Im Jahre 1913 deutet, wie in vielen Teilen der Welt, auch in Russland alles auf einen größeren Konflikt hin. Anti-monarchistische Tendenzen und Proteste in den Straßen gegen den Zaren und die soziale Ungleichheit werden zwar vom politische System nach wie vor unterdrückt, wenn es sein muss mit Gewalt. Doch ein Wechsel scheint unvermeidlich, was viele Bürger mit Hoffnung und Angst erfüllt. In dieser Zeit wächst Yuri Schiwago (Omar Sharif), Arzt und Poet, nach dem Tod seiner Eltern bei seinem Onkel in Moskau auf. Parallel arbeitet Larissa Antipowa (Julie Christie), genannt „Lara“, im Betrieb ihrer Eltern und bekommt die Unruhen in ihrem Land auch aus nächster Nähe mit, da ihr Freund Pavel (Tom Courtenay) einer der vielen Demonstranten ist, dem der friedliche Protest schon bald nicht mehr genügt.
Darüber hinaus stellt ihr der Liebhaber ihrer Mutter, der wohlhabende Victor Komarovskij (Rod Steiger) nach, was sie schließlich zur Verzweiflung bringt. Auch in Yuris Leben gibt es reichlich Veränderungen, denn aus der Freundschaft mit der Tochter seiner Pflegeeltern, Tonya (Geraldine Chaplin), entwickelt sich eine Liebe, die schon bald in einer Heirat mündet. Als jedoch der Krieg über das Land hereinbricht, müssen sowohl Yuri als Feldarzt als auch Lara, die sich als Krankenschwester meldet, an die Front, wo die beiden sich zum ersten Mal begegnen und ineinander verlieben.
Eine Symbolfigur des Widerstandes
Als Mitte der 1950er Jahre Boris Pasternaks Roman Doktor Schiwago de Bestsellerlisten dominierte und der Autor 1958 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, kannte in seiner Heimat niemand das Werk, welches die Sowjetunion als systemkritisch einstufte und verbot. Nach seinem großen kritischen wie kommerziellen Erfolg mit Lawrence von Arabien sah Regisseur David Lean in der Geschichte sein nächstes Projekt und investierte viele Jahre in die Finanzierung und Vorbereitung der Produktion, welche schließlich in Finnland und Spanien mit einem starbesetzten Ensemble umgesetzt wurde. Mag auch das Melodramatische mehr im Vordergrund stehen als in seinen anderen Werken, die eine ähnliche Dimension haben, so ist doch Leans Verfilmung von Doktor Schiwago ein beeindruckendes Drama über den Wert des Menschlichen in Zeiten des Krieges und der politischen Repression.
Symbolisch für Film und Roman ist die Balalaika und ihre Musik, welche die Geschichte von der ersten bis zur letzten Minute durchzieht, immer wieder erklingt und das emotionale Befinden des Helden nachzeichnet. Ähnlich wie jener symbolträchtige „Rosebud“ in Citizen Kane ist das Instrument bezeichnend für den Menschen Yuri Schiwago, seine Begeisterung für die Literatur und die Medizin, oder generell das Innenleben des Menschen, was ihn zu einer Ausnahmeerscheinung für seine Zeit macht. Egal ob in der Zeit des ausklingenden Zarenreiches oder später im Nachhallt der Revolution behält er dieses Empfinden in seinem Herzen, was ihn, ähnlich wie den von Peter O’Toole gespielten Lawrence, zu einem Außenseiter macht, auch wenn Sharifs Figur wohl kaum dieselbe Ambivalenz besitzt. Dennoch ästhetisieren Pasternak und Lean ihn zu einem Symbol des Widerstandes, nicht des bewaffneten, aber des menschlichen, der sich seine Liebe und seine Leidenschaft bewahrt, auch wenn er vom jeweiligen System dafür verfolgt wird.
Leben ums des Lebens willen
Über mehrere Jahre hinweg verfolgen Film wie auch Roman das Geschehen, angefangen bei den ersten Aufständen gegen das Zarenreich und schließlich dem Bürgerkrieg als Reaktion auf die vorherige Revolution. Wie für eine Geschichte dieser Dimension üblich sowie das Kino eines David Lean dominieren die Massenszenen, die der Schlachtfelder und der Flucht mit dem Zug in den Ural, das Geschehen und hinterlassen einen Eindruck beim Zuschauer. Nicht nur das Elend dieser Schlachten wird damit zum Ausdruck gebracht, sondern zugleich das schier Unvorstellbare in de Figuren wie Yuri oder Lara, welche den Blick für sich und ihr Umfeld nicht verlieren. Dass dies in einer Liebesgeschichte mündet, macht, entgegen der Kritikermeinung zu der Zeit, keinesfalls eine Schwäche des Filmes auf, denn hier zeigt sich eben jene Fehlbarkeit und Menschlichkeit der Figuren an sich. Einzig an der Länge gewisser Einstellungen wird man etwas zu bemängeln haben, gelingt es Lean, im Gegensatz zu Lawrence von Arabien oder Die Brücke am Kwai, nicht die Laufzeit von über drei Stunden zu rechtfertigen.
Einmal abgesehen von den Bildern Freddie Youngs ist auch die Filmmusik Maurice Jarres ein wichtiges Element in dieser wahrhaft epischen Geschichte, welche, neben den bereits erwähnten Eigenarten der Figuren, auch die Tragweite der Konflikte und deren Dramatik betont.
OT: „Doctor Zhivago“
Land: UK, USA, Italien
Jahr: 1965
Regie: David Lean
Drehbuch: Robert Bolt
Vorlage: Boris Pasternak
Musik: Maurice Jarre
Kamera: Freddie Young
Besetzung: Omar Sharif, Julie Christie, Geraldine Chaplin, Tom Courtenay, Alec Guinness, Rod Steiger, Rita Tushingham
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
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Academy Awards | 1966 | Bester Film | Nominierung | |
Beste Regie | David Lean | Nominierung | ||
Bester Nebendarsteller | Tom Courtenay | Nominierung | ||
Bestes adaptiertes Drehbuch | Robert Bolt | Sieg | ||
Beste Musik | Maurice Jarre | Sieg | ||
Beste Kamera (Farbe) | Freddie Young | Sieg | ||
Bestes Szenenbild (Farbe) | John Box, Terence Marsh, Dario Simoni | Sieg | ||
Beste Kostüme (Farbe) | Phyllis Dalton | Sieg | ||
Bester Ton | A.W. Watkins, Franklin Milton | Nominierung | ||
Bester Schnitt | Norman Savage | Nominierung | ||
BAFTA | 1967 | Bester Film | Nominierung | |
Bester Darsteller | Ralph Richardson | Nominierung | ||
Beste Darstellerin | Julie Christie | Nominierung | ||
Cannes | 1966 | Goldene Palme | Nominierung | |
Golden Globes | 1966 | Bester Film (Drama) | Sieg | |
Beste Regie | David Lean | Sieg | ||
Bester Hauptdarsteller (Drama) | Omar Sharif | Sieg | ||
Bestes Drehbuch | Robert Bolt | Sieg | ||
Beste Musik | Maurice Jarre | Sieg | ||
Beste Newcomerin | Geraldine Chaplin | Nominierung |
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