Bei dem Paar Lara (Giulia Goldammer) und Jacob (Thomas Schubert) läuft es derzeit nicht besonders. Während sie zunehmend von der Aufgabe überfordert ist, sich um die einjährige Tochter zu kümmern, ist er von seiner undankbaren Arbeit als Koch frustriert. Als es Lara eines Tages reicht, drückt sie ihrem Partner das Kind in die Hand und macht sich aus dem Staub. Ziel ist ein Bauernhof in Südtirol, den ihre Schwester Ida (Barbara Krzoska) mit der Sommeraushilfe Rafael (Anselm Bresgott) betreibt. Die ist alles andere als begeistert über den unangekündigten Besuch. Zu groß ist noch die Wut darüber, dass Lara seinerzeit einfach abgehauen ist und Ida sich seither selbst um alles kümmern musste …
Eine stürmische Familiengeschichte
Windstill ist ein Titel, der hier gleichzeitig wunderbar passt und doch auch wieder nicht. Still ist hier zunächst eigentlich nichts und niemand. Im Gegenteil: Hier stürmt es eigentlich fast die ganze Zeit. Ob es nun die Arbeit im Restaurant ist, bei der ein rauer Ton herrscht, oder die gemeinsamen Szenen des Paares, da wird schon richtig viel gezofft. Selbst ein an und für sich harmloser Trip zum Supermarkt endet mit Anfeindungen. In der zweiten Hälfte, wenn sich das Geschehen zunehmend auf den in den Bergen gelegenen Bauernhof verlagert, wird das Setting zwar idyllischer. Sehr viel mehr Ruhe kehrt dadurch aber nicht ein. Auch im Anschluss wird gestritten und gestritten und gestritten.
Das ist gelinde gesagt anstrengend. Es gibt in Windstill kaum Möglichkeiten, sich auch einmal zurückzulehnen und sich mit den Themen und mit den Figuren auseinanderzusetzen, da direkt im Anschluss schon wieder irgendwo etwas explodiert. Meistens hängt das mit Lara zusammen, die eigentlich nur zwei Zustände kennt: Angriff oder Flucht. So ein wirkliches Miteinander scheint ihr fern zu sein, ebenso das Konzept einer Problemlösung. Die beiden anderen sind da zielorientierter, sind im direkten zwischenmenschlichen Austausch aber auch nicht die geschicktesten. Das Drama zeigt Leute, die es schaffen, jede sich bietende Situation irgendwie noch schlimmer zu machen, als sie es ist.
Gefangen im Status Quo
Interessanter ist, wie Regisseurin und Drehbuchautorin Nancy Camaldo das Leben dreier Menschen skizziert, die alle auf ihre Weise feststecken. Jacob und Ida sind in einer Arbeit gefangen, die sie hassen, die sie aber aus Pflichtbewusstsein erfüllen. Alternativen zu diesem Status Quo werden nicht wahrgenommen, werden auch nicht gesucht. Das Unglück ist in ihre Gesichter gemeißelt, sie machen zudem kein Geheimnis daraus, dass sie alles irgendwie Mist finden. Das sind die Passagen, in denen Windstill seinem Titel gerecht wird. Das Drama zeigt, wie leicht es ist, in seinem Leben festzustecken und sich nicht mehr vorwärts bewegen zu können. Lara ist die einzige, die zumindest versucht, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, selbst wenn diese verzweifelten Übersprungshandlungen wenig konstruktiv sind.
Einen Ausweg aus der Misere zeigt Camaldo nicht. Sie verdeutlicht stattdessen, wie Lebenspläne durch äußere Umstände durchkreuzt werden können. Denn eigentlich hatten sie sich das alle anders vorgestellt. Lara wollte beispielsweise Medizin studieren, wurde dann aber schwanger. Auch ihre Schwester Ida hatte andere Träume als den, den Bauernhof weiterbetreiben zu müssen. Aber als einzige, die noch übrig war, konnte sie nicht anders. Das ist als Thema sicher spannend und sehr universell. Die wenigsten von uns werden am Ende dort rauskommen, wo sie sich selbst vorgestellt haben. Irgendwie kommt es doch immer anders. Das Drama, welches im Rahmen des Filmfests Max Ophüls Preis 2021 Premiere hatte, dürfte da vielen aus der Seele sprechen, selbst wenn Windstill vielleicht nicht die alltäglichsten Situationen bereithält.
Zu wenig Fokus
Der Film macht aber relativ wenig daraus. Zum einen beschränkt er sich darauf, die negativen Einflüsse solcher Abweichungen zu betonen, was nicht unbedingt zu nuancierten Auseinandersetzungen einlädt. Dumm gelaufen ist dann doch keine sonderlich gewinnbringende Diskussionsgrundlage. Außerdem verzettelt sich Windstill in zu vielen Themen und Geschichten, die dann nicht so richtig aufgelöst werden. Allein das komplizierte Verhältnis der beiden Protagonistinnen, gekoppelt mit der Familiengeschichte, wäre genug gewesen, um einen ganzen Film zu füllen. Stattdessen wird da immer mehr draufgepackt, bis am Ende nicht klar ist: Worum geht es hier eigentlich noch mal? Da wäre ein stärkerer Fokus schon nicht schlecht gewesen. Sehenswerte Szenen gibt es aber durchaus, dazu ein engagiertes Ensemble, das sich vor den ganzen Streitigkeiten nicht fürchtet. Dazu noch der irgendwie tröstliche Gedanke: Das Leben ist bei anderen auch nicht weniger chaotisch.
OT: „Windstill“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Nancy Camaldo
Drehbuch: Nancy Camaldo
Musik: Michael Lauterbach
Kamera: Lukas Nicolaus
Besetzung: Giulia Goldammer, Barbara Krzoska, Thomas Schubert, Anselm Bresgott
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