An Inspector Calls
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An Inspector Calls

Inhalt / Kritik

An Inspector Calls
„An Inspector Calls“ // Deutschland-Start: 15. November 2019 (DVD)

Eigentlich hätte es ein festlicher Abend für Familie Bering sein sollen. So wollten die Eltern Arthur (Ken Stott) und Sybil (Miranda Richardson) feiern, dass ihre Tochter Sheila (Chloe Pirrie) sich mit Gerald Croft (Kyle Soller) verlobt hat. Auch Sohn Eric (Finn Cole) sitzt mit am Tisch, selbst wenn dieser darüber nicht allzu glücklich ist und schon seit längerem die Situation daheim angespannt ist. Doch davon soll die Feierlaune nicht getrübt werden, man ist fest entschlossen, den Abend zu genießen. Dieser Plan wird aber jäh unterbrochen, als sich plötzlich Inspector Goole (David Thewlis) ankündigt. Dieser berichtet von dem Selbstmord einer jungen Frau namens Eva Smith (Sophie Rundle) und will dazu die Berings befragen. Zunächst sträuben die sich dagegen. Was interessiert sie schon eine dahergelaufene Fremde? Im Laufe der Gespräche wird jedoch klar: So fremd war die Verstorbene gar nicht …

Alle mal herhören

Früher gehörte es bei Krimis oft fest dazu: Nachdem der Polizist, wahlweise auch der Privatdetektiv, alle möglichen Spuren verfolgt hat, Hinweisen nachgegangen ist und zahlreiche Gespräche mit Tatverdächtigen oder Zeugen absolviert hat, versammelt er noch einmal alle, um seine Schlüsse vor allen mitzuteilen – dem Mörder inklusive. Agatha Christie hat dies immer wieder gern getan, gerade Geschichten mit Hercule Poirot, wie etwa Mord im Orient-Express oder Das Böse unter der Sonne, endeten auf diese Weise. Auf den ersten Blick scheint auch An Inspector Calls diesem Prinzip zu folgen, wenn der titelgebende Inspektor das festliche Dinner stört, um die Hintergründe eines Todesfalles zu klären. Auf den zweiten Blick ergeben sich aber deutliche Unterschiede.

Der offensichtlichste ist der, dass diese Unterhaltung vor versammelter Mannschaft hier nicht den Endpunkt markiert, sondern Hauptbestandteil der Films ist. Tatsächlich besteht An Inspector Calls nahezu ausschließlich aus den Szenen im Esszimmer, während derer nach und nach die Geschichte offengelegt wird. Die größte Ausnahme sind noch die Flashbacks, in denen wir die Tote zu Gesicht bekommen und die etwas veranschaulichen sollen, was genau geschehen ist. Das macht aus der Figur mehr als nur einen Namen. Wo in Krimis die Verstorbenen oft nur ein Mittel zum Zweck sind, da versucht der britische TV-Film zumindest, diese der Anonymität zu entreißen und zu einem tatsächlichen Menschen werden zu lassen, der mehr ist als nur ein funktionelles Opfer.

Die Frage der moralischen Schuld

Dass sie ein Opfer ist, daran lässt An Inspector Calls keinen Zweifel. Zwar steht hier zu Beginn der Geschichte – auch das ist ein Unterschied zum herkömmlichen Krimi – kein Mord, sondern ein Selbstmord. Aber der geschah natürlich nicht aus heiterem Himmel. Die Ermittlungen Gooles zielen dann auch nicht darauf ab, wer im juristischen Sinn ein Verbrechen begangen hat, sondern wer die moralische Verantwortung für den Todesfall trägt. Diese ist sehr viel weniger genau festzulegen, als es eine reguläre Straftat wäre. Wer trägt Schuld an dem Unglück eines Menschen? Diese Frage taucht immer wieder in dem Film auf, wird aber nie ganz eindeutig beantwortet. Dafür ist die Situation zu komplex, zumal alle Figuren in einem Zusammenhang mit der jungen Frau stehen, auf die eine oder andere Weise.

Das darf man als Krimi ansehen, wie An Inspector Calls manchmal bezeichnet wird. Schließlich geht es darum, eine Vergangenheit zu rekonstruieren und dabei ein Geflecht aus Lügen und Vergehen zu durchschauen. So richtig passt das aber nicht. Gerade am Ende werden sich Fans „normaler“ Krimigeschichten die Geister scheiden. Denn hier geht es eigentlich gar nicht um eine Auflösung als solche. Das 1945 veröffentlichte Theaterstück von J. B. Priestley, auf dem der Film basiert, nutzt vielmehr das Ambiente und andere Elemente des Genres, um das Bild einer herzlosen und moralisch verkommenen Gesellschaft zu entwerfen, in der einzelne gnadenlos untergehen und an den Rand gedrückt werden, bis sie es – wie bei der jungen Toten der Fall – keinen Ausweg mehr haben.

Mehr Drama als Krimi

Deutlich besser als Krimi oder gar Thriller, wie manche irrtümlich behaupten, passt deshalb die Einordnung ins Drama-Genre. Zumindest nimmt einen An Inspector Calls mit der Zeit immer mehr mit. Umso mehr man über die Frau und ihr Leben erfährt, umso stärker verzweifelt man an der Menschheit. Während übliche Mördersuchen mit einem Gefühl der Befriedigung enden, wenn der Täter überführt und damit für Gerechtigkeit gesorgt wird, da überwiegt hier im Anschluss eher die Ernüchterung. Auch das wird nicht allen gefallen: Die Zielgruppe, die sich wöchentlich vor den Fernsehern tummelt und die zahlreichen TV-Krimis konsumiert, wird hier eher nicht glücklich werden. Sehenswert ist die Adaption aber durchaus, wenn die schicke Fassade einer gehobenen Familie Risse bekommt und den Blick auf die hässlichen Abgründe dahinter freigibt.

Credits

OT: „An Inspector Calls“
Land: UK
Jahr: 2015
Regie: Aisling Walsh
Drehbuch: Helen Edmundson
Vorlage: J. B. Priestley
Musik: Dominik Scherrer
Kamera: Martin Fuhrer
Besetzung: David Thewlis, Sophie Rundle, Chloe Pirrie, Finn Cole, Miranda Richardson, Ken Stott, Kyle Soller

Bilder

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„An Inspector Calls“ beginnt wie ein klassischer Krimi, wenn ein Inspektor den Tod einer jungen Frau aufzuklären versucht. Tatsächlich handelt es sich bei der Adaption des gleichnamigen Theaterstücks aber mehr um ein Drama, welches einen sehr ernüchternden Blick auf die Gesellschaft wirft und die hässlichen Abgründe hinter der schicken Fassade offenbart.
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