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Ein Wochenende im winterlichen Berlin: Eine Frauenleiche wurde gefunden, ihr Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Dennoch gelingt es dank einer DNA-Analyse, die Identität der Toten zu ermitteln, eine junge Studentin, die in der Nacht zuvor auf der Suche nach schnellem Sex war. Erfolgreich offensichtlich, bei ihren Ermittlungen stoßen Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) schnell auf Dennis Ziegler (Vito Sack) und Julia Hoff (Milena Kaltenbach). Die bestreiten auch gar nicht, dass sie in der Nacht zuvor zusammen waren. Die junge Frau sei aber irgendwann wohlauf wieder gegangen. Dabei rücken schnell die Eltern von Dennis in den Fokus, Polizistin Doris (Jule Böwe) und Sicherheitsfachmann Claus Ziegler (Andreas Döhler), die sich schützend vor ihren Sohn stellen. Aber auch die Eltern des Opfers, Marianne (Andreja Schneider) und Helmut Bader (Rainer Reiners), sorgen für Irritationen, behaupten sie doch, die Tote sei gar nicht ihre Tochter …
Wo sind die Rätsel?
In den letzten Wochen war das mit dem Tatort ja so eine Sache. Wer sich die langlebige ARD-Krimireihe des Rätselfaktors wegen anschaut, der kam nur bedingt auf seine Kosten. Immer wieder entfernten sich die Filme von dem genretypischen Prinzip, dass ein Mord geschehen ist und der Täter bzw. die Täterin gesucht werden muss. Da wurde vielmehr drumherum geredet, die Gesellschaft porträtiert, zum Teil inszenatorisch wild herumexperimentiert. Bei Borowski und der gute Mensch wie auch Blind Date war es so, dass man nicht erst lange suchen musste, wer den Mord begangen hat. Das Publikum durfte das jeweils gleich zu Beginn erfahren. Stattdessen waren diese Teile den jeweiligen Tätern gewidmet, wurde sich ganz der Faszination des Bösen hingegeben – mit nicht immer überzeugendem Ergebnis.
Tatort: Die Kalten und die Toten, der 1178. Fall der Reihe, geht nun in eine ähnliche Richtung. Erneut geht es nicht darum, durch mühselige Arbeit herauszufinden, wer da die junge Frau ermordet hat. Klar, ein bisschen ermittelt wird schon. Aber das Ergebnis steht relativ schnell fest, der verwöhnte Arschlochsohn Dennis muss es gewesen sein. Schließlich stand der schon vorher mehrere Male im Verdacht von Gewaltverbrechen, seine Mutti hat ihn aber jedes Mal herausgeboxt. Sie ist nun mal Polizistin, da lernt man, wie so etwas geht. Und im Zweifel schauen die Kollegen und Kolleginnen schon mal weg, wenn es ernst wird. Die Arbeit ist schließlich hart genug, da braucht es die passende Unterstützung, schon mal über die Grenzen der Legalität hinaus.
Der Mensch, die eisige Hölle
Und das ist nicht das einzige Mal, dass es einen bei Tatort: Die Kalten und die Toten schüttelt. Drehbuchautor Markus Busch (Deine besten Jahre) schien offensichtlich viel daran gelegen, dass das Publikum vom bloßen Zusehen schon erfriert. Warmherzig ist hier niemand. Nahezu jede Begegnung endet mit Konflikten, wenn nicht gar einem Streit. Da spielt es dann auch schon keine Rolle mehr, wer da mit wem gerade redet, ob innerhalb der Polizei, mit den Tatverdächtigen, mit den Angehörigen. Der Film spielt nicht nur im Winter, sondern zeigt eine Gesellschaft, in der es mehr als frostig zugeht. In der zur eigenen Lusterfüllung über Leichen gegangen wird und die Polizei mal aus schierer Inkompetenz, mal aus Eigenvergnügen anderen Leuten das Leben zur Hölle macht. Einer eisigen Hölle, versteht sich.
Das ist dann erneut für ein Publikum unbefriedigend, das einen Krimi am liebsten mit Rätseln oder Spannung in Verbindung bringt. Andere werden sich daran stören, dass es hier offensichtlich keine normalen Menschen mehr gibt: Täter, Umfeld, Polizei, da sind alle durch die Bank weg kaputt. Aber es ist eben auf eine ganz eigene Weise faszinierend, wie sich Tatort: Die Kalten und die Toten völlig den Abgründen hingibt und eine Gesellschaft skizziert, in der sie alle irgendwie verlorengegangen sind, sich anonymen Befriedigungen hingeben oder in irgendwelche Träume stürzen, die sie durch den Tag bringen sollen. Bis die Träume zerplatzen und sich dahinter eine derart hässliche Wahrheit auftürmt, dass man ganz freiwillig zu Hause bleibt und die Welt da draußen nicht mehr sehen will. Denn die tut nicht gut.
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