Als der englische Anwalt Jonathan Harker (Keanu Reeves) 1897 den weiten Weg nach Transsilvanien zurücklegt, um dort Graf Dracula (Gary Oldman) zu beraten, ahnt er noch nicht, worauf er sich da eingelassen hat. So handelt es sich bei dem Adligen um einen Vampir, der bereits mehrere Jahrhunderte alt ist und in seinem Schloss von dem Blut von Menschen lebt. Als Dracula das Bild von Harkers Verlobten Mina (Winona Ryder) entdeckt, ist er überzeugt, dass sie die Reinkarnation seiner geliebten Elisabeta ist, die sich im 15. Jahrhundert das Leben nahm und dafür exkommuniziert und verdammt wurde. Und so beschließt der Untote, seinerseits nach London zu reisen, um seine große Liebe wiederzufinden. Doch seine Ankunft bleibt dem Gelehrten Prof. Abraham van Helsing (Anthony Hopkins) nicht verborgen, ein Experte auf dem Gebiet der dunklen Mächte …
Rückkehr zu alter Größe
Nachdem das Horrorgenre in den 1970ern zur Spielwiese zahlreicher bedeutender Filmemacher geworden war und zahlreiche Klassiker hervorbrachte – darunter Der Exorzist und Der weiße Hai –, gab es in den 1980ern eine deutliche Verschiebung. Der Markt wurde zunehmend von billigen, künstlerisch wenig ambitionierten B-Movies dominiert, oft aus dem Slasher-Bereich, die zwar ebenfalls lukrativ waren, aber nicht unbedingt zu Begeisterungsstürmen bei den Kritikern führten. Das Genre stand in dem Ruf, reine Schmuddelware zu sein. Anfang der 1990er wollte kaum ein seriöser Filmemacher mehr etwas damit zu tun haben. Umso größer dürfte die Überraschung bei vielen gewesen sein, als ausgerechnet Francis Ford Coppola den Klassiker Dracula von Bram Stoker neu verfilmen wollte. Dessen Glanz hatte die Jahre zuvor zwar ebenfalls gelitten. Dennoch, ein mehrfach mit einem Oscar ausgezeichneter Filmemacher, das hatte im Horrorbereich Seltenheitswert.
Bram Stoker’s Dracula, wie der Film meistens genannt wird, unterscheidet sich dann auch deutlich von dem, was in dem Genre seinerzeit üblich war. Wo die Kollegen oft auf explizite Brutalität setzten, da war Coppola recht zurückhaltend. Die Zahl der wirklichen Opfer ist überschaubar, die Angriffe des Grafen sind vergleichsweise harmlos, da es ihm eben nicht um das Morden geht. Die Bedrohung, die von der Titelfigur ausgeht, zeigt sich mehr im Schattenspiel als in exzessiver Gewalt. Nach dem Einstieg, in dem Dracul vor Schmerz wahnsinnig wird und sich selbst von Gott lossagt, passiert über lange Zeit erst einmal nicht wirklich was. Der legendäre Regisseur setzte mehr auf die Atmosphäre und die Kulissen als auf eine actionreiche Handlung.
Die Geschichte einer unsterblichen Liebe
Es sind dann vor allem auch die Bilder, die seinerzeit begeisterte Reaktionen hervorriefen. Zusammen mit seinem Kameramann Michael Ballhaus (GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia, Zeit der Unschuld) beschenkte er sein Publikum mit unwirklich schönen Bildern, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen. Vor allem der ausdrucksstarke Einsatz der Farbe Rot und die Inszenierung des Schlosses, welches immer wieder zum Schauplatz wird, sind bis heute ein Genuss fürs Auge. Kostüme und Masken geben Bram Stoker’s Dracula noch eine sehr theatralische Note, die durch das gnadenlos überzogene Schauspiel von Gary Oldman noch weiter verstärkt wird. Die bekannte Geschichte um den Blutsauger wurde hier zu einer rauschartigen Oper, bei der selbst die geringsten Szenen groß aufgebauscht werden.
Der Vorwurf, der Film wäre ein Beispiel für style over substance, ist dennoch nicht ganz zu halten. Das Drehbuch von James V. Hart (Contact) mach aus Stokers Schauerroman eine große Liebesgeschichte, die sich über mehrere Jahrhunderte spannt. Dracula selbst ist nicht der eindeutige Antagonist, wie man ihn aus zahlreichen Horrorfilmen kennt. Er ist vielmehr eine tragische Gestalt, die zum Gefangenen der eigenen Gefühle wurde. Das hat dann zwar nicht den Kitschfaktor etwa von Twilight und anderen späteren Vampirfilmen, die das Monster zu einem einsamen, traurigen Wesen umdeuteten. Zumindest aber gelingt es Coppola, Mitgefühl für den zum ewigen (Nicht-)Leben verdammten Einsiedler zu erzeugen – im Gegensatz zum völlig nichtssagenden Harker, der nie mehr als hübsche Fassade sein darf. Wobei bei Letzterem nie ganz klar ist, wie viel dem Drehbuch geschuldet ist und wie viel Keanu Reeves, der hier wie ein deplatzierter Klotz wirkt.
Trotz Schwächen noch immer sehenswert
Nicht dass man von den Figuren allgemein viel erwarten sollte. Von Dracula selbst einmal abgesehen ist da niemand, dem so etwas wie eine Persönlichkeit mitgegeben wurde. Allenfalls der von Tom Waits gespielte wahnsinnige Anwalt Renfield, ein Kollege Harkers, sticht noch hervor. Es gibt auch zahlreiche Fragen, die der Film nie beantwortet oder überhaupt als Frage wahrnimmt. Warum zum Beispiel will der Graf Immobilien in London kaufen? Zusammen mit weniger überzeugenden Szenen wie dem missglückten Showdown kommt da einiges zusammen, was das Sehvergnügen mildert. Aber es bleibt am Ende immer noch mehr als genug übrig, wofür sich das Einschalten lohnt, selbst drei Jahrzehnte später. Coppola ist mit seiner Version eine interessante Neuinterpretation geglückt zwischen rauschhaftem Wahn und tiefer Tragik. Und wenn dann noch während des Abspannes Love Song for a Vampire von Annie Lennox läuft, in dem Hoffnungslosigkeit und Erlösung zusammenfinden, wird man endgültig Zeuge einer Liebe, die zu groß für ein Leben war – selbst wenn dieses niemals endet.
OT: „Bram Stoker’s Dracula“
Land: USA
Jahr: 1992
Regie: Francis Ford Coppola
Drehbuch: James V. Hart
Vorlage: Bram Stoker
Musik: Wojciech Kilar
Kamera: Michael Ballhaus
Besetzung: Gary Oldman, Winona Ryder, Anthony Hopkins, Keanu Reeves, Richard E. Grant, Sadie Frost, Tom Waits
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Academy Awards | 1993 | Beste Kostüme | Eiko Ishioka | Sieg |
Bester Tonschnitt | Tom C. McCarthy, David E. Stone | Sieg | ||
Bestes Make-up | Greg Cannom, Michèle Burke, Matthew W. Mungle | Sieg | ||
Bestes Szenenbild | Thomas E. Sanders, Garrett Lewis | Nominierung | ||
BAFTA | 1994 | Beste Kostüme | Eiko Ishioka | Nominierung |
Bestes Make-up | Greg Cannom, Michèle Burke, Matthew W. Mungle | Nominierung | ||
Bestes Szenenbild | Thomas E. Sanders | Nominierung | ||
Beste Spezialeffekte | Roman Coppola, Gary Gutierrez, Michael Lantieri, Gene Warren Jr. | Nominierung |
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