Für Marguerite Duras (Mélanie Thierry) bricht eine Welt zusammen, als 1945 ihr Mann Robert Antelme (Emmanuel Bourdieu), der wie sie als Schriftsteller und Aktivist tätig ist, von der Polizei verhaftet und weggesperrt wird. Bei ihren Versuchen, ihn wieder freizubekommen, macht sie die Bekanntschaft des französischen Inspektors Pierre Rabier (Benoît Magimel), der tatsächlich etwas über den Verbleib ihres Mannes wissen könnte. Mehr noch: Der Kollaborateur soll sogar für die Verhaftung verantwortlich sein. Auch wenn sie voller Wut und Sorge ist, trifft sie sich immer wieder mit ihm, in der Hoffnung, mehr zu erfahren oder vielleicht sogar etwas bewegen zu können. Stattdessen erhält sie die grausame Nachricht, dass er zu den Deutschen abgeschoben werden soll …
Das Ende aller Grenzen
In ihren Werken war die Schriftstellerin und Filmemacherin Marguerite Duras oft eine Grenzgängerin, ließ in India Song Vergangenheit und Gegenwart ineinander übergehen oder in Der Liebhaber das Reale und das Fiktionale. Immer wieder griff sie dabei auf eigene Erfahrungen zurück und verwandelte sie durch ihre Sprache und Wahrnehmung in etwas Eigenes. Das zeigt sich auch in ihrem 1985 veröffentlichen Roman Der Schmerz, in dem sie ihre Erfahrungen um die Verhaftung ihres damaligen Mannes Robert Antelme festhielt und wo nie ganz klar war, wo der Mensch Marguerite Duras aufhörte und die Literatin begann. Gleiches gilt entsprechend für die Verfilmung von 2017 durch Emmanuel Finkiel.
Der Regisseur und Drehbuchautor hebt dabei zum einen die Zeit ein wenig auf, wenn zwei Zeitebenen – die Begegnung mit Rabier und die Phase unmittelbar nach der Befreiung Frankreichs – ineinander übergehen. Das ist dabei kein Manko, sondern Teil eines Versuches, ganz allgemein jegliches Zeitgefühl aufzuheben. Denn Der Schmerz erzählt in erster Linie von dem Warten auf eine Nachricht, sei sie nun positiv oder negativ. Der Alltag der Autorin und Intellektuellen ist dominiert von der Qual der Ungewissheit, die sich immer weiter ausdehnt und ihr Leben so sehr unter Beschlag nimmt, bis alles eins geworden ist. Gibt es noch Tage, wenn es kein absehbares Ende gibt? Was bleibt von dem Konzept der Zeit, wenn die Chronologie einem Dauerzustand Platz macht?
Zwischen innen und außen
Damit verbunden ist eine Aufhebung zwischen der inneren und äußeren Welt. Die Dialoge, welche Duras mit anderen Menschen führt, sind zum Teil kaum von den inneren Monologen zu unterscheiden. Während die Protagonistin sich im schmerzhaften Warten verliert, verschwimmt alles andere. Die Leute um sie herum werden zu einer Kulisse, die ihre Bedeutung verloren hat – von Rabier einmal abgesehen, der die Verbindung zu ihrem Mann darstellt. Das macht Der Schmerz zuweilen selbst ein wenig unnahbar, wenn die Realität in sich zusammenfällt. Hinzu kommt, dass die Handlung überschaubar ist. Die Szene, in der Robert abtransportiert wird, ist da schon der Gipfel. Ansonsten passiert nicht viel, das meiste spielte sich anschließend im Kopf von Duras ab.
So etwas kann schnell langweilig werden. Glücklicherweise kann sich Finkiel hier aber auf seine Hauptdarstellerin Mélanie Thierry (In Therapie, Kampf um den Halbmond) verlassen, die für ihre Darstellung der Autorin unter anderem für den César im Rennen war – eine von acht Nominierungen für Frankreichs wichtigsten Filmpreis. Ihr gelingt die Balance aus Entfremdung und Innerlichkeit, veranschaulicht auch die Ambivalenz ihrer Figur. Duras beschreibt sich selbst als jemand, der hin und her gerissen ist zwischen Hoffnung und Verzweiflung, will im einen Moment stark sein für den Verschleppten, nur um dann sicher zu sein, dass es ohnehin schon vorbei ist. Sie ist von Schuldgefühlen getrieben, selbst überlebt zu haben, weiß irgendwann auch gar nicht, wie sie damit umgehen soll, falls er doch wieder zurückkommt.
Singulär und universell
Der Schmerz ist damit einerseits ein biografisches Drama, welches schildert, wie das Leben von Marguerite Duras zur Zeit des Kriegsendes aussah. Der Film ist aber vor allem eine universellere und existenziellere Beschäftigung mit Themen wie Schuld, Trauer, Angst und eben Schmerz. Auch wenn die Situation natürlich eine ist, welche ein Publikum von heute kaum mehr nachvollziehen kann: Da ist genügend in dem Film, in das man sich selbst mit diesem großen Abstand noch hineinfühlen kann. Man sollte nur kein emotionales Drama erwarten, wie es bei dem Stoff denkbar gewesen wäre. Vielmehr ist das hier ein Werk, das auch mithilfe des Sounddesigns und anderer Elemente für ein Gefühl der Entfremdung sorgt. Man ist mittendrin, Teil des Geschehens – und gleichzeitig wieder nicht.
OT: „La douleur“
IT: „Memoir of War“
Land: Frankreich
Jahr: 2018
Regie: Emmanuel Finkiel
Drehbuch: Emmanuel Finkiel
Vorlage: Marguerite Duras
Kamera: Alexis Kavyrchine
Besetzung: Mélanie Thierry, Benoît Magimel, Benjamin Biolay, Emmanuel Bourdieu, Patrick Lizana, Grégoire Leprince-Ringuet
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
César | 2019 | Bester Film | Nominierung | |
Beste Regie | Emmanuel Finkiel | Nominierung | ||
Beste Hauptdarstellerin | Mélanie Thierry | Nominierung | ||
Beste Kamera | Alexis Kavyrchine | Nominierung | ||
Bestes adaptiertes Drehbuch | Emmanuel Finkiel | Nominierung | ||
Bester Ton | Antoine-Basile Mercier, David Vranken, Aline Gavroy | Nominierung | ||
Bestes Szenenbild | Pascal Le Guellec | Nominierung | ||
Beste Kostüme | Anaïs Romand, Sergio Ballo | Nominierung | ||
Prix Lumières | 2019 | Beste Hauptdarstellerin | Mélanie Thierry | Nominierung |
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