Was tun, wenn auf einmal in der Nachbarwohnung ein kommunistisches Känguru einzieht und kontinuierlich für Chaos sorgt? In Die Känguru-Chroniken nach dem gleichnamigen Hörspielen und Büchern spielt Dimitrij Schaad den Autor Marc-Uwe Kling, ein Alter Ego des Känguru-Erfinders. Anlässlich der TV-Ausstrahlung am 25. Dezember 2021 um 17.30 Uhr im ZDF unterhalten wir uns mit dem Schauspieler über eigene WG-Erfahrungen, einen doppelten Marc und eine um sich greifende Gentrifizierung.
Was hatte Sie an Die Känguru-Chroniken gereizt, dass Sie bei dem Film mitspielen wollten?
Da war natürlich die ungeheure Popularität von diesem Stoff. Ich hätte damals auch nie damit gerechnet, dass ich in eine engere Auswahl kommen könnte. Der ganze Casting-Prozess lief über acht Monate vom E-Casting über das Live Casting bis zum potenziellen Kombinations-Casting. Und bei jedem Schritt habe ich gedacht: Das war’s, jetzt wird es aufhören.
Warum sind diese Geschichten Ihrer Ansicht nach so populär?
Weil Marc-Uwe Kling ein Genie ist und einen sehr tollen Sinn für Humor hat, kombiniert mit einem großen Wissen und mit einer sozialen Verantwortung. Es ist klug, es ist vielschichtig. Ich glaube, dass die Leute das spüren und es trifft viele in ihren Lebenserfahrungen.
Von dem Känguru gibt es inzwischen ganz viele Fassungen, von den Hörbüchern über die Bücher bis zu dem Merchandising wie Gesellschaftsspielen. Wie sind Sie das erste Mal mit dem Känguru in Berührung gekommen?
Zum ersten Mal müsste das um 2015 herum gewesen sein. Meine damalige Freundin hat mir davon erzählt, weil sie das in ihrer WG gehört hatte und sehr lustig fand. Sie hat mir einzelne Gags daraus erzählt. Tatsächlich gehört habe ich es aber erst, als ich das Live Casting gemacht habe. Das erste Buch hatte ich gelesen, als die Einladung zum Casting kam, um mich darauf vorzubereiten. Mit dem Hörbuch habe ich aber gewartet, weil ich es nicht einfach kopieren wollte.
Wie war das eigentlich bei Casting? Haben die jemanden gesucht, der das genauso hinbekommt wie bei den Hörbüchern? Oder was waren die Kriterien?
Richtig drüber gesprochen haben wir nie, worauf es ihnen ankam. Ich denke, dass sie jemanden wollten, der ein Gespür für den Witz und Charme hat, aber auch für die Rollenkonstellation. Es ist bei uns ganz klar, dass das Känguru die Witze macht und Marc-Uwe diese ertragen muss. Viele haben es beim Casting wohl übertrieben, so hat es mir Marc-Uwe später erzählt. Aber genau weiß ich es nicht. Im Nachhinein lässt sich das immer schwer sagen.
Wie stark war Marc-Uwe Kling beim Film selbst involviert. Klar, er hat das Drehbuch geschrieben. Aber hat er auch Vorgaben gegeben, was Ihre Darstellung angeht? Sie spielen schließlich eine Version von ihm.
Von ihm selbst gab es kaum Vorgaben. Er hat da sehr meinem Gefühl vertraut. Da Daniel Levy die Regie geführt hat, hat sich Marc-Uwe beim Film ohnehin sehr zurückgenommen. Beim zweiten Teil, den wir dieses Jahr gedreht haben, hat er auch Regie geführt. Dadurch war der Austausch viel intensiver. Aber selbst da gab er mir relativ wenig Vorgaben, sondern ließ mich einfach machen.
Und wenn Sie jetzt Ihre Version von Kling mit dem echten Kling vergleichen, wie sehr unterscheiden die sich?
Ich bin deutlich langweiliger und uncharmanter als der echte. Das muss ich ganz ehrlich zugeben.
In den letzten Jahren haben Sie auch viele eigene Texte geschrieben. Wie war das für Sie, die Texte eines anderen zu sprechen und zu spielen?
Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube, dass ich durch meine eigenen Erfahrungen ein größeres Verständnis dafür habe, ob ein Text schon fertig geschrieben ist oder nicht. Bei Marc ist es so, dass ich die ganzen Texte wirklich genauso spreche, wie er sie geschrieben hat. Ich setze auch die Pausen so, wie er sie setzt, weil ich weiß, dass er rhythmisch schreibt. Bei anderen Autoren und Autorinnen ist es mehr eine Vorlage oder eine Einladung, noch mal etwas zu verändern. Da braucht es manchmal schon eine Präzisierung oder Verknappung oder Verlängerung. Beim Känguru war das nicht nötig. Dass Texte nachträglich manchmal geändert werden müssen, kenne ich von mir selbst. Wir haben den Debütfilm meines Bruders gedreht, wofür ich das Drehbuch geschrieben habe. Und es war eine sehr interessante Erfahrung, wenn meine Texte mal von anderen gesprochen werden und zu sehen, wo noch etwas getan werden musste und wo sie schon rhythmisch fertig geschrieben waren.
Kommen wir auf das Känguru zurück: Mit diesem zusammenzuwohnen, ist ja nicht immer ganz einfach. Das ist schon mit viel Chaos verbunden. Denken Sie, dass diese WG mehr Fluch oder mehr Segen ist?
Mehr Segen, vor allem für die Figur von Marc-Uwe, der sonst ja nicht aus sich rauskommt. Für ihn ist es daher ein großes Geschenk, mit dem Känguru zu wohnen, selbst wenn das nicht immer einfach ist.
Was macht das Känguru denn mit ihm?
Das Känguru ist wahrscheinlich so etwas wie das Freudsche „Es“. Etwas, das rein trieb- und instinktgesteuert ist und ihn in Situationen bringt, in die er sonst nie gekommen wäre.
Wie sieht es denn mit Ihren eigenen WG-Erfahrungen aus?
Ich habe tatsächlich nie in einer WG gelebt. Keine Ahnung, ob ich dabei etwas verpasst habe. Jetzt ist es für mich wahrscheinlich auch zu spät. Das wäre in meinem Alter, ich bin jetzt 36, wohl lächerlich.
Es gibt durchaus auch Leute, die in dem Alter mit anderen wohnen. Manchen bleibt gar nichts anderes übrig, wenn sie in einer Großstadt eine Wohnung suchen und es irgendwie schnell gehen muss oder das nötige Geld fehlt.
Das stimmt natürlich. Sollte ich noch einmal in eine WG ziehen, dann hoffentlich nur freiwillig.
Und wenn Sie eine solche WG gründen würden und sich ganz beliebig jemand aussuchen könnten, der miteinzieht, wer wäre das?
Oh Gott. Ich glaube, darüber muss ich noch nachdenken. Ich werde mir was überlegen und beim zweiten Teil dann eine schöne Antwort geben.
Der Film beginnt mit dieser Zweier WG, wird mit der Zeit aber immer größer und handelt von Nachbarschaft und Gemeinschaftlichkeit. Gibt es das überhaupt noch in Großstädten?
Ich selbst lebe im völlig durchgentrifizierten Prenzlauer Berg und kenne die meisten meiner Nachbarn weder mit Vor- noch mit Zunamen. Wenn wir jetzt ein Spiel spielen würden, bei dem Sie mir zwanzig Namen nennen, könnte ich nicht mit Sicherheit sagen, ob die unten auf dem Klingelschild stehen. Wahrscheinlich gibt es eine solche Gemeinschaftlichkeit schon noch irgendwo. Aber leider nicht da, wo ich lebe.
Gentrifizierung ist in den letzten Jahren ein ganz großes Thema geworden, in ganz Deutschland. Die Känguru-Chroniken spricht dieses auch an. Welche Erfahrungen haben Sie selbst damit gesammelt?
Ich bin ja selbst Teil dieser Gentrifizierung als Zugezogener. Wahrscheinlich haben früher hier Leute gewohnt, die sehr viel stärker verwurzelt waren, als ich es bin. Was mich an Berlin immer erstaunt: Innerhalb des S-Bahn-Rings siehst du praktisch keine alten und gebrechlichen Leute mehr. Du hast da eine große Blase, in dem gefühlt nur Leute leben, die zwischen Anfang 20 und Mitte 50 sind. Danach kommt nichts mehr. Da ist es anders, wenn ich in München bin und ich das Gefühl habe, dass das da anders durchmischt ist. Ich selbst bin noch nirgendwo rausgedrängt worden. Aber ich stelle mir das ganz schmerzhaft vor, wenn du dein ganzes Leben irgendwo verbracht hast und dann raus sollst.
Denken Sie, dass sich diese Entwicklung überhaupt noch aufhalten lässt?
Wahrscheinlich wird die Situation noch weiter eskalieren und deutlich schlimmer werden. Ich bin kein Experte auf dem Gebiet. Aber wenn man sich die aktuellen Teuerungsraten anschaut, wird das wohl noch deutlich ungemütlicher werden, bevor es sich dann irgendwann einpendelt. Es ist einfach ein sehr kompliziertes Feld, wie man bei dem Mietendeckel in Berlin gesehen hat. Da war die Intention sicherlich gut, kam aber in rechtliche Schwierigkeiten. Eine wirkliche Lösung auf das Problem hat die Politik bislang nicht.
Ein weiteres Thema im Film ist der Rechtspopulismus. Auch darüber wurde in den letzten Jahren viel gesprochen. Ist der Rechtspopulismus größer geworden oder ist er nur sichtbarer geworden, eben durch die Diskussionen?
Auch eine gute Frage. Ich denke, dass er sicherlich größer geworden ist. Er ist aber auch sozial stärker akzeptiert als früher. Mit dem schrecklichen Einzug der AfD ist er gefühlt in der Mitte der Diskussionen angekommen. Früher hätten es diese Rechtspopulisten vielleicht nicht in Talkrunden geschafft. Und jetzt sind sie überall und können zu einem Millionenpublikum sprechen. Das empfinde ich als absolut grauenhaft und hat die Lage nicht besser gemacht.
Letzte Frage: Wie geht es bei Ihnen weiter? Was sind die nächsten Projekte?
Ich habe vor Kurzem eine Hauptrolle in der Netflix-Serie Kleo gespielt. Die wird nächsten Sommer zu sehen sein und handelt von einer DDR-Stasikillerin auf einem Rachefeldzug. Der Film meines Bruders, von dem ich vorhin erzählt habe, soll wahrscheinlich im Frühjahr 23 in die Kinos kommen und trägt gerade den Titel Marmor. Das nächste Projekt, das ich noch drehen werde, ist eine Literaturverfilmung namens Sophia, der Tod und ich. Das war auch auf der Spiegel Bestsellerliste. Ich spiele darin einen Mann, der vom Tod aufgesucht wird. Der Tod hat aber immer nur drei Minuten Zeit, um jemanden zu holen. Und in den drei Minuten kommt die Exfreundin des Mannes. Der Tod hat daraufhin so viel Mitleid, dass er dem Mann gestattet, noch einmal seine Mutter zu besuchen und seinen Sohn, zu dem er keinen Kontakt mehr hat. Daraus wird ein Roadtrip um den Tod, der das erste Mal das Leben kennenlernt, und einen Mann, der sich auf den Tod vorbereitet.
Vielen Dank für das Gespräch!
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