Dublin im Januar 1904: Wie jedes Jahr laden die Schwestern Kate (Helena Carroll) und Julia Morkan (Cathleen Delany) gemeinsam mit ihrer Nichte Mary Jane (Ingrid Craigie) zu einer Abendveranstaltung ein. Zusammen wollen sie tanzen, sich an Musik erfreuen – und natürlich auch am Essen. Es ist ein ausgelassener Abend, voll anregender Gespräche, bei der sie sich über die unterschiedlichsten Themen unterhalten, während draußen die Schneeflocken fallen. Unter den zahlreichen und sehr unterschiedlichen Gästen, die sich an dem Tag versammeln, ist auch Gabriel Conroy (Donal McCann), der Neffe der beiden Schwestern, sowie dessen Frau Gretta (Anjelica Huston), für die dieser Abend zu einer Begegnung mit der Vergangenheit wird …
Der leise Abschied eines großen Regisseurs
Während seiner über vier Jahrzehnte langen Karriere als Regisseur hat John Huston zweifelsfrei viele große Titel gedreht, sei es der Detektiv-Klassiker Die Spur des Falken, der Abenteuerfilm African Queen oder der starbesetzte Western Misfits – Nicht Gesellschaftsfähig. Dass er aber auch deutlich leisere Filme drehen kann, das bewies er mit seinem finalen Werk Die Toten. Als Huston an diesem arbeitete, war er selbst bereits dem Tod geweiht. Nur mit großen Mühen gelang es ihm aus seinem Rollstuhl heraus noch, die Dreharbeiten zu einem Abschluss zu bringen. Er erlebte nicht einmal mehr die Premiere mit, die im September 1987 bei den Filmfestspielen von Venedig stattfand. Einige Wochen zuvor war er bereits im Alter von 81 Jahren an Lungenversagen gestorben.
Sein Abschiedsfilm ist dabei aus zwei Gründen überraschend, handelt es sich bei Die Toten doch um die Adaption einer Kurzgeschichte von James Joyce aus seinem Buch Dubliners. Nicht nur, dass der irische Schriftsteller nicht unbedingt die naheliegendste Vorlage für einen Film Hustons war, ein Regisseur, der große Geschichten erzählte oder zumindest große gesellschaftliche Themen ansprechen wollte. Beides ist bei dem intimen Dinner, zu dessen Zeugen und Zeuginnen er uns macht, nicht der Fall. Außerdem ist Joyce kein Autor, der sich überhaupt für Filme anbietet. Der Ire ist, selbst 80 Jahre nach seinem Tod, in seiner Sprachkunst einzigartig. Vor allem die Technik des Bewusstseinsstroms, bei dem wir die Welt aus einer Innenperspektive heraus kennenlernen, ist untrennbar mit seinem Namen verbunden.
Das Innere visualisieren
Nur ist das eben auch das Problem bei einer Adaption: Innerlichkeit ist bei Filmen schwierig umzusetzen, bei denen naturgemäß der Blick von außen stattfindet – sofern man nicht alles per Voice-over oder erzwungener Dialoge zu Tode reden will. Zum Teil merkt man das auch an Die Toten, wenn Sprachfetzen und Szenenausschnitte von einer sehr individuellen Wahrnehmung zeugen. Die Handlung ist recht überschaubar, wenn nahezu der gesamte Film nur darin besteht, wie die drei Frauen und ihre Gastgeberinnen zusammensitzen und reden, essen oder sich den Künsten hingeben. Es ist nicht einmal so, dass die Dialoge aus Wortgefechten bestehen, wie man das bei solchen Dinner-Filmen manchmal kennt – siehe etwa The Dinner oder The Party. An manchen Stellen nähern sich die Gespräche zwar Meinungsverschiedenheiten an, ohne aber wirklich zu solchen zu werden. Zwar gibt es auch hier eine überraschende Erkenntnis im späteren Verlauf. Die Geschichte ist aber nicht auf diese fokussiert.
Wer darauf wartet, dass hier etwas „passiert“, der ist daher im falschen Film. Auch ein Publikum, das sich von Kostümfilmen große Dramen erhofft, geht leer aus und wird sich trotz der überschaubaren Laufzeit von etwa 80 Minuten schnell langweilen. Das bedeutet aber nicht, dass Die Toten nichts zu sagen hätte. Nicht erst zum Schluss, wenn Gabriel noch einmal sein komplettes Leben in Frage stellen muss, dürfen die Figuren sich fragen, was aus ihnen geworden ist, was sie erreicht haben, was ihnen geblieben ist. Wenn die deutlich betagte Schwester noch einmal zu singen beginnt, wie sie es vor Jahrzehnten bereits getan hat, dann tanzen die Bilder ihrer Jugend durch die Köpfe. Da schwingt immer eine Wehmut mit, auch in dem Wissen um die eigene Endlichkeit. Die Toten und die Lebenden, sie kommen sich während des oft etwas entrückt wirkenden Abends näher, Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen, Perspektiven gehen ineinander über, während draußen nach und nach der Schnee alles unter sich bedeckt.
OT: „The Dead“
Land: USA
Jahr: 1987
Regie: John Huston
Drehbuch: Tony Huston
Vorlage: James Joyce
Musik: Alex North
Kamera: Fred Murphy
Besetzung: Donal McCann, Anjelica Huston, Helena Carroll, Cathleen Delany, Ingrid Craigie
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Academy Awards | 1988 | Bestes adaptiertes Drehbuch | Tony Huston | Nominierung |
Beste Kostüme | Dorothy Jeakins | Nominierung | ||
Film Independent Spirit Awards | 1988 | Bester Film | Nominierung | |
Beste Regie | John Huston | Sieg | ||
Beste Nebendarstellerin | Anjelica Huston | Sieg | ||
Bestes Drehbuch | Tony Huston | Nominierung | ||
Beste Kamera | Fred Murphy | Nominierung |
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