In Die Königin des Nordens (Kinostart: 30. Dezember 2021) spielt Trine Dyrholm die dänische Königin Margarethe I, die seit vielen Jahren über ihr Land herrscht und mit der von ihr gegründeten Kalmarer Union für Frieden sorgte. Doch dann taucht eines Tages ein junger Mann auf, der von sich behauptet, ihr Sohn Olaf zu sein, der 15 Jahre zuvor gestorben sein soll. Das stürzt die Regentin in einen großen Konflikt, muss sie doch bei der Frage, ob diese Behauptung wahr ist, ihre eigenen Gefühle mit ihrem Pflichtbewusstsein der Union gegenüber in Einklang bringen. Wir haben uns mit der Schauspielerin und Regisseurin Charlotte Sieling im Rahmen der Nordischen Filmtage Lübeck 2021 unterhalten, wo das Historiendrama als Deutschlandpremiere lief.
Charlotte, könntest du uns etwas über die Entstehung von Die Königin des Nordens verraten? Was hat dich an dem Thema so interessiert, dass du daraus einen Film machen wolltest?
Charlotte Sieling: Man hat mir vor zehn Jahren die Geschichte von Margarethe angeboten. Damals ging es darum, ihr Leben von der Geburt bis zu ihrem Tod zu erzählen. Mir war schnell klar, dass ich kein Interesse an einem herkömmlichen Biopic hatte. Aber sie ging mir seither nicht mehr aus dem Kopf. Ich wusste von ihr, wusste, dass es sie gegeben hat. So richtig viel wusste ich über ihr Leben aber nicht. Also habe ich angefangen über sie zu lesen. Und ich fand es spannend, wie es ihr gelang, in solchen barbarischen Zeiten eine Allianz zu schließen und für einen Frieden zu sorgen, der 126 Jahre anhielt. Wir brauchten aber einen besonderen Moment in ihrem Leben, an dem wir den Film aufziehen können. Dann haben wir einige Jahre gesucht, bis wir über diese drei Zeilen in dem Geschichtsbuch gestolpert sind, welche den falschen Olaf behandeln. Wir wissen bis heute nicht, was damals wirklich geschehen ist. Und solche Leerstellen sind ein Punkt, an denen wir Filmschaffende gefragt sind und uns Geschichten ausdenken können: Was wäre wenn …? Wir waren der Ansicht, dass wir mit diesem eng gefassten zeitlichen Rahmen von neun Tagen im Leben von Margarethe sehr viel über sie und die damalige Zeit erzählen konnten.
Du hast erwähnt, dass über die Geschichte des angeblichen Olafs wenig bekannt ist. Wie schwierig war es dann, Nachforschungen für den Film zu machen, wenn es so wenig Material gibt?
Charlotte Sieling: Oh, es gibt eine ganze Menge Material über sie und ihr Leben. Das einzige, was uns fehlt, sind die Dokumente über Olaf und die Verhandlung, weil die damals verbrannt wurden. Historiker können nicht sagen, wer dieser Mann war. Wir haben aber eng mit Historikern zusammengearbeitet haben, damit wir keine unnötigen Fehler machen und zum Beispiel Figuren auftreten lassen, die gar nicht dort gewesen sein können. Das war sehr viel Arbeit und hat Jahre gebraucht, bis das alles gepasst hat. Es gibt einen Historiker, der sagt: Wer wäre so verrückt, von sich zu behaupten, der verlorene Königssohn zu sein, ohne es zu sein? Denn es war klar, dass eine solche Behauptung Selbstmord war. Seltsam ist auch, dass Margarethe den jungen Mann verbrannt hat, anstatt ihn einfach zu hängen. Das Feuer sollte zu Tode verurteilte näher zu Gott bringen und eine Wiedergeburt ermöglichen, im Gegensatz zum Hängen. Warum sollte sie das bei jemandem machen, den sie nicht kannte und der ihr nichts bedeutete? Da sind so viele Fragen, die noch immer unbeantwortet sind. Und die wichtigste Frage für uns war: Wer war diese Frau als Mensch? Das sind Fragen, die wir stellen und für uns beantworten mussten, um das Drehbuch schreiben zu können.
Wie lange hat dieser Schreibprozess dann am Ende gedauert?
Charlotte Sieling: Sechs Jahre.
Kommen wir zu dir, Trine. Wie bist du zu dem Projekt gekommen?
Trine Dyrholm: Mir wurde irgendwann die Rolle angeboten. Also habe ich das Drehbuch gelesen, das damals noch nicht fertig war. Ich fand das Projekt sofort interessant, hätte am Anfang aber fast abgesagt, weil ich Angst vor Pferden habe. Deswegen habe ich gesagt: Wenn Margarethe auf Pferden sitzen muss, bin ich nicht mit dabei. Charlotte, die selbst privat reitet, hat mir aber dabei geholfen, diese Angst zu überwinden. Meine erste Arbeit an dem Film bestand dann auch darin, ein oder zweimal pro Woche zum Pferd zu gehen und zu sagen: „Hallo Pferd“. Für mich war das eine große Sache. Aber es half mir auch dabei, mich stärker in meine Figur hineinzuversetzen und meiner Vorstellungskraft freien Lauf zu lassen, wer Margarethe war.
Macht es für dich ganz grundsätzlich einen Unterschied, ob du eine reale Figur oder eine fiktive spielst?
Trine Dyrholm: Dadurch dass ihre Geschichte so lange zurückliegt, fühlte ich mich nicht eingeschränkt. Schließlich weiß niemand, wie sie war. Das hat mir viele Freiheiten gegeben. Natürlich fühlte ich aber auch eine Verantwortung dafür, wie wir ihre Geschichte erzählen. Für mich war das aber ein Privileg, ihr ein Gesicht geben zu dürfen. Sie war letztendlich eine bedeutende Frau, die ihre Zeit und die Geschichte ihres Landes massiv geprägt hat.
Würdet ihr sie als ein Vorbild bezeichnen?
Charlotte Sieling: Definitiv. Ein Vorbild zu sein, bedeutet ja nicht, dass in dem Leben alles ganz toll gewesen ist. Wir wissen alle, dass das Leben manchmal einfach Mist ist. Wir erzählen in dem Film von Schmerzen, aber auch von Macht, davon Mutter zu sein und zu lieben. Und das sind alles Punkte, bei denen das Publikum eine Verbindung aufbauen kann. Aristoteles sagte damals, dass wir Tragödien brauchen, um Mitgefühl erzeugen zu können. Wenn wir sehen, was eine Figur durchmacht, dann fühlen wir uns ihr verbunden.
Und wie siehst du das, Trine?
Trine Dyrholm: Für mich ist sie auch ein Vorbild, auf jeden Fall. Sie ist eine mächtige Frau und eine intelligente Politikerin, die ihre eigenen Gefühle beiseiteschieben konnte für das größere Allgemeinwohl. Natürlich können wir nicht alle Königinnen sein. Aber mir ist es als Schauspielerin wichtig, kleine Risse in den Figuren aufzuzeigen, durch die wir in das innere Chaos schauen können und uns auf diese Weise mit ihnen verbinden. Mir geht es nicht darum, die Figur zu verteidigen. Ich will aber aufzeigen, womit sie zu kämpfen hat und weshalb sie sich auf diese Weise verhält. Wir sehen bei Margarethe, wie sie mit der Situation zu kämpfen hat, wie sie mit ihren eigenen Gefühlen zu kämpfen hat. Und sie entscheidet sich dafür, alles zu tun, um den Frieden zu bewahren und die Leute zusammenzubringen. Davon könnten wir gerade heute mehr gebrauchen.
Doch trotz des Friedens: Die Königin des Nordens fängt damit an, dass Margarethe eine neue Armee aufstellt. Ist ein Frieden ohne Gewalt oder zumindest die Möglichkeit von Gewalt möglich?
Charlotte Sieling: Margarethe zumindest ist davon überzeugt, dass sie diese Gewalt braucht. Sie lebt in einer Zeit, die von Kriegen bestimmt ist. Sie selbst wurde durch ein solches Leben geprägt. Als Olaf den Hof betritt, schaut sie nicht zu dem Mann, der ihr Sohn sein könnte, sondern schaut zu allen anderen und fragt sich: Wer verrät mich hier gerade? Bei mir selbst weiß ich nicht, wie die Antwort aussieht. Ich würde gerne sagen, dass Frieden auch ohne Gewalt möglich ist. Aber ich weiß, dass die Welt chaotisch ist und nicht nach den Regeln funktioniert, die wir gern hätten.
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Die Frage, ob der junge Mann ihr Sohn ist, beschäftigt sie danach umso mehr. Margarethe wird in dem Film mehrfach vorgeworfen, dass sie doch wissen muss, ob dieser junge Mann nun Olaf ist oder nicht. Ist es realistisch, nach 15 Jahren das eigene Kind nicht mehr wiederzuerkennen?
Charlotte Sieling: Das ist ein Punkt, über den wir natürlich sehr viel nachgedacht haben. Ich hatte regelrecht Albträume deswegen, weil ich nicht wusste, wie das Publikum darauf reagieren würde. Ich habe darüber auch mit Psychologen gesprochen, die mir gesagt haben, dass ein Trauma verhindern kann, dass du die Welt um dich herum wahrnimmst. Hinzu kommt, dass Margarethe kein Zuhause in dem Sinn hatte, sondern ständig unterwegs war und ihn deshalb vermutlich vor seinem Tod kaum gesehen hat. Das Publikum sieht in dem Moment nur, dass da etwas zwischen ihr und dem jungen Mann ist, das es ihr unmöglich macht, diese Entscheidung zu treffen.
Trine Dyrholm: Man darf an der Stelle auch nicht vergessen, was das bedeuten würde. Wenn sie ihn als ihren Sohn anerkennt, wird das enorme Folgen haben, für sie und auch das Königreich. Es ist also auch durchaus möglich, dass sie ihn erkennt, aber nicht erkennen darf. Da sind so viele psychologische Hürden, die mit diesem Erkennen verbunden sind. Sie hat Olaf damals als König durchgesetzt, als er nur fünf Jahre alt war, und hat mehr als zehn Jahre damit verbracht, ihn auf diese Rolle vorzubereiten, die er als König auszufüllen hat. Und dann stirbt er plötzlich und alles, wofür sie gekämpft hat, wofür sie gelebt hat, bricht vor ihren Augen zusammen. Das spielt natürlich auch eine Rolle, als dann der angebliche Olaf vor ihr steht und sich wieder alles zu ändern droht. In ihr ist so viel vorgegangen, da ist so viel zusammengekommen, dass es um viel mehr geht als nur die Frage, ob eine Mutter ihr Kinder erkennen würde. Deswegen kann ich auf diese Frage so auch gar nicht antworten. Die Situation war einfach zu komplex.
Dann noch eine weitere sehr hypothetische Frage. Wie hätte in Mann in dieser Situation reagiert, wenn man zu ihm gesagt hätte: „Das ist dein Kind, das du 15 Jahre nicht gesehen hast“?
Charlotte Sieling: Das wäre auch ein spannendes Thema gewesen. In der Geschichte gab es immer wieder Könige, die ihre eigenen Söhne getötet haben, um an der Macht zu bleiben.
Trine Dyrholm: Das ist eine interessante Frage. Es gibt nicht so viele Filme über Königinnen, weil es einfach nicht so viele Königinnen gab. Wir wollten einen universellen Film drehen, bei dem das Geschlecht letztendlich nicht wichtig ist. Wir wollten, dass alle sich in Margarethe finden können, unabhängig vom Geschlecht.
Ihr beide arbeitet in einem Feld, das traditionell ebenfalls von Männern dominiert wird: der Film. Könnt ihr euch in der Hinsicht mit Margarethe identifizieren, die sich in einer Männerdomäne durchsetzen musste?
Trine Dyrholm: Ich kann mich in vielerlei Hinsicht mit Margarethe identifizieren. In der einen Szene, in der sie auf der Feier nicht mit dem Mann ins Bett geht, zeigen wir, wie unterschiedlich die Regeln für Männer und Frauen waren. Bei einem Mann in ihrer Position hätte niemand was gesagt. Da wird sie dann doch auf ihr Geschlecht reduziert, obwohl dieses keine Rolle spielen sollte. Die Königin des Nordens ist da ein moderner Film. Inzwischen ändert sich das alles auch langsam. Aber da muss noch deutlich mehr geschehen. Wir müssen uns stärker mit der menschlichen Natur als solcher auseinandersetzen, wir müssen mehr Diversität und Widersprüche zulassen.
Charlotte Sieling: Ich kann mich mit ihr identifizieren, weil ich mein Leben lang immer mit Männern gearbeitet habe. Mir wurde von klein auf beigebracht, wie ich mit Männern umgehen muss, wie ich sie lese und verstehe und wie ich ihnen gefalle. Aber wenn du dieses Spiel verstanden hast, kann dir das auch Macht verleihen. Womit ich mich auch identifizieren konnte, waren diese Momente existenzieller Einsamkeit, in denen sie immer wieder steckt.
Vielen Dank für das Gespräch!
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