Pankow 95
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Pankow ’95

Inhalt / Kritik

Pankow 95
„Pankow ’95“ // Deutschland-Start: 13. Januar 1984 (Kino) // 25. November 2021 (Kino Wiederaufführung)

In einer alternativen Welt, in welcher die Mauer nicht gefallen ist, und die BRD unter den Folgen einer Wirtschaftskrise leidet, ist die DDR zu einem totalen Überwachungsstaat geworden. Dissidenten oder Andersdenkende werden entweder vom Regime abgeschoben oder gleich gänzlich mundtot gemacht, wie etwa beim Musiktheoretiker Johann Amadeus Wolfgang Zart (Udo Kier). Dieser ist als schwerer Fall in einer Nervenheilanstalt, wo die Pfleger sowie die Medikation dafür sorgt, dass er seine Tage immer in einem Nebel zwischen Wahn, Müdigkeit und leichtem Rausch verbringt. Darüber hinaus verhört ihn der leitende, systemtreue Arzt Dr. Werner Frisch (Dieter Thomas Heck) immer wieder, verändert die Medikation seines Patienten und versucht ihm eine psychische Störung einzureden. Zart beschleicht der Verdacht, dies hätte mit seinen Forschungen in der Musik der Jugend zu tun, die dem Wissenschaftler als Fundament für eine Theorie über Jugendbewegungen und Revolutionen sowie deren Vorhersehbarkeit dienten. In dem grauen Einerlei der Tage sind lediglich die Erinnerungen an seine Ehe mit seiner Frau Laura (Christine Kaufmann) ein Halt für Zart, wobei ihn nach wie vor auch seine Theorie beschäftigt und welche Gefahr diese für den Staat anscheinend darstellen muss.

Eines Tages jedoch kommt mit Armin (Tom Dokoupil) ein neuer Patient in die Klinik. Nicht nur wird er Zarts neuer Zimmergenosse, er stellt auch die Therapie Frischs vor deren Grenzen, kann Armin doch seinen Serotonin-Spiegel kontrollieren, was eine genaue Feststellung seines Gemütszustandes schier unmöglich macht. Nicht nur das System des Doktors kommt damit ins Wanken, auch die Patienten, allen voran Zart selbst, sehen eine Möglichkeit, aufzubegehren, was den Theoretiker in seiner Annahme zur Musik zu bestätigen scheint.

Ein Land, eine Nervenheilanstalt

Nach seinem Film Tscherwonez ist Pankow ’95 der zweite Spielfilm des ungarischen Regisseurs Gábor Altorjay, der sich nicht nur mit der deutschen Gegenwart in den 1980er befasst, sondern zudem das Medium Film nutzt, um die Taktiken sowie das Chaos einer Diktatur offenzulegen. Anlässlich des Film Festival Cologne wurde der 1983 entstandene Film in einer neu restaurierten Version gezeigt, welche nicht nur die Vision des Filmemachers betont, sondern zudem die besondere Ästhetik von Pankow ’95, der sich irgendwo in der Nähe der Filme eines Alejandro Jodorowsky oder Christoph Schlingensiefs wiederfindet. Für Freunde sperriger, aber interessanter Werke ist Altorjays Film eine echte Entdeckung.

Schon alleine der Einstieg fällt schwer in diesen hermetischen Film, der vor allem von der einnehmenden, hypnotischen Darstellung Udo Kiers als Johann Amadeus Wolfgang Zart lebt. Um ihn herum scheint alles in einem Chaos unterzugehen, was durch die Klänge von rasenden Düsenjets sowie der Stimme eines Nachrichtensprechers, welcher Neuigkeiten über aktuelle Konflikte verkündet, noch betont wird. Die Therapie, so scheint es, gibt es nicht, nur die Pillendosis wird mit jedem Tag etwas mehr, sodass die Patienten ruhiggestellt und folgsam sind, wobei ihr Serotonin-Spiegel anzeigt, wann mit einer Gemütsregung zu rechnen ist. Verwirrend wirkt all dies auf den Zuschauer, nicht nur wegen der Kakophonie aus Klängen und Bildern, sondern schon wegen dieser bizarren Mischung aus einem Festhalten an einem maroden System und einem fast schon unentrinnbaren Aufbruch, der immer gewaltsamer zu werden scheint.

Die Vorhersehbarkeit einer Revolution

Die Verzerrung sowie die Verfremdung sind die beliebtesten Mittel innerhalb der Inszenierung Altorjays. Im Kontrast dazu steht die Theorie des Musikwissenschaftlers Zart, die eine Berechenbarkeit attestiert in der Geschichte einer Kultur, oder diese zumindest behauptet. Wie schon in seinen Zusammenarbeiten mit Christoph Schlingensief zeigt sich Udo Kier als ein hervorragender Gehilfe für eine bizarre Vision, spielt diesen Zart mit einer Mischung von Empfindsamkeit und sorgsam zurückgehaltenem Wahn, sowie einer Spur von Berechnung. In der DDR im Jahre 1995 ist er wie auch Armin ein Revoluzzer wider Willen geworden, schafft er sich doch eine ganz eigene Realität. Dem gegenüber steht der überraschend diabolisch spielenden Dieter Thomas Heck, der nach seiner Rolle in Tom Toelles Das Millionenspiel, nochmals zeigen darf, dass in ihm durchaus noch andere Talente als die des Showmasters geschlummert haben.

Nicht nur die Bilder von Kameramann Jörg Jeshel begleiten die teils fantasmagorische Vision Altorjays, sondern auch die Musik Tom Dokoupils und machen Pankow ’95 zu einem Gesamtkunstwerk, das es seinem Zuschauer nicht immer einfach macht, diesen verstört und provoziert, aber durch seine schiere Kompromisslosigkeit überzeugt.

Credits

OT: „Pankow ’95“
Land: Deutschland
Jahr: 1983
Regie: Gábor Altorjay
Drehbuch: Gábor Altorjay
Musik: Tom Dokoupil
Kamera: Jörg Jeshel
Besetzung: Udo Kier, Christine Kaufmann, Dieter Thomas Heck, Tom Dokoupil, Angelo Galizia, Rene Durand, Magdalena Montezuma, Nina Hagen, Karel Dudesek, Frank Jürgen Krüger

Bilder

Trailer

Filmfeste

International Film Festival Rotterdam 1984
Film Festival Cologne 2021

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"Pankow ‘95" ist ein sozialkritischer Science-Fiction-Film, der ein System nahe am Kollaps zeigt. Dank seines engagierten Hauptdarstellers sowie einer kompromisslosen Herangehensweise auf ästhetischer wie auch erzählerischer Ebene gelingt Gábor Altorjay ein Gesamtkunstwerk, mit dem sich nicht jeder anfreunden wird, dessen Wert aber nicht zu unterschätzen ist.
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