Im Jahre 2021 hat jeder von uns Zugriff auf eine schier unübersichtliche Schar von Narrativen von unterschiedlicher Qualität und teils erstellt mit eher fragwürdigen Interessen. Ein Wahlkampf, egal ob in Europa oder den USA, wird längst nicht mehr alleine durch Inhalte bestritten, was man schon daran sieht, wie viele Menschen sich überhaupt ernsthaft mit dem Programm einer Partei auseinandersetzen und stattdessen lieber ihrer Intuition oder ihrem Gefühl folgen, wenn es zum Gang an die Wahlurne geht. Das individuelle Narrativ gewinnt dabei meist die Oberhand, wirkt es für den Außenstehenden doch überzeugender und vielleicht auch authentischer als jenes, welches beispielsweise von den Medien oder der Kultur vertreten und verbreitet wird. Besonders die Presse hat sich nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert, als es darum ging komplexe Themen wie die Pandemie oder die Präsidentschaft Donald Trumps zu behandelt, vor allem, da viele Journalisten dazu übergingen, einfach ein Narrativ zu übernehmen. Die Tatsache, dass nach wie vor viele Menschen den etablierten Medien misstrauen, hat auch sehr viel mit diesen Aspekten zu tun, was eine Dokumentation darüber, was guter Journalismus ist, vielleicht umso wichtiger macht.
Innerhalb des öffentlich rechtlichen Fernsehens steht das Polit-Magazin Monitor, welches seit 1965 existiert und alle drei Wochen auf Sendung geht, für eine Art von Investigativjournalismus, die sich dem Thema verschriebt und weniger dem Ego des Reporters oder dem Ansehen dessen Vorgesetzten. In seiner sechsten abendfüllenden Dokumentation Mit eigenen Augen, welche auf dem Filmfestival Cologne 2020 mit dem Filmpreis NRW ausgezeichnet wurde, widmet sich Filmemacher Miguel Müller-Frank nicht nur dem Magazin an sich, sondern dessen Rechercheteam, wie eine Geschichte entsteht und welche Vorüberlegungen dabei eine Rolle spielen. Dabei ist ein faszinierender Einblick in den modernen Journalismus entstanden, der die Verantwortung des Journalisten heutzutage ebenso in den Mittelpunkt rückt wie die Macht eines Narratives, dessen potenzielle Wirkung von dessen Urhebern bereits in der Entstehung immer wieder kritisch hinterfragt wird.
Auf Augenhöhe
Über zwei Monate hinweg haben Müller-Frank und sein Team die Arbeit der Redaktion von Monitor begleitet und damit auch die Entstehung einer Sendung des Magazins. Wer aus Spielfilmen an das Klischee des Reporters denkt, dem durch Zufall eine Story zukommt, wird in Mit eigenen Augen auf den Boden der Realität geholt. Minutiös werden für die einzelnen Geschichten, welche die Redaktion recherchiert, die einzelnen Instanzen durchlaufen, die Telefonate, die Konferenzen und Gespräche mit anderen Mitarbeitern sowie natürlich die stundenlange Recherche vom Schreibtisch aus. Das mag zwar nicht so spannend sein wie ein Spielfilm, ist aber faszinierend, gerade weil Müler-Frank nicht wegschneidet, sondern bei einer Entscheidungsfindung oder einem Gespräch zweier Mitarbeiter von Monitor dabei bleibt.
Generell bleibt die Kamera immer auf Augenhöhe. Bei den Konferenzen oder dem kollegialen Austausch entsteht der Eindruck, der Zuschauer sei ein Beobachter. Müller-Frank zeigt dabei, wie Geschichte entstehen, welche Überlegungen bei einem Beitrag im Vorfeld getroffen werden und auch wie dieser bei Publikum ankommt. Themen wie Greenwashing bei der Flugindustrie oder dem rechten Untergrund in Deutschland stehen an, es wird nichts dem Zufall überlassen und alles, von den Sätzen des Beitrags bis hin zu den Bildern genau durchdacht, was einen Eindruck vermittelt, in welchem Kontext Journalismus heute steht, wenn er Verantwortung übernehmen will und sich dem Druck sozialer Medien widersetzt.
OT: „Mit eigenen Augen“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Miguel Müller-Frank
Drehbuch: Miguel Müller-Frank
Kamera: Laura Emma Hansen
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