Ich denke schon, dass es so etwas wie eine weibliche Perspektive gibt. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass nur Frauen diese einnehmen können. Frauen können auch männliche Filme machen, Männer wiederum weibliche Filme. Das ist also nicht unbedingt an das Geschlecht geknüpft. Hinzu kommt, dass ein Film auch immer mehr ist als das. Ich schäme mich nicht dafür, dass meine eigenen Filme weiblich sind. Aber das ist nichts, was mich definieren würde.
Deine Figur im Film ist an einem Punkt angekommen, an dem sie nicht mehr mit ihrem Film weiterkommt und an einer Schreibblockade leidet. Wie gehst du selbst damit um, wenn du in einer solchen Situation bist?
Ich versuche in solchen Situationen, einfach geduldig zu bleiben. Ich denke, dass du einen kreativen Prozess nicht erzwingen kannst. Natürlich kannst du auch bei einer künstlerischen Arbeit diszipliniert sein. Ich würde mich selbst auch als diszipliniert bezeichnen. Das habe ich von meinen Eltern gelernt, die beide sehr hart gearbeitet haben. Aber du brauchst eben auch Inspiration. Da ist es manchmal besser, wenn du eine Pause einlegst und auf den richtigen Moment wartest. Bei meinem dritten Film Eine Jugendliebe versuchte ich, die Geschichte zuerst aus der Perspektive des Jungen zu erzählen, was aber einfach nicht funktionierte. Also habe ich den Film erst einmal ruhen lassen und etwas anderes getan. Als ich mich zwei Jahre später wieder daran setzte, wurde mir klar, dass ich die Geschichte aus der Perspektive des Mädchens erzählen musste. Danach klappte es plötzlich.
In deinen Filmen erzählst du immer sehr persönliche Geschichten. Kommt es da schon einmal vor, dass etwas so nah an dir dran ist und du dich einer Figur dadurch zu verbunden fühlst?
Bei mir ist es so, dass ich mich durch die Arbeit an einem Film von den Figuren wieder löse. In dem Moment, in dem die Geschichte auf dem Papier steht, entsteht eine Distanz, selbst wenn die Geschichte am Anfang eine sehr persönliche war. Es wird eine Figur daraus. Auf diese Weise geht es mir nicht zu nahe. Nahe schon, ja, aber eben doch losgelöst von mir. Das ist es auch, was ich an meiner Arbeit als Filmemacherin so mag: Ich kann etwas aus meinen Leben nehmen, zum Teil sogar mich selbst, und in etwas Neues verwandeln, das unabhängig ist von mir.
Vielen Dank für das Gespräch!
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